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ARD-Doping-Experte: Armstrongs Rückzug kommt "einem Schuldeingeständnis gleich"

Zwar fehlt der letzte endgültige Beweis. Doch die Indizienkette ist erdrückend. Der siebenfache Tour-de-France-Sieger Lance Armstrong wird voraussichtlich alle seine Titel verlieren. Das könnte einen Dominoeffekt haben, denn auch die Nachrücker auf den Siegerlisten stehen zum Teil unter Doping-Verdacht.

Hajo Seppelt im Gespräch mit Christine Heuer |
    Christine Heuer: Siebenmal in Folge in den Jahren 1999 bis 2005 hieß der Sieger der Tour de France Lance Armstrong. Seit Langem hegen Beobachter den Verdacht, dass Armstrong das nur schaffen konnte, weil er sich dopte. Heute hat die US-amerikanische Anti-Doping-Agentur angekündigt, dass Armstrong alle seine Tour-Titel entzogen und er lebenslang für den Radsport gesperrt wird. Zuvor hatte der Texaner einen Rechtsstreit über die gegen ihn gerichteten Vorwürfe aufgegeben.
    Am Telefon ist jetzt der ARD-Doping-Experte Hajo Seppelt. Herr Seppelt, hat Lance Armstrong damit, dass er im Rechtsstreit aufgegeben hat, das Doping zugegeben?

    Hajo Seppelt: Na ja, formal hat er das natürlich nicht zugegeben. Aber es kommt aus meiner Sicht trotzdem quasi einem Schuldeingeständnis gleich, denn wenn man weiß, wie Lance Armstrong über Jahre hinweg Anwälte, massenhaft Anwälte, Rechtsberater, Lobbyisten beschäftigt hat, um diesen Doping-Vorwurf aus der Welt zu schaffen, und jetzt plötzlich genau die entgegengesetzte Strategie wählt, dann ist das für mich ein klarer Wink mit dem Zaunpfahl, der deutlich macht, dass offensichtlich er erkannt hat, dass er gegen die Indizien, gegen die Beweise, gegen die Zeugenaussagen, die es in einer Form und in einem Ausmaß wie in keinem anderen Doping-Fall der Welt bisher vergleichsweise gegeben hat, dass er gegen die offensichtlich nichts ausrichten kann, und natürlich weiß er ganz genau, dafür ist er zu clever, dass ein öffentliches Verfahren in den USA, das dann auch tage- und wochenlang oder vielleicht sogar monatelang durch die Medien geht, ihm selbst sehr, sehr massiv schaden würde, aber natürlich auch dem Anliegen seiner Krebsstiftung, und das kann nicht in seinem Sinne sein.

    Heuer: Und deshalb verzichtet er darauf, sich gerichtlich gegen die Vorwürfe weiter zu wehren?

    Seppelt: So sieht es aus, wobei jetzt noch interessant sein wird, ob er sich möglicherweise gegen die Form der Sperre wehren wird, denn er hat jetzt zwar quasi zugegeben damit oder eingeräumt und anerkannt, dass man ihn nun sperren kann. Gleichwohl ist ja noch gar nicht klar, ob er nicht gegen die Höhe der Sperre – es ist ja lebenslang, was jetzt zur Debatte steht – vielleicht sich noch zur Wehr setzen wird, obwohl ich auch hier die Chancen als äußerst gering einschätzen würde. Denn das muss man einfach mal ganz deutlich sagen: Es handelt sich hier um einen Fall, bei dem es sportrechtlich betrachtet mal wieder keine positive Doping-Kontrolle gibt. Es gab eine im Jahre 2005, da hatte man damals Proben aus dem Jahre 1999 aufgemacht, die haben Spuren von Epo gezeigt, aber man konnte eben sechs Jahre später die nicht mehr verwerten, weil dann die B-Probe, die nötig gewesen wäre, einfach nicht mehr zur Verfügung stand. Aber es hat deshalb nie irgendetwas gegeben, was man bei einem ganz normalen positiven Doping-Test eben haben würde, nämlich der endgültige Beweis. Aber es gab eben die ganzen Indizien, die Zeugenaussagen, und das hat hier ausgereicht, und wenn das schon so massiv wirkt und klar ist, dass da nichts zu machen ist, dann zeigt es, dass Armstrong in einer aussichtlosen, in einer hoffnungslosen Position war.

