Der Protest gegen eine geplante Programmumgestaltung der ARD-Politmagazine und des Auslandmagazins "Weltspiegel" wurde in den vergangenen Tagen immer lauter. Es gab viel Kritik an den Plänen und Offene Briefe von Redaktionen, Autorinnen und Autoren, Korrespondentinnen und Korrespondenten. Sie warfen der ARD-Programmdirektion um Christine Strobl vor, die investigative Berichterstattung zu beschneiden, ein "fatales Signal" zu senden und am Kernauftrag der Öffentlich-Rechtlichen zu sparen.
Dieser Kritik widersprach Strobl im Interview mit @mediasres: "Es geht nicht um ein Einsparprogramm - das ist das Allerwichtigste vorneweg. Deswegen geht es auch nicht um einen Rotstift, sondern wir haben uns mit der Frage beschäftigt: Wie wollen wir Das Erste und die Mediathek konsequent zusammendenken?"
Sie könne allerdings nicht ausschließen, dass es nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgericht über den Rundfunkbeitrag möglicherweise zu Einsparungen kommen müsse, so die Programmdirektorin.
Neue Konkurrenz durch Streaminganbieter
Mit dem aktuellen Maßnahmenpaket wolle man die Kernkompetenzen der ARD hervorheben und durch eine Stärkung der Mediathek sowohl mehr jüngere Menschen erreichen als auch finanzkräftigen globalen Streamingdiensten wie Netflix oder Amazon im Bereich der Dokumentationen Paroli bieten: "Wir wollen nicht zulassen, dass wir dieses Feld, indem wir so stark sein wollen und stark sein sollten wie nur irgendwie möglich, den anderen überlassen", so Strobl.
Die kritischen Stimmen der Programmmacherinnen - und macher wolle die ARD-Programmdirektion nun in Gesprächen von ihrer Reform überzeugen: "Wir werden jetzt die nächsten Wochen in Diskussionen mit einzelnen Redaktionen, mit einzelnen Redakteuren, mit Auslandskorrespondenten einsteigen und genau das nachholen, was wir eigentlich von Anfang an gerne getan hätten, um wieder zu einer versachlichten Diskussion zurückzukommen."
Das Interview im Wortlaut:
Mirjam Kid: Stoßen sie mit den möglichen Kürzungen einen Dolch gerade in das Herz des ARD-Programmauftrags?
Christine Strobl: Na ja, das Gegenteil ist der Fall. Insofern tue ich das gar nicht. Ich will ich auch gleich mal mit einer Aussage aufräumen, die aus meiner Sicht überhaupt bestimmt: Es geht nicht um ein Einsparprogramm - das ist das Allerwichtigste vorneweg. Deswegen geht es auch nicht um einen Rotstift, sondern wir haben uns mit der Frage beschäftigt: Wie wollen wir Das Erste und die Mediathek konsequent zusammendenken? Das hat im Übrigen vorher niemand gemacht und ist deswegen auch komplett neu.
Und deswegen geht es uns darum: Wie schaffen wir es mit unserem Kernkompetenzen - genau der politischen Meinungsbildung und der investigativen Recherche - auch jüngere Menschen wieder stärker zu erreichen, als wir es heute tun? Wir brauchen mehr und anderes, und darum geht es. Und keinesfalls darum, unsere Kernkompetenz in irgendeinem Punkt zurückzufahren. Das ist einfach schlicht falsch.
"Wieder jüngere Menschen erreichen"
Kid: Sie wollen reinvestieren und dabei eben auch die Mediathek stärken, und dafür sind keine zusätzlichen Gelder vorhanden. Das bedeutet, Sie müssen umschichten. Da ist dann die Frage: Welche Gelder von welchen Produktionen verlagern sie dann, um Geld zur freien Verfügung zu haben für diese Projekte? Und die Kolleginnen und Kollegen von "Panorama", "Monitor", "Kontraste", "Fakt", "Report Mainz", "Report München", die sehen sich jetzt bedroht, weil jeweils statt 15 zum Beispiel nur noch 11 Mal im Jahr Magazinsendung laufen sollen. Das bedeutet eine Reduzierung der Sendetermine von 90 auf 66. "Die Story im Ersten", die vom Montagabend wegwandern soll, die scheint auch in einem ungewissen Zustand zu sein. Inwiefern reden wir dann nicht von Kürzungen und Einsparungen, gerade in dem Bereich?
