Friedbert Meurer: Vor 25 Jahren wurde der damalige Vorstandssprecher der Deutschen Bank, Alfred Herrhausen, ermordet. Gestern war Jahrestag. Der 30. November 1989, nur kurz nach dem Fall der Mauer in Berlin also. Herrhausen wohnte in Bad Homburg damals und wird wie jeden Morgen von seinem Chauffeur in einer schwarzen Mercedes-Limousine nach Frankfurt in die City gefahren. Ein Augenzeuge schildert danach seine Beobachtungen.
Meurer: Eine schwere Erschütterung um 8:30 Uhr in Bad Homburg. Alfred Herrhausen kam ums Leben, sein Chauffeur dagegen hat den Anschlag wie durch ein Wunder nur leicht verletzt überlebt. - Nach 25 Jahren ist der Fall immer noch nicht aufgeklärt. Es gab eine Reihe von Ermittlungspannen, unglaubwürdige Zeugen, vielleicht wurden sogar, so eine Behauptung, Spuren von den Behörden selbst verwischt oder falsch ausgelegt. Heute Abend um 23:30 Uhr strahlt die ARD jetzt eine Dokumentation aus, die zu dem Ergebnis kommt, die Spur führt in den Libanon. Die RAF hätte technische Unterstützung von Spezialisten aus dem Nahen Osten erhalten.
Wolfgang Kraushaar, Politikwissenschaftler am Hamburger Institut für Sozialforschung, publiziert seit Jahrzehnten zum linken Terrorismus in Deutschland. Guten Tag, Herr Kraushaar.
Wolfgang Kraushaar: Guten Tag, Herr Meurer.
Meurer: Diese Bombe, die damals in Bad Homburg gezündet wurde, warum hat man von Anfang an sich überlegt, kann das tatsächlich RAF-Handschrift sein?
Kraushaar: Ja, es hat von Anfang an tatsächlich starke Zweifel gegeben. Es gibt eigentlich keinen einzigen Experten, der sich gemeldet hätte und der behauptet hätte, dass die RAF dazu in der Lage gewesen wäre, eine solche Attentatstechnik zu verwenden.
Man muss kurz sagen, worin die Besonderheit bestanden hat. Es ist ja eigentlich keine klassische Bombe, sondern eher eine Sprengfalle gewesen, eine Sprengfalle, die erstens durch eine Lichtschranke ausgelöst worden war, und dieser Explosivkörper befand sich auf dem Gepäckträger eines Fahrrades und darin wiederum war eine Kupferplatte, die mit sieben Kilogramm TNT beschichtet gewesen war. Und durch den Explosionsvorgang hat sich diese Kupferplatte zu einem Projektil verformt, das dann dazu in der Lage war, den gepanzerten Mercedes von Alfred Herrhausen zu durchschlagen. Das ist eine absolute Besonderheit, die es erstmalig eine Woche zuvor bei einem Attentat auf den libanesischen Minister oder beziehungsweise Staatspräsidenten Moawad in Anwendung gegeben hatte, und Moawad saß ebenfalls in einem Mercedes-Fahrzeug und ist dabei ums Leben gekommen. Das ist eine wirklich ganz frappierende Ähnlichkeit und dieser Spur ist nun Egmont R. Koch nachgegangen.
Man muss kurz sagen, worin die Besonderheit bestanden hat. Es ist ja eigentlich keine klassische Bombe, sondern eher eine Sprengfalle gewesen, eine Sprengfalle, die erstens durch eine Lichtschranke ausgelöst worden war, und dieser Explosivkörper befand sich auf dem Gepäckträger eines Fahrrades und darin wiederum war eine Kupferplatte, die mit sieben Kilogramm TNT beschichtet gewesen war. Und durch den Explosionsvorgang hat sich diese Kupferplatte zu einem Projektil verformt, das dann dazu in der Lage war, den gepanzerten Mercedes von Alfred Herrhausen zu durchschlagen. Das ist eine absolute Besonderheit, die es erstmalig eine Woche zuvor bei einem Attentat auf den libanesischen Minister oder beziehungsweise Staatspräsidenten Moawad in Anwendung gegeben hatte, und Moawad saß ebenfalls in einem Mercedes-Fahrzeug und ist dabei ums Leben gekommen. Das ist eine wirklich ganz frappierende Ähnlichkeit und dieser Spur ist nun Egmont R. Koch nachgegangen.
Meurer: Sie haben diese Dokumentation schon gesehen. Jetzt gibt es zwei Möglichkeiten. Einmal: Es war gar nicht die RAF. Zweite Möglichkeit: Die RAF bekam Unterstützung. Was ist plausibel?
