Eigentlich konnte er nur auf dieser Straße eine Art zu Hause finden, auf der Maximilianstraße in München – zwischen Opernbühne und Theatervorhang. Dort eröffnete Rudolph Moshammer Ende der 60er Jahre seine Boutique und schuf damit einen weiteren Ort für Rollenspiele in München: Er selbst inszenierte sich hier, wenn er jeden Morgen perfekt gekleidet seinen Rolls-Royce verließ, wenn er zwischen Mutter Else und Hündin Daisy im Geschäft stand und sich nicht zu schade war, Schaulustigen zuzuwinken. Dass hinter der Lust am Rollenspiel auch ein Schuldgefühl steckte, das Wissen, den Vater als Alkoholiker allein gelassen zu haben, machte "Mosi" für die Münchner Klatschgesellschaft nur noch interessanter. Regisseur Alexander Adolph hat aus dieser Figur nun einen Spielfilm gemacht: "Der große Rudolph"
Da liegt er im Bett, der "große Rudolph". Ein zerknautschter, unförmiger Mann ist er an diesem Morgen und vor allem ohne all das, was ihn sonst schmückt: Perücke, maßgeschneiderter Anzug mit Goldknöpfen, ausgefallene Krawatte. Zu diesem Mann müsse er in zehn Minuten wieder geworden sein, ermahnt ihn seine Mutter da bereits, schließlich sei ein Journalist unterwegs zu ihm, der die Verkaufszahlen der Boutique wieder nach oben treiben solle – im Gegenzug aber eine starke Geschichte erwarte, etwas Persönliches.
Rudolph: Bring ihn her und seine Kamera auch, die geschissene.
Mutter: So nicht. Das ist nicht schön….
Rudolph: Ich find das auch nicht schön. Ich will niemanden sehen.
Mutter: So nicht. Das ist nicht schön….
Rudolph: Ich find das auch nicht schön. Ich will niemanden sehen.
Ein unsicherer Charakter
Regisseur und Drehbuchautor Alexander Adolph nähert sich eher dem Menschen Moshammer an als dem Modemacher – erzählt von einem unsicheren Charakter, der ebenso sanft wie aggressiv sein kann, immer von der Angst getrieben, dass ihm die Liebe entzogen werden könnte. Erzählt von einem Verkäufer, der die Gefühle seiner Kunden sehr genau erspürt und für sich nutzt, und vor allem: von einem Sohn, loyal in jeder Situation, ohne zu übersehen, dass die Liebe der Mutter ihn ebenso schützt wie erdrückt.
"Moshammer hatte den Mut, in einer Gesellschaft, die ja ziemlich chauvinistisch war, die Gesellschaft der 80er Jahre war weit chauvinistischer als unsere, mit seiner Mutter zu erscheinen und diese Beziehung zur Mutter auch zu leben. Und ich glaube, dass die Mutter und auch die Armut, aus der die beiden kamen, sehr wichtig war. Und insofern gehört das mit dazu, das macht ihn aus."
Fiktionales Element
Ein Gefühl für diese Herkunft vermittelt Alexander Adolph auf fiktionalem Weg, steht im Zentrum des Films doch eine Episode, die so nie stattgefunden hat: Um mehr Gewinn zu machen, wird ihm geraten, eine Frau anzustellen – jung und attraktiv solle sie sein, ein Lockvogel für den reichen Adel. Moshammer stellt nun keine Frau dieses Formats an, sondern Evi, ein unscheinbares Mädchen, unbeholfen, unsicher und damit eine Spiegelfigur Moshammers, der er zu einem neuen Selbstbild verhelfen will und sie dafür zunächst in ungewohnt eleganter Kleidung vor den Spiegel stellt.
Moshammer: Wen sehen Sie jetzt? Eine junge italienische Gräfin, eine Contessa. Sie kommt gerade aus dem Kloster zurück ins Schloss ihrer Eltern. Ein Abenteuer liegt vor ihr.
Evi: Aber ich komm aus Augsburg und meine Mutter hat einen Waschsalon.
Moshammer: Ja, deswegen dürfen Sie doch was Besonderes sein. Der Mensch entsteht immer wieder aus dem Moment heraus.
Evi: Aber ich komm aus Augsburg und meine Mutter hat einen Waschsalon.
Moshammer: Ja, deswegen dürfen Sie doch was Besonderes sein. Der Mensch entsteht immer wieder aus dem Moment heraus.
Zwischen künstlich und künstlerisch
In diesem Satz steckt die ganze Kunst der Kostümierung und Verwandlung, für die Moshammer zum Symbol wurde mit seinem Lächeln und seiner Sprache – zwischen künstlich und künstlerisch. Diesen Meister des Rollenspiels gibt Thomas Schmauser sehr überzeugend, sicher auch, weil er sich nicht nur am äußerlich sichtbaren Spiel abarbeitete.
"Von innen – ich hab quasi versucht zu verstehen, woher das kommt, dieser Wunsch, sich so präsentieren zu wollen, so an einer Form zu arbeiten. Und dann habe ich versucht, die kleinen Schritte, einzeln nachzugehen – auch die Körperlichkeit, die Sprache, wie er spricht: Das ist ja kein bayrisches Folklore, sondern eine Sprache, die er fast selbst erfunden hat. Und das hab ich versucht sozusagen nachzutasten."
Die Lust an der Inszenierung teilt der Film mit seinem Protagonisten, oder besser: Er feiert sie mit ihm. Zum Beispiel, wenn Moshammer in seinem Rolls-Royce durch die Münchner Prachtstraßen fährt, der Chauffeur dazu Opernarien aufdreht und die Kamera die Stadt in Untersicht einfängt – sie noch prächtiger, noch pompöser aussehen lässt. München, könnte man einwenden, dieses provinzielle Städtchen? Schon gut, aber so etwas Profanes wie die Realität geht doch niemanden etwas an, und zufrieden geben sollte man sich mit ihr sicher nicht.
"Der große Rudolph", heute Abend im Ersten, 20.15 Uhr