Strobl: Wir reden in keinem Bereich von Kürzungen und Einsparungen. Ich kann im Übrigen nicht ausschließen - um das auch offen zu sagen - dass es ein weiteres Maßnahmenpaket nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts geben muss, das dann tatsächlich mit Einsparungen zu tun hätte.
Dieses Maßnahmen-Paket hat damit aber überhaupt nichts zu tun, sondern es geht einzig um die Frage, wie wir uns aus unserer Komfortzone heraus bewegen und es schaffen, auch wieder jüngere Menschen zu erreichen. Uns geht es darum, längere Stücke zu bekommen aus den Magazinredaktionen, nicht nur Magazinbeiträge zu bekommen, damit wir die eigenständigen Angebote für die Mediathek bekommen, die wir so dringend brauchen.
Wir haben eine Konkurrenzsituation, die sich dramatisch verändert. Wir haben große internationale Player, die hier in den Markt drängen, die mit gigantischen Budgets gerade im Feld der Dokumentation uns angreifen. Und ich will und kann, und wir wollen das nicht zulassen, dass wir in diesem Feld, indem wir so stark sein wollen und stark sein sollten wie nur irgendwie möglich, dieses Feld anderen überlassen. Es geht uns ja darum, mit unseren Inhalten, mit unseren Recherchen, mit unseren Themen an die gesamte Bevölkerung zu kommen. Und das ist die Aufgabe, um die es geht, um nichts anderes.
Diskussionen mit Redaktionen geplant
Kid: Das klingt ja erst einmal höchst plausibel und auch die Konkurrenzfähigkeit mit Streaming-Anbietern, die aus dem US-amerikanischen Markt ins Globale schon längst erfolgreich gedrängt haben - Netflix, Amazon Prime - das macht alles Sinn. Wenn das aber alles so sinnvoll ist, wie erklären Sie sich dann diesen Aufschrei aus den Redaktionen? Ich meine, beim "Weltspiegel" renommierte Kolleginnen wie etwa Natalie Amiri oder wahrscheinlich ungefähr das gesamte Korrespondentinnen-Netz der ARD hat sich da in einem Schreiben an die Öffentlichkeit gewandt.
Wenn das alles so zielführende, fantastische Änderungen sind, wie erklärt sich dann diese Sorge und diese Kritik?
Strobl: Also ich sag mal so: Erstmal finde ich es gar nicht schlimm, dass wir ein hohes Maß an Sensibilität haben, wenn es darum geht, auch nur scheinbar journalistische Inhalte vor Kürzungen und Ähnlichem zu bewahren.
Ich glaube, das ist deswegen passiert, weil bestimmte Menschen mit gewissen Absichten möglicherweise Papiere durchgestochen haben und mit diesen Papieren ihre eigene Interpretation verknüpft haben und wir einfach nicht die Chance hatten - auch weil Journalisten vielleicht nicht journalistisch recherchiert haben und bei uns mal nachgefragt haben - unsere Überlegung dahinter zu erläutern. Das werden wir jetzt tun.
Wir werden jetzt die nächsten Wochen in Diskussionen mit einzelnen Redaktionen, mit einzelnen Redakteuren, mit Auslandskorrespondenten einsteigen und genau das nachholen, was wir eigentlich von Anfang an gerne getan hätten, um wieder zu einer versachlichten Diskussion zurückzukommen. Denn dass ich, ehrlich gesagt, mal einem Kollegen oder Kolleginnen, die im Investigativen arbeiten, aufzwingen muss, dass sie 30-Minuten-Stücke machen dürfen, ist mir was ganz Neues. Weil eigentlich ist es für mich die höchste Kunst. Und ich bin sicher, dass es uns gelingt, die Kolleginnen und Kollegen auch zu überzeugen.
Nachholbedarf bei Dokumentation und serieller Fiktion
Kid: Wie sieht denn noch Ihre Vision für die ARD-Mediathek aus? Was genau wollen Sie da tun, um die sattelfest zu machen für die Zukunft und auch dagegen halten zu können gegen die großen Streaming-Anbieter?