    Heuer: Nun ist ja auch der deutsche Fahrradprofi Jan Ullrich des Dopings überführt worden. Dreimal war er bei der Tour de France Z0weiter, und zwar hinter Lance Armstrong. Bekommt er jetzt die Titel?

    Seppelt: Das kann natürlich passieren. Das sehr, sehr konsequente, das stringente Vorgehen der US-Anti-Doping-Agentur, der Usada – übrigens aus meiner Sicht vorbildhaft auch für andere Anti-Doping-Agenturen in der Welt -, könnte jetzt zur Folge haben, dass er erst mal disqualifiziert wird, und dann ist die UCI, der Welt-Radsportverband, dran, respektive die ASO, die Tour-Organisation in Paris, die dann die Titel aberkennen würden, und so sieht es ja momentan aus. Wir rechnen damit sogar schon eventuell heute oder morgen. Und dann wäre es tatsächlich so, dass bei drei zweiten Plätzen von Jan Ullrich er automatisch aufrücken würde, übrigens auch Andreas Klöden, der deutsche Radprofi, der ja auch jetzt sich neuerdings wieder mit alten Doping-Vorwürfen beschäftigen muss. Die Nationale Anti-Doping-Agentur ermittelt wahrscheinlich gegen ihn wegen Blutdopings vor ein paar Jahren und das könnte bedeuten, dass die beiden deutschen Radsportler, Ullrich dreimal und Klöden einmal, plötzlich nachträglich zu Tour-Siegern ernannt würden. Ullrich hat schon zu erkennen gegeben, durch die Blume, zwischen den Zeilen in seinen Statements, dass er auch ein Teil dieses Doping-Systems gewesen ist, dass er mit den zweiten Plätzen auch zufrieden sei. Klöden hat ja Doping immer vehement bestritten. Ich prognostiziere, es wird jetzt hier einen Dominoeffekt geben, denn wenn die Siegerlisten in diesem sporthistorisch einmaligen Vorgang neu geschrieben werden, dann wird es zahlreiche Debatten und Diskussionen über die Rechtfertigung einer solchen Maßnahme geben, und ich denke, das Kapitel Lance Armstrong ist zwar, was ihn persönlich betrifft, damit abgeschlossen, aber nicht, was die Konsequenzen angeht.

    Heuer: Das wäre dann allerdings ein sehr bizarres Ergebnis der Causa Armstrong. Ist denn die Strafe gegen Lance Armstrong aus Ihrer Sicht angemessen?

    Seppelt: Ich finde das angemessen. Wenn einer von 1998 bis 2009 oder 10 – so lauten ja die Vorwürfe, wenn ich mir die Unterlagen genau anschaue – gedopt hat oder auch dafür gesorgt hat, dass andere dopten, indem er mit Doping-Mitteln handelte, dann ist das ein sehr, sehr schwerwiegender Vorgang, gegen den er nun offensichtlich nichts mehr zu sagen hat, kein Veto mehr eingelegt hat, dass es ein Doping der besonders schweren und scharfen Form ist und alle mutmaßlich wirklich richtig gefährlichen, aber eben auch wirkungsvollen Methoden wie Blut-Doping angewendet wurden, Epo, Wachstumshormone, wahrscheinlich all das klassische Potenzial, was man da so kennt. Insofern, muss ich sagen, halte ich das für völlig angemessen. Und übrigens muss man auch mal sich vor Augen führen, dass Armstrong natürlich auch über Jahre lang das alles vehement abgestritten hat, solange er glaubte, da noch Chancen zu haben, und jetzt das quasi einräumt oder irgendwas anderes, dass er da klein beigibt. Ich finde, dass auch das Verhalten von Armstrong hier wirklich nicht gerade vorbildhaft gewesen ist, und insofern: unterm Strich finde ich das alles angemessen und richtig.

    Heuer: Der ARD-Doping-Experte Hajo Seppelt.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.