Christoph Sterz: Als erstes schauen wir uns die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks an. Denn vielleicht ist das junge Angebot von ARD und ZDF ja genau das. Programmgeschäftsführer Florian Hager zumindest spricht von der wahrscheinlich größten Chance des öffentlich-rechtlichen Rundfunks seit dem Entstehen der privaten Fernsehsender. Ungefähr 44 Millionen Euro werden Hager und sein Team dafür pro Jahr zur Verfügung haben und ab Oktober versuchen, möglichst viele 14- bis 29-Jährige mit ihren Inhalten zu erreichen. Wie das klappen soll, das erklärt Florian Hager jetzt im ausführlichen Interview und sagt als erstes, wie es um das Projekt steht, ein halbes Jahr vor Start.
Selbst Internet-Inhalte produzieren
Florian Hager: Die politische Beauftragung befindet sich gerade in den Landtagen und das war so die erste Phase. Parallel dazu natürlich auch das ganze System aufzubauen, ist ja durchaus ein bisschen komplexer, wenn da ARD und ZDF zusammen mit arbeiten sollen, ist es ja nicht immer einfach. Und der dritte Punkt war natürlich und der wichtigste, dass wir auch inhaltlich am Konzept arbeiten mussten, da auch einen gemeinsamen Sinn finden mussten, dass auch alle hinter der Idee stehen. Wir wollen keine TV-Programme im Netz ausspielen, sondern wir wollen originäre Inhalte im Netz produzieren, und das ist für das öffentlich-rechtliche System in Deutschland auf jeden Fall ein sehr großer Paradigmenwechsel. Bis dato war unser Auftrag ja, im Netz programmbegleitend aktiv zu sein, wir dürfen jetzt zum ersten Mal auch wirklich originär, mit originärem Content im Netz aktiv sein, und da muss man auch erst mal so einen gemeinsamen Nenner finden, was das denn eigentlich heißt.
Sterz: Auf diesen Paradigmenwechsel kommen wir gleich noch ausführlich zu sprechen. Ich würde gern erst mal mit Ihnen über Inhalte sprechen, denn der erste Inhalt ist ja gerade da, "Was mit Fabian". Da kommentiert der 19-jährige Fabian Nolte in kurzen Videos, was im Netz und in der Welt passiert. Entstanden, produziert von Radio Bremen. "Was mit Fabian", ist das schon mal so ein passendes Bausteinchen, ist das, wo das Jugendangebot hin will?
Hager: Für uns war ganz wichtig, dass wir nicht jetzt von oben herab sagen, wir wissen, was hier läuft, sondern dass wir unsere Erfahrungen sammeln müssen. Ich würde es jetzt nicht sagen, dass das jetzt schon mal die Blaupause für all das ist, was wir machen werden. Aber wir haben in dem Feld keine Erfahrung und deswegen finde ich es extrem wichtig, dass wir zu einem frühen Zeitpunkt uns damit beschäftigen und auch nicht in irgendwelchen Hinterstübchen da irgendwelche Formate ausprobieren, die dann irgendwo getestet werden, sondern wir gehen mit den Formaten auch in einem frühen Stadium raus, gehen dahin, wo die Nutzer auch sind, und versuchen uns am Markt dann auch wirklich weiterzuentwickeln. Und da ist "Fabian" der erste Aufschlag. Also, wir sind da schon aktiv und versuchen auch, unsere Erfahrungen da zu sammeln und die Formate wirklich mit den Nutzern auch weiterzuentwickeln.
Sterz: Sie haben eben schon ein bisschen über die Arbeit gesprochen und auch über die Beteiligten und haben dabei nur ARD und ZDF erwähnt. Aber zur ARD gehören natürlich MDR, NDR, BR, HR, Radio Bremen, RBB, SR, SWR und WDR.
Hager: Überzeugend!
Sterz: Ja, nicht? Habe ich schön auswendig gelernt. Sehr, sehr viele Menschen, die dementsprechend daran beteiligt sind. Wie kriegen Sie das trotzdem hin, dass Sie da irgendwie tatsächlich zu Ergebnissen kommen?
Ideen der einzelnen Anstalten zusammenbringen
Hager: Ich habe es ja erwähnt, es war auch ein längerer Prozess jetzt. Ich musste mich da ja auch erst mal behaupten, dass die Idee, die wir da entwickelt haben, dass das auch die richtige ist. Jede dieser Stationen, die Sie gerade erwähnt haben, sind selber schon aktiv, haben auch ihre eigenen Versuche, in der Zielgruppe Erfolg zu haben. Wir sagen ganz klar, dass wir da strategisch rangehen müssen, dass es nicht sinnvoll ist, dass jeder vor sich hinwurschtelt, sondern dass ARD und ZDF ihre Aktivitäten an der Stelle auch bündeln müssen. Sie haben aber vollkommen recht. Und wenn man sich auch mal anschaut, die jungen Wellen innerhalb der ARD – die einzelne Stationen haben ja noch den Zugang in die Zielgruppe über die Radiowellen, die jungen Wellen. Wenn man aber die untereinander vergleicht, ist auch deren Vorstellung von dem, was jung ist, auch noch mal komplett verschieden. Eins Live hat nichts mit Puls in München zu tun. Das heißt, auch da ging es noch einmal darum, wirklich irgendwie da zu versuchen, einen gemeinsamen Sinn auch gemeinsam zu entwickeln, und das ist uns aber gelungen, weil in jeder Station sind gute Leute, und wenn man die zusammenbekommt, dann bekommen wir auch ein gutes Programm hin.
Sterz: So, und jetzt kommen wir noch mal zu dem Paradigmenwechsel. Ich zähle da noch mal auf, es geht darum, dass es keine Zwangslöschung von Inhalten geben wird, keine Sieben-Tage-Regel, kein Dreistufentest, keine Pflicht zur Sendebegleitung, und stattdessen die Möglichkeit, Serien sogar zu streamen. Sind Sie so was wie der Pilotversuch, der Vorbote einer neuen Online-Ära von ARD und ZDF?
Hager: Wir sind jetzt erst mal – der Auftrag ist, die 14- bis 29-Jährigen zu erreichen. Also ganz ehrlich, das ist schon Aufgabe genug, und da werden wir alles geben, dass wir das auch hinbekommen. Wie gesagt, wir versuchen das jetzt für diese Zielgruppe zu machen. In dieser Zielgruppe