"Hier ist das Deutsche Fernsehen. - "ARD das ist eine Konstruktion, die uns so schnell keiner nachmacht, ich halte die drei Buchstaben für die Abkürzung für 'Allgemeines ratloses Durcheinander' - "ARD. Für mich alles rasante Draufgänger." - "ARD heißt für mich: Arbeitsgemeinschaft der reisenden Deutschlands und die Definition hat den Vorzug, dass sie wahr ist." - "Ich habe überhaupt nie gewusst, was ARD heißt." - "ARD, alle reden drein."Hier ist dass erste deutsche Fernsehen."
"Es ist ein föderal konstruiertes Fernsehprogramm, für ganz Deutschland, das ist in der Tat ungewöhnlich, aber Deutschland ist ein föderales Land, und wir machen das Erste Deutsche Fernsehen mit neun autonomen Landesrundfunkanstalten, die sind alle autonom, sind aber qua Gesetz verpflichtet für ganz Deutschland ein Programm anzubieten, zu dem alle zuliefern, je nach Größe, denn die Rundfunkanstalten sind ja auch von sehr unterschiedlicher Größe", sagt Volker Herres, der jetzige Programmdirektor des Ersten, der in dieser Sendung noch öfter zu hören sein wird.
Information, Unterhaltung, Sport, Serien, Shows
60 Jahre "Das Erste" - das sind unzählige Stunden von Information, Unterhaltung, Sport, Serien, Shows, anfangs auch noch Bildungsfernsehen - doch die Bildungsprogramme sind in den 60er-Jahren in die neugegründeten Dritten Programme gewechselt - heute sind derlei Inhalte noch in Spuren in den Wissenschaftssendungen des Ersten zu sehen.
60 Jahre Programm - das kann man kaum in 25 Minuten zusammenfassen, daher hier schon mal das, wovon in dieser Sendung nicht die Rede sein wird - vom Sport zum Beispiel. Sicher gab es da eine ganze Reihe von Programmhighlights - doch der Einfachheit halber sollen diese hier nicht Thema sein. Hier und heute geht es um eine Reihe von Programminnovationen, jene Sendungen, die damals neu und frisch waren - und um die Frage, was das Erste heute noch programmlich leisten kann. Ist es zum Beispiel für die Jugend endgültig verloren?
Doch zunächst soll es um die Frage gehen: Warum und wie haben sich die Sender eigentlich zum Ersten zusammengeschlossen? Heinz Glaessgen, ehemaliger Intendant von Radio Bremen und Vorsitzender der Historischen Kommission der ARD:
"Also 1954 hat sich etwas realisiert, was eigentlich durch den Zusammenschluss von sechs Landesrundfunkanstalten 1950 schon angedacht war. 1950 hat sich ja die ARD konstituiert, die Arbeitsgemeinschaft der Rundfunkanstalten in Deutschland, und eine Arbeitsgemeinschaft, wie der Name es sagt, gründet sich, um zu arbeiten, um zusammenzuarbeiten, und das war ja auch ein wichtiger Gesichtspunkt, zwischenzeitlich ist ja das Fernsehen richtig aufgekommen, und da lag es nahe bei einem doch vergleichsweise teuren Medium eine stärkere Zusammenarbeit zu pflegen und anzustreben als beispielsweise bei den doch etwas kostengünstigeren Hörfunkprogrammen, die ja deutlich regionaler ausgestaltet waren."
Die Struktur der ARD war bekanntermaßen eine Auflage der Alliierten - nicht mehr ein Zentralrundfunk, sondern ein von der Öffentlichkeit kontrollierter, dezentraler Rundfunk, der sich in seiner Struktur unter anderem am Modell der BBC orientierte.
Das Originelle damals war, dass die einzelnen Sender aus Hamburg, Köln oder Baden-Baden, sich das Programm nicht stundenweise teilten, sondern tageweise, pro Monat nach einem Schlüssel aufgeteilt. Fünf Tage NWDR, drei Tage SWR und so weiter.
Leider gibt es heute keinerlei Ton oder Bildaufzeichnungen mehr vom ersten Sendetag. Los ging das Programm am 1. November 1954 mit der Kindersendung "Der verlorene Schuh" anschließend gab es "Wir helfen suchen" - das war der Vermisstendienst des Deutschen Roten Kreuzes. 1954 war das durchaus noch ein Thema. Abends gab es noch "Die Kunst der Gothik" und eine internationale Eislaufveranstaltung. Der spätere Intendant des WDR Klaus von Bismarck erinnerte sich an die Anfänge:
"Das war alles ziemlich lieb und sehr sozial. Es hatte ein bisschen, wie ich das genannt hatte, einen lieben, jugendbewegten Charakter, mit unendlich viel gutem Willen, aber ein bisschen betulich auch. So wie es manchmal auch einen leicht provinziellen Stich in einigen unserer Dritten Programme manchmal so gibt. Die Gefahr einer provinziellen Betulichkeit ist latent immer gegeben."
Die "Tagesschau"
Eine Sendung des Ersten, die bis zum heutigen Tag kaum etwas von ihrem Publikumszuspruch verloren hat, ist die "Tagesschau". Sie wurde bereits 1952 eingeführt, zwei Jahre bevor das Erste als Gemeinschaftsprogramm auf Sendung ging.
"Hier ist das Deutsche Fernsehen mit der Tagesschau. Anschließend die Wetterkarte."
Sie wurde und wird wie eh und je um 20 Uhr gesendet. Und noch heute ist die 20-Uhr-Marke unumstößlich - ein Versuch des Privatsenders SAT1 in den 90er-Jahren die Anfangszeiten seiner Serien und Filme auf 20 Uhr zu legen, scheiterte kläglich - um 20 Uhr 15 - nach der Tageschau beginnt das Abendprogramm in Deutschland.
Doch zurück zu den Anfängen: Die Produktionsbedingungen der "Tagesschau" Anfang der 50er-Jahre zu verstehen, heißt auch die Produktionsbedingungen des Ersten insgesamt verstehen, denn Fernsehen hieß anfangs noch: alles live - kaum etwas war aufgezeichnet. Und: Es gab noch keine derartige Bilderflut, wie es heute zu sehen ist. Horst Jaedicke war einer der ersten Tageschau-Redakteure und erinnert sich an die Anfänge:
"Die 'Tagesschau' war natürlich noch nicht gefüttert von so vielen Seiten wie das heute der Fall ist, weder ein europäischer Verbund stand dahinter, der Material lieferte, es gab Agenturen, aber die hatten im Grunde nur Wochenschau-Filme, die sich langsam zu Fernsehfilmagenturen gemausert hatten, dann kamen die Korrespondenten dazu, die die ARD in alle Welt geschickt hatte, der eine hat selbst eine Kamera in die Hand genommen oder es wurden eigene Kameramänner dahingeschickt, es kam dann langsam aus den Häusern heraus eine Zufuhr an frischem Material, das auch hier eher der Überfluss und der Überdruss manche Verärgerung hervorgebracht hat, das eine Sendung eben nicht an dem Abend gesendet wurde."
Unterhaltung im Ersten
Doch die Information war wohl ohnehin nicht das, was Zuschauer damals am Ersten am meisten schätzten. Diese konnte man auch durchs Radio bekommen. Nein, Filme, Serien und Shows waren es, die die Zuschauer am meisten schätzten - die Unterhaltung. Ein Genre, von dem jetzt hier noch ausführlicher die Rede sein soll, ist das des Krimis, denn dieses Genre ist bis heute ganz wichtig für das Erste Programm:
"Schmeißt ihn raus. Moment mal. Nimm die Pistole runter, mach keinen Quatsch, Junge."
1958 kam erst mal eine Krimiserie ins Deutsche Fernsehen: "Stahlnetz". Eine Serie, die nach einem amerikanischen Vorbild gemacht war: "Dragnet". Das besondere daran: "Stahlnetz" war geschrieben nach wahren Begebenheiten - nur die Namen und Straßen und Orte wurden verändert, "um die Unschuldigen zu schützen", wie es im Vorspann immer hieß. Schon diese Idee war ein Hinweis darauf, dass das Erste sein Programm stets etwas anders machen wollte - unterhalten schon - aber immer mit einem gewissen Anspruch. Die Fernsehkritikerin Klaudia Wick meint über das "Stahlnetz", dass diese Serie das Krimi-Genre im Ersten schlechthin geprägt hat:
"Also die Idee, das man echtes Material nimmt aus dem wirklichen Leben und ganz schnell zu einem Fall verarbeitet, den man dann nach inszeniert, das war ja Jürgen Roland und Wolfgang Menge auch, und die haben eigentlich diese Idee, dass das so ein schnelles Medium ist, dass man das nach Hause bekommt - eben gerade ist es noch passiert, und schon ist es für uns Unterhaltung, Abendunterhaltung, das war, glaube ich, ein sehr sehr wichtiger Impuls, um es dann zu fiktionalisieren und es zu dem zu machen, was es heute ist."
"Stahlnetz" lief von 1958 bis 1968 - und hatte im wahrsten Sinne des Wortes Mörderquoten - kein Wunder, denn zumindest bis 1963 gab es ja noch keinerlei Auswahl im deutschen Fernsehen, das Erste war weit und breit alleine. Ein Jahr zuvor, 1962, hatte ein weiterer Krimi im Ersten seine Premiere - es war ein Straßenfeger, um den so viel Aufregung entstand, wie wohl um kaum einen anderen Fernsehkrimi: die Verfilmung von Francis Durbridge "Das Halstuch".
"Das Halstuch" war ein Mehrteiler, ein klassischer "Who-dunit" - es ging darum, wer nun der Halstuchmörder ist. Alles sah aus nach Studioaufnahmen, aber dennoch hat das "Halstuch" noch heute seinen ganz eigenen Edgar-Wallace-haften Charme. Die Besetzungsliste liest sich wie ein "Who is who" des damaligen deutschen Films - unter anderem hatte Horst Tappert eine Nebenrolle, damals noch als Vikar, Jahre später sollte er seine Karriere als Kommissar Derrick fortsetzen, dann allerdings fürs ZDF, nicht für das Erste.
Richtige Bekanntheit erlangte das "Halstuch" allerdings nicht nur durch die Produktion selbst, sondern durch eine Anzeige des Berliner Kabarettisten Wolfang Neuss, der am Tag der vorletzten Folge in der Berliner Tageszeitung "Der Abend" den Mörder verriet. Das Ganze war der erste richtige Fernsehskandal der Republik. Neuss verteidigte sich in einem Interview:
"Ich habs ja auch nur geraten. Es war eine Hysterie in den Straßen, als ob ich den Stauffenberg verraten habe, dass der nächste Woche den Führer ermorden will. So bin ich mir vorgekommen und so waren auch die Leute zu mir. Das Halstuch an sich war ja gar nicht die Sache wert. Das Volk liebt, das wissen wir auch inzwischen, den Verrat, aber nicht den Verräter. Hätte ich das gewusst, hätte ich mich kleiner gemacht."
Bis zu 75 Prozent Einschaltquote erreichte das "Halstuch", eine für heutige Verhältnisse unvorstellbare Größe. Von derlei Größenordnungen müsse man sich denn auch heute verabschieden, sagt Volker Herres, der Begriff "Straßenfeger" sei heute doch relativ zu sehen:
"Zahlen, wie man sie damals erreichen konnte, erreichen Sie heute kaum noch oder nahezu unmöglich, es gibt Ausnahmen, wenn die Deutschen im Endspiel bei einer Fußballweltmeisterschaft dabei sind, dann haben Sie einen ähnlichen Effekt, aber es gibt es auch bei ganz herausragenden Unterhaltungsshows, als wir seinerzeit mit Lena Meyer-Landruth im Finale des ESC waren und dann am Ende auch gewonnen haben. Aber klar, heute ist der Markt viel fragmentierter, als in den Zeiten, in den Anfängen des Fernsehens."
Seit 43 Jahren im Programm der "Tatort"
Und doch: Das Erste hat noch immer einen Straßenfeger im Programm - einen, über den die Fernsehnation zuverlässig in regelmäßigen Abständen spricht.
Der "Tatort", seit nunmehr 43 Jahren im Programm ist noch immer die zuverlässigste Bank des Ersten. Jeden Sonntag schauen Millionen zu, und folgen den Kommissaren aus Köln, Münster, Ludwigshafen, vom Bodensee oder Berlin. Die Zuschauerquoten sind nach wie vor stabil - kürzlich erreichte der "Tatort" aus Münster sogar über 13 Millionen Zuschauer.
Doch egal, wer da nun gerade ermittelt - der "Tatort" ist sogar bei jüngeren Zuschauern beliebt. Und die schauen ihn nicht nur zu Hause, sondern auch in der Kneipe. Unter anderem, schon seit über zehn Jahren, in der Szenekneipe "Grüner Jäger" in Hamburg-St.Pauli:
"Ich finde, das ist der einzig gute Fernsehkrimi, den es gibt, weil der ist nicht so platt und du weißt nicht von vornherein, was ist, ist ein bisschen sozialkritisch. Ich finde, das ist das einzige, was du dauerhaft zeigen kannst oder was du dauerhaft gucken kannst. Ich kann mich erinnern, ich habe 'Tatort' immer früher mit meinen Eltern sonntags geguckt, und alleine würde ich es nicht machen, weil ich es wirklich gruselig finde."
Angesichts solch treuer Fans kann man schon fast von einem Straßenfeger sprechen.
"Der 'Tatort' ist in der Tat eine grandiose Erfolgsgeschichte, und er zeigt auch die Stärke, die in der föderalen Struktur liegt, wenn man es richtig anstellt, denn der 'Tatort' ist eine verlässliche Marke, man weiß, was man in dem Gefäß 'Tatort' kriegt, Woche für Woche, dem Sonntagskrimi im Ersten, er hat aber unter dem Markendach des 'Tatortes' eine unglaubliche Vielfalt und ist dann ganz nah bei den Menschen in den Regionen, hat dadurch auch eine ganz andere Authentizität als andere Krimiformate es haben können, denn man weiß man ist im Ruhrgebiet, man ist in Berlin, man ist in Bayern, man spürt sofort wo man ist, und das hat sich ausgesprochen bewährt."
Doch die Fernsehkritikerin Klaudia Wick widerspricht: Nicht, weil sie den Erfolg des Tatorts infrage stellen würde, sondern weil ihrer Meinung nach die Regionalität des "Tatorts" eher eine Behauptung, denn eine Tatsache sei. Schon Gunter Witte, der Erfinder und spätere WDR-Fernsehspielchef habe das erkannt. Mal hier ein kurzer Schwenk über den Bodensee, mal dort ein kleiner Akzent eines Schauspielers - mehr Regionalität sei im Grunde im "Tatort" nicht mehr zu finden, meint Wick:
"Es stimmt einfach nicht. Der Kölner 'Tatort' - wer spricht da rheinisch? Es sind immer die Sekretärinnen. In Baden, es ist die Sekretärin, Eva Mattes kommt aus Berlin, die sprechen alle hochdeutsch, es ist einfach eine Fiktion."
"Klara Blum, Kripo Konschtanz, haben Sie gesehen, in welche Richtung der Mann weg ist? - Nee, konnt dem gerade noch ausweichen. - Und Sie auch nicht? - Nee, tut mir leid. - Herr Steinert, ich glaube das hat keinen Zweck hier."
Was auch immer man vom "Tatort" hält - die Sendung beweist, dass das Erste seiner Zeit durchaus einmal voraus war - das gilt auch für eine andere Serie, die 1984 Premiere hatte und damals durchaus revolutionär war - auch wenn sie von den Engländern, von der Serie "Coronation Street" abgeschaut war.
Die erste Soap-Opera mit aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen
Diese Musik erkennt wohl jeder deutsche Fernsehzuschauer wieder – die "Lindenstraße" war die erste Soap-Opera, die explizit aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen mit in die Serie nahm, von den Anti-Atom-Protesten, über die Wende in der DDR bis hin zum ersten Schwulen-Kuss im deutschen Fernsehen. Es ging aber auch um jede Menge Weichspülthemen, die zuweilen auch etwas banal wirkten:
"Weißt du mein Schatz, wenn man Masern hat, dann darf man nicht in die Schule, weil man sonst die anderen Kinder ansteckt. Kommt jetzt trinken wir erst mal was, so, und dann schläfst du erst mal ein bisschen, und später, dann lese ich dir was vor."
"Das Hauptproblem dieser Kritiken war, dass ich jeden Morgen mit dem Team arbeiten musste. Und die Schauspieler teilweise heulend in der Maske saßen, gesagt haben, mir wird hier in der Zeitung sowieso ... , ich kann nicht reden, kann keinen Dialog spielen, ich wär eine beschissene Figur, und da war die Problematik, dass man sie immer wieder motiviert hat", sagt Lindenstraßen-Erfinder und Produzent Hans W. Geißendörfer. Mittlerweile hat sich die Kritik gelegt - was allerdings auch damit zu tun hat, dass die Serie unter den Radarschirm vieler Kritiker gewandert ist und so mancher Aufreger von damals heute keiner mehr wäre.
Mehr als 1.500 Folgen haben die Produzenten, Autoren und Darsteller mittlerweile gedreht - Klaudia Wick meint, dass die Serie damit durchaus langen Atem bewiesen hat:
"Ich weiß auch noch sehr gut, wie die Serie gestartet ist, und wie wir alle sagten: Meine Güte, eine dreiviertel Stunde will der jede Woche herstellen? Das erschien einem damals wahnsinnig, weil Filme hatten 50 Drehtage, und das ist ja heute alles komplett anders. Wir sind insgesamt in einer Zeit, in der alles viel schneller stattfindet, die Lindenstraße ist da auch mitgegangen hat aber nicht mehr dieses Alleinstellungsmerkmal, ist jetzt langsam wenn man Dailys hat, wenn man noch schnellere Medien hat und ich finde halt, dass die soziale Behauptung, die da drinsteckt, diese Wohlanständigkeit, das immer die Debatte abgebildet wird, die jetzt gerade diskutiert wird, aber man weiß irgendwie dass das immer gut ausgeht, dass das vielleicht auch da dem Format diesen Reiz genommen hat, das man das Gefühl hat, man muss da unbedingt hingucken."
Erfinder Hans W. Geißendörfer sagte einmal, dass die Serie beendet würde, wenn die Quoten unter sechs Millionen fallen. Mittlerweile ist sie oft bei unter drei Millionen, und die Serie läuft immer noch. Programmdirektor Volker Herres, meint, dass die Lindenstraße nach wie vor eine starke Marke sei, aber:
"Ich sehe auch, dass man dort ein Stückchen Renovierungsbedarf hat, wenn man auch künftig eine nennenswerte Rolle spielen will, das hat mit der Struktur einer solchen Serie zu tun, Sie haben Figuren, die schon sehr lange dabei sind, das schafft eine hohe Bindung aber sie brauchen auch immer neue Figuren, neue Erzählstränge, also da muss man die Balance immer wieder neu suchen zwischen dem Tradierten, Bewährten und der Erneuerung."
Die "Lindenstraße" ist wohl das beste Beispiel dafür, dass wir in Deutschland, und vor allem in den beiden Hauptprogrammen Das Erste, aber auch im ZDF eine Art "Mittelstandsfernsehen" haben. Der zum Glück noch immer große Mittelstand in Deutschland sieht sich gerne selbst im Fernsehen abgebildet - und das Fernsehen geht nur ungern an die Ränder - vor allem dorthin wo es weh tut, also zu den Armen, Ausgegrenzten und anderen Minderheiten. Das sei aber immer schon so gewesen, konstatiert der Kölner Medienwissenschaftler Dietrich Leder:
"Das heißt, es schlägt sowohl in der inhaltlichen, wie auch in der formalen Ausgestaltung nicht aus. Das was die amerikanischen Serien, auch erst seit 2.000 auszeichnet, radikaler zu sein, frecher zu sein, unverschämter zu sein, schneller sein, das kommt in der deutschen seriellen Unterhaltung kaum, und in dem der ARD gar nicht vor."
Das ist das Versäumnis, meint Dietrich Leder - auch das starre Sendeplatzschema, nach dem jeden Abend nach den "Tagesthemen" eine Talkshow läuft, habe vieles verhindert - etwa interessante Serienprojekte. Doch die Kritik, man gehe zu wenig an die Ränder der Gesellschaft und bilde nur die Mitte ab, kann ARD-Programmdirektor Volker Herres nicht nachvollziehen:
"Wir haben denke ich sehr häufig sogar in unseren fiktionalen Produktionen Figuren, die sagen wir mal gebrochen sind, die eben nicht die heile Welt zeigen, die Luxusvilla, mit den Luxuslimousinen am Stadtrand einer hübschen Großstadt, bessere Verhältnisse, Ärzte, Anwälte, ..., sondern wir haben viele Figuren, die gebrochen sind, und greifen gerade Themen auch Minderheitenthemen auf."
Das Erste und der Blick auf die Quoten
Und in der Tat ist zumindest der Mittwochabendfilm ein Sendeplatz, der auf eine eigene Handschrift setzt. Das Erste hat hier schon Themen wie Kindesmissbrauch, Identitätsdiebstahl, Mobbing, Gewalt in der Schule und viele andere aktuelle gesellschaftliche Themen aufgegriffen. Und doch hat man das Gefühl, dass das Erste zu sehr auf die Quote schaut - was nicht läuft fliegt raus - und was gut läuft, da wirft man schon mal Bedenken über Bord, da gibt es dann schon mal einen ganzen Abend über Helene Fischer, kritisiert der Medienwissenschaftler Dietrich Leder:
"Das ist für ein öffentlich-rechtliches Programm zu wenig, und das ist vor allem dann zu wenig, wenn man daran denkt, dass sich der deutsche Fernsehmarkt in den kommenden fünf oder zehn Jahre verändert."
Der starre Blick auf die Quoten hat vor 20 Jahren begonnen - damals hieß der Programmdirektor Günter Struve. Leider stand er für diese Sendung nicht für ein Interview zur Verfügung. Struve ist heute Pensionär und äußert sich nicht mehr zu seiner Zeit als ARD-Programmdirektor.
Dietrich Leder meint, dass damals in den 90er-Jahren die öffentlich-rechtlichen geradezu panisch auf die zunehmend erfolgreiche Konkurrenz der Privaten reagiert hätten:
"Günter Struve wurde in der Zeit, als die Krise am größten war, Programmdirektor, und er hat tatsächlich auf diese Krise reagiert. Er ist der erste Programmdirektor gewesen, der stärker eingegriffen hat, der versuchte, einzuwirken, dass die Landesrundfunkanstalten publikumsfreundlicher, so wie er es sagte, reagierten. Da war Innovation dabei, da war Modernisierung dabei, aber auch, und das ist vielleicht der Nachteil bis heute eine viel stärkere Formatierung, und vor allem, damals begann der Quotenfetischismus weil Günter Struve eigentlich dann doch nur die Quote gelten ließ, weil ihn, so böse wäre ich heute, am Fernsehen sonst nicht viel interessierte."
Zukunft des Ersten
Doch wie wird sich das Erste in den nächsten Jahren verändern? Werden immer mehr neue Player am Zeitbudget der Zuschauer knabbern? Immerhin schauen immer mehr, gerade junge auch Streamingdienste wie netflix, maxdome und andere. Und überhaupt: Was ist denn mit den jungen Zuschauern? Kann man die überhaupt noch adäquat ansprechen? Immerhin plant die ARD einen eigenen Jugendkanal, zwar nur im Netz, aber immerhin. So beschlossen es kürzlich die Ministerpräsidenten. Medienwissenschaftler Dietrich Leder meint, wenn es gute Programme gibt, werden auch die Jüngeren einschalten:
"Ich glaube, je selbstbewusster man eine Programmsorte entwickelt, je intensiver man sie bearbeitet, je mehr man dort auch ausprobiert, das ist auch das Beispiel des 'Tatort', desto attraktiver wird man auch für jüngere Zuschauer. Man wird das nicht, in dem man sagt, ich will unbedingt für die ein Programm, sondern ich muss das Programm, das ich da habe, also Krimi Sonntagabends Polizeithriller, wenn ich da anfange, andere Figuren, andere Erzählweisen auszuprobieren, dann bin ich lebendig und dann bin ich attraktiv."
Ob man so die Jungen wieder vor den Bildschirm holt, sei mal dahingestellt, in jedem Fall beweist die Konkurrenz des ZDF, das man mit Sendungen wie der "heute show", oder ab nächstem Jahr auch im Hauptprogramm das "neomagazin" mit Jan Böhmermann, dass man durchaus die jungen Zuschauer bekommen kann. Volker Herres meint, auch das Erste könne kreativ sein, daher müsse einem auch vor der Konkurrenz der Streamingdienste wie netflix oder maxdome nicht bange sein:
"Ich glaube, für die absehbare Zeit, reden wir mal über die nächsten fünf bis zehn Jahre, wird natürlich noch lineares Fernsehen eine ganz dominante Rolle spielen, heute wird es manchmal so dargestellt, nur noch online, und lineares Fernsehen sei so etwas, wo man sagt, naja, Dinosaurier, die werden in Kürze aussterben, und das war's dann. Das glaube ich nicht und ich könnte das auch mit vielen Belegen unterfüttern."