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ARD-Recherchen im Gewichtheben
Doping schon mit 13

Gewichtheben steht immer wieder vor dem Rauswurf von Olympia. Der Hauptgrund: ein massives Dopingproblem. Dazu kommen Vertuschungsverdacht und Korruptionsvorwürfe. Recherchen der ARD-Dopingredaktion rücken jetzt den Präsidenten Támas Aján in den Fokus.

Von Josef Opfermann |
November 6, 2019, Lima, Peru: TAMAS AJAN, President of the International Weightlifting Federation gives a press conference to present the Weightlifting competition Grand Prix Lima 2019. Lima Peru PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxONLY - ZUMA 20191106mdab195664 Copyright: xMarianaxBazox
Gegen den Präsidenten des Weltverbands der Gewichtheber, Támas Aján, gibt es schwere Vorwürfe. (Imago)
Gewichtheben – ein Sport, der für Kraft, Dynamik und Begeisterung stehen soll. Aber die Wahrheit ist auch: Seit dem Jahr 2000, seit der Ungar Támas Aján Präsident des Weltverbandes ist, gab es weltweit mehr als 700 aufgedeckte Dopingfälle. In keinem anderen Sport gibt es mehr Betrüger in den Medaillenrängen als im Gewichtheben. Und der ARD vorliegende Dokumente zeigen jetzt: unter Ajáns Ägide gab es in etlichen Ländern wenige oder gar keine Dopingtests in der Trainingsphase – wo Doping besonders effektiv ist.
Der Präsident gibt sich als Saubermann
Aján selbst sieht sich als Erfolgsgarant für einen sauberen Sport. Ein Ausschnitt aus dem Jahr 2018 – eines seiner seltenen Interviews: "Ich arbeite seit 1975 gegen das Dopingsystem. Ich versuche alles, um Gewichtheben zum sauberen Sport zu machen. Ich habe alles getan!"
Rattikan Gulnoi aus Thailand ist eine der wenigen Gewichtheberinnen ihres Landes, die nie des Dopings überführt wurde. Bei Olympia in London 2012 gewann sie nachträglich Bronze. Beim Treffen mit Undercover-Reportern der ARD-Dopingredaktion redet Gulnoi, wie wohl keine olympische Medaillengewinnerin vor ihr:
Rattikan: "Wir nehmen Zeug, das innerhalb von 24 Stunden nicht mehr nachweisbar ist. Ein anderes Mittel ist effektiver, aber leider drei Tage lang bei Tests nachweisbar."
Frage: "Und was haben Sie 2012 benutzt?"
Rattikan: "Anabolika."
Frage: "Haben Sie im Jahr 2012 die Tests problemlos überstanden?"
Rattikan: "Ja, zweimal […] Ich glaube, ich bin fast die einzige in Thailand, die bis jetzt nicht geschnappt worden ist. Frage mich selbst, wie ich das geschafft habe."
Frage: "Wie konnte man so sicher sein, dass Sie nicht erwischt werden?"
Rattikan: "Wir haben die Mittel früh genug vor dem Wettkampf abgesetzt. Der Boss und der Trainer haben alles genau geplant. Spritzen, pausieren, spritzen, pausieren – so läuft das."
Vorwurf: die jüngsten Gewichtheber dopten mit 13
Rattikan Gulnoi hat bei Olympia in London verspätet Bronze gewonnen. Jetzt wissen wir: Sie war eine Betrügerin. Doch es geht noch weiter:
Frage: "Wann haben die Jüngsten angefangen zu dopen?"
Rattikan: "Mit 13. In nationalen Wettbewerben."
Mit 13. Gulnoi sagt damit, in Thailand wurde Kinderdoping betrieben. Gulnoi reagierte zwar auf eine E-Mail-Anfrage der ARD vor wenigen Tagen, äußerte sich aber inhaltlich nicht mehr zu ihren prekären Aussagen.
Auffällig ist noch: während des olympischen Wettkampfes in London 2012 wurde Gulnoi von Intarat Yodbangtoey betreut. Er ist heute Vizepräsident des Weltverbandes IWF und Stellvertreter Ajans. Auf ARD-Anfrage zum Fall Gulnoi antwortete Yodbangtoey nicht.
Der Verbleib von über fünf Millionen Dollar ist unklar
Darüber hinaus zeigen die ARD-Recherchen einen brisanten Vorgang mit Aján im Zentrum. Konkret geht es um Vermarktungsgewinne des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), an denen auch der Gewichtheber-Weltverband IWF beteiligt wird. Von 1992 bis 2009 flossen mehr als 23 Millionen Dollar auf zwei Schweizer Bankkonten der IWF. Die waren allerdings in den Verbandsbilanzen nicht aufgeführt. Für diese Konten war, als sie im Jahr 2009 entdeckt wurden, allein Ajan zeichnungsberechtigt.
Nach ARD-Recherchen ist der Verbleib von mindestens 5,5 Millionen Dollar ungeklärt. Die ARD-Dopingredaktion ließ alle Dokumente zu diesem Fall von Mark Pieth überprüfen. Er war Chef der Reformkommission des Fußball-Weltverbandes FIFA, ist Anti-Korruptionsexperte und Professor für Strafrecht in der Schweiz, dem juristischen Sitz des Gewichtheber-Weltverbandes.
Schwere Vorwürfe gegen Präsident Aján
Bei Aján und der IWF sieht Pieth in seinem Kurz-Gutachten den Anfangsverdacht für drei Straftaten als gegeben an: Falsch-Beurkundung, ungetreue Geschäftsbesorgung und Veruntreuung. Delikte, die noch nicht verjährt sind, so Mark Pieth: "Also ich gehe aufgrund dieser Dokumente davon aus, dass gegen Tamás Aján ein ernsthafter Verdacht besteht, ein sogenannter Anfangsverdacht. Und da es sich um Offizialdelikte handelt, müssten die Schweizer Behörden tätig werden."
Aján ließ ARD-Fragen zu den fehlenden Geldern unbeantwortet. Ein Sprecher des IOC gab an, dass man nach den damaligen Regeln nicht befugt war, in "interne Angelegenheiten" einzugreifen.
Kritik aus Deutschland
Kritikern aus Deutschland ist Aján schon lange ein Dorn im Auge. Präsident des Bundesverbands Deutscher Gewichtheber Christian Baumgartner: "Aján steht für ein System, das über Jahrzehnte Doping im Gewichtheben etabliert hat und das über Jahrzehnte schiefgelaufen ist. Es hat sich eine Kultur der Korruption breitgemacht."
Tamás Aján lehnte Interviewanfragen der ARD-Dopingredaktion mehrfach ab. Die traditionsreiche olympische Sportart Gewichtheben – sie ist massiv angeschlagen. Offenkundig auch dank ihres Präsidenten.