Strobl: Ja, es gibt, glaube ich, zwei Hauptpunkte, die wir für die Mediathek deutlich stärken müssen, um konkurrenzfähig zu sein. Das ist sicher die Dokumentation und die Fiktion - vor allen Dingen die serielle Fiktion. Wir haben aber mit der ARD Mediathek einen großen Schatz, weil wir sind der einzige Anbieter, der zusätzlich Aktualität damit verbinden kann. Wir haben die Chance, bei Breaking-News-Situationen sofort auch Menschen, die in der Mediathek sind, zu erreichen. Und das ist ein Alleinstellungsmerkmal, was die ARD hat, ergänzt um ihre regionale Vielfalt. Und deswegen haben wir Vorteile.
Wir haben aber auch Nachholbedarf. Vor allen Dingen betrifft es auch die Frage von Macharten und von Qualitätsstandards. Sicher müssen wir erkennen, dass gerade ausländische Player da sehr viel Budget aufwenden können, um einzelne Produktion herzustellen. Das heißt, es wird uns stärker noch zu Kooperationen zu zwingen, um wirkliche Highlights zu schaffen. Deswegen haben wir auch gesagt: Wir wollen den Montag im Ersten gezielt dazu verwenden, um einen Platz wirklich rein für Dokumentationen, für hochwertige, für hochkarätige Dokumentationen zu schaffen, die uns dann auch in der Mediathek wieder helfen, ein attraktives Angebot dort zu posieren.
Daneben wird es um Köpfe gehen - ganz wichtiges Thema. Also wenn wir sehen, dass jemand wie Carolin Kebekus, die ja am Donnerstagabend ihre wunderbare Show hat, bei uns in der Mediathek wirklich ein Highlight ist, dann sehen wir schon, dass wir Köpfe brauchen, die wir sowohl im klassischen Fernsehen als auch in der Mediathek zu unseren Aushängeschildern machen dürfen. Auch das wird ein ganz wichtiger Punkt sein. Und dann wird es um Kuratierung gehen. Und das ist der Vorteil der Mediathek: dass wir uns an Zielgruppen richten können, die sich spezielle Themen aussuchen. Da sind wir noch nicht überall gut, aber da werden wir daran arbeiten können und müssen.
Vorwurf politischer Abhängigkeit: "Geradezu lächerlich"
Kid: Ich muss Ihnen noch eine Frage stellen, denn die kommt gerade in solchen Kürzungs- oder Umschichtungdebatten, die dann in der Öffentlichkeit aufploppen, wird die noch mal besonders relevant. Und das ist der Punkt der politischen Unabhängigkeit. Da steht die ARD, stehen die Öffentlich-Rechtlichen ja in den letzten Jahren zunehmend unter Beschuss, weil uns politische Abhängigkeit vorgeworfen wird. Umso wichtiger ist es, unabhängig zu sein und zu bleiben. Nun sind Sie nicht nur Mitglied der CDU, sondern natürlich prominent vernetzt: Ihr Vater ist Wolfgang Schäuble, Ihr Mann ist Innenminister der CDU in Baden-Württemberg. Wie garantieren Sie, dass in solche Debatte nicht auch immer wieder hineinschwappen wird, dass Sie möglicherweise versuchen, aus politischem Interesse hier auch Politik-Formate zum Beispiel zu beschneiden. Das war ja der Vorwurf.
Strobl: Also ich kann Debatten nicht verhindern. Wenn Debatten verhinderbar wären, wäre das kein gutes Zeichen. Insofern kann ich mich den Debatten nur stellen und einfach sagen: Wenn man sich unseren Vorschlag in der Summe anschaut, der ja am Ende von vielen Menschen mitgetragen werden muss, ist dieser Vorwurf nicht nur absurd, sondern geradezu lächerlich. Aber ich will mich diesen Debatten gar nicht entziehen. Ich habe versucht, Ihnen darzulegen, dass wir von keinem politischen Magazin weniger wollen, sondern mehr wollen, anderes wollen, dass wir umbauen wollen. Ich habe Ihnen versucht zu erklären, dass dieser Umbauprozess im Digitalen für alles gilt - das heißt für den Bereich Wissenschaft, Kultur, Politik, Sport, Religion. Und wer dann trotzdem meint, diese Fragen stellen zu müssen, der hat das gute Recht dazu. Und dann werde ich sie beantworten und mehr glaube ich kann man an der Stelle dazu nicht sagen.
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