Paris am 13. November 2015, Frankreich erlebt den blutigsten Angriff seit dem Zweiten Weltkrieg. Mehr als 130 Menschen werden getötet. Die meisten von ihnen sterben im Konzertsaal Bataclan, in dem die Angreifer zunächst wahllos in die Menge schießen. Dann beginnen die Hinrichtungen:
"Man hörte die Leute flehen‚ töte mich nicht. Ich bin schwanger, ich bin Vater. Bitte. Dann - ein Schuss. Sie wollten uns spüren lassen, dass sie wahllos um sich schießen und dann die Leute einen nach dem anderen töten können – durch das Geräusch der Kugeln."
Erinnert sich Aymeric Philonenko. Er hat das Blutbad überlebt, kämpft im Interview aber auch ein halbes Jahr danach ständig mit den Tränen. Nicht nur für ihn ist in dieser Nacht das Unbegreifliche passiert. Die Behörden in Europa müssen einräumen, dass sie die Gefahr unterschätzt hatten:
"Was wir nicht in der Ausprägung auf dem Schirm hatten, das muss man so klar sagen, ist eine solche Netzwerkbildung in diesem Umfang, dass wir sagen, dass wir sehen, dass Rückkehrer eine sehr starke Rolle spielen, Daheimgebliebene eine starke Rolle spielen."
Erklärt Holger Münch, Präsident des Bundeskriminalamts. Bis zu 5.000 Europäer sind seit Beginn des Kriegs nach Syrien und in den Irak ausgereist. Die meisten von ihnen haben sich dem sogenannten islamischen Staat angeschlossen. Der hatte aber nicht nur Verwendung für sie im Krieg mit Assad, erklärt Rob Wainwright, Direktor von Europol:
"Wir wissen aus den zahlreichen Ermittlungen, die Europol unterstützt, dass der IS ein Team für externe Operationen gegründet hat. Dieses Kommando arbeitet wahrscheinlich in Raqqa - trainiert und plant ausgeklügelte Anschläge im Westen."
Auftraggeber sind immer noch aktiv
Die Europäer kennen sich dort aus, wo der IS zuschlagen will, ein großer Vorteil für die Strategen im Hintergrund. Und sie haben oft Verbindungen in kriminelle und radikale Kreise in ihrer Heimat, können selbst rekrutieren. Das bekannteste Beispiel dafür ist der Belgier Abdelhamid Abaaoud, der Drahtzieher der Anschläge von Paris. Zwar ist er kurz nach den Anschlägen getötet worden – die Auftraggeber sind aber immer noch aktiv:
"Dieses Team plant immer noch Anschläge. Wir glauben, dass möglicherweise schon weitere Terroristen in Europa sind oder bald geschickt werden könnten."
Lange rätselten die Behörden, wer der der Kopf dieses Teams sein könnte. Mittlerweile gehen die Geheimdienste davon aus, dass es der Syrer Abu Mohammed al-Adnani ist. Aus seinem Umfeld bekamen die Attentäter von Paris und Brüssel wahrscheinlich ihre Anweisungen. Erst kürzlich hat sich al-Adnani mit einer Botschaft an den Westen gemeldet, zu Terrorakten in den USA und Europa aufgerufen.
Bedrohungslage bleibt hoch - auch in Deutschland
"Wenn man sich die Propaganda des IS anschaut, und nicht nur die Propaganda auch die Erkenntnisse, die wir haben, dann steht Europa klar im Zielspektrum des IS, und damit auch Deutschland. Da bilden wir keine Ausnahme. Wir sind ja keine Insel der Glückseligen. Also das heißt, die ernstzunehmende Bedrohungslage haben wir auch hier."
Die Aussage eines IS-Rückkehrers bestätigt die Einschätzung von BKA-Präsident Holger Münch: Der Bremer Harry S. erzählt den deutschen Behörden, der Islamische Staat suche sogar dringend nach deutschen Freiwilligen, man habe ihn regelrecht gedrängt, einen Anschlag in Deutschland zu planen. Der IS hätte auch schon Kontakt mit Leuten in Deutschland gehabt, aber die hätten immer kalte Füße bekommen. Franzosen etwa habe man für Anschläge im Überfluss. Auch Belgier haben schon bewiesen, dass sie nicht vor blutigen Angriffen zurückschrecken.
"Daraus kann man erkennen, welches Potential in diesen Ländern vorhanden ist. Das ist sicherlich ein großes Problem. Sie haben daneben auch solche Milieus, die offensichtlich sehr stark durch Islamisten geprägt sind. In dieser Form haben wir das Gottlob, in Deutschland nicht."
Trotzdem bleibt die Gefahr für weitere Anschläge hoch, bei unseren Nachbarn – und auch in Deutschland.