Kraushaar: Letzteres ist am wahrscheinlichsten - nicht nur deshalb, weil es in der Tat ein Bekennerschreiben der RAF gegeben hat, das als glaubwürdig galt, sondern weil es die hohe Wahrscheinlichkeit gibt, dass die RAF auch in dieser Hinsicht die technische Unterstützung einer terroristischen Organisation im Nahen Osten für sich in Anspruch genommen hat, und zwar die PFLP, die Volksfront für die Befreiung Palästinas. Und da gab es eine jahrelange Kooperation, die spätestens sichtbar geworden ist durch die Entführung der Lufthansa-Landshut-Maschine im Oktober 1977 nach Mogadischu, denn damals hat eine Gruppe dieser PFLP sozusagen eine Unterstützungsaktion der RAF durchgeführt, indem sie nämlich deutsche Touristen entführt hatte.
Meurer: Das war ja zu dem Zeitpunkt, 1989 beim Herrhausen-Attentat, zwölf Jahre her, die Entführung der Landshut durch PFLP-Terroristen. Warum sollten die erst zwölf Jahre später dann wieder die RAF unterstützen?
Kraushaar: Das bedeutet ja nicht wieder, sondern es ist durchaus möglich, dass es diese Unterstützung kontinuierlich weiter gegeben hat, und insofern ist es sehr wahrscheinlich, dass man auf eine solche Kooperation hat zurückgreifen können. Das ist zwar ein vergleichsweise großer Zeitabstand gewesen. Dennoch aber ist dieser nicht unwahrscheinlich, denn die RAF ist nach aller Wahrscheinlichkeit nicht dazu in der Lage gewesen, eine solch innovative Sprengfalle und eine solche damit verbundene Technik überhaupt in Anschlag gebracht zu haben.
Meurer: Herr Kraushaar, was versprachen sich denn die palästinensischen Terroristen von der Kooperation mit der RAF?
Kraushaar: Zunächst mal gab es natürlich Zielsetzungen, die sie miteinander verbunden hat, die man als anti-imperialistisch bezeichnet hat. Aber es gab eine ganz andere Bezugsebene noch, die vermutlich von den RAF-Terroristen in den 70er-Jahren gar nicht selbst durchschaut worden ist, denn jemand wie Wadi Haddad, der damalige Kopf der PFLP Special Command, hat unter dem Decknamen "Nationalist" für den KGB gearbeitet seit 1970. Insofern gibt es noch diese Spur und diese Dimension des Kalten Krieges, in die wiederum die RAF durch die Kooperation mit der PFLP eingebunden gewesen sein könnte.
Meurer: Es gibt noch eine andere Theorie, eine andere Spur. Die führt zum deutschen Verfassungsschutz selbst. Ein Feature hier im Deutschlandfunk aus den 90ern ist gerade erst vor wenigen Wochen wiederholt worden, zeigt, dass der Verfassungsschutz nicht nur sich Ermittlungspannen zu Schulden kommen ließ, sondern zum Beispiel einen wichtigen Zeugen unter Druck gesetzt hätte, eine bestimmte Aussage zu treffen. Man denkt da natürlich an den NSU-Skandal. Welche Rolle spielte der Verfassungsschutz?
Verfassungsschutz hat sehr wahrscheinlich eine große Rolle gespielt
Kraushaar: Der Verfassungsschutz hat sehr wahrscheinlich eine große Rolle dabei gespielt, denn derjenige, von dem die Zeugenaussage, die vermeintliche Zeugenaussage stammte, war ja ein V-Mann des hessischen Landesamtes für Verfassungsschutz, Siegfried Nonne, der ja zunächst mal den Ermittlern gegenüber dargestellt hat, wer seiner Ansicht nach und seiner Beobachtung nach an diesem Herrhausen-Attentat beteiligt gewesen wäre. Dann hat er das vor laufender Kamera einige Monate später in einer Sendung des Politmagazins "Monitor" widerrufen und später hat er noch einmal den Widerruf widerrufen. Dieser Mann scheint, von einer sehr labilen Identität geprägt gewesen zu sein, denn er ist damals auch mehrfach in psychiatrischer Behandlung gewesen, und insofern galt dessen Aussage als völlig wertlos.
Die Tatsache, dass sich ein Landesamt für Verfassungsschutz eines solchen Mannes bedient hat und versucht hat, diese Zeugenaussage als glaubhaft hinzustellen, ohne das offenbar weiter zu überprüfen, ist natürlich höchst fragwürdig.
Die Tatsache, dass sich ein Landesamt für Verfassungsschutz eines solchen Mannes bedient hat und versucht hat, diese Zeugenaussage als glaubhaft hinzustellen, ohne das offenbar weiter zu überprüfen, ist natürlich höchst fragwürdig.
Meurer: Wolfgang Kraushaar, Politologe am Hamburger Institut für Sozialforschung - heute Abend in der ARD die Doku zur RAF: "Die Spur der Bombe - Neue Erkenntnisse im Mordfall Herrhausen". Herr Kraushaar, danke und auf Wiederhören.
Kraushaar: Auf Wiederhören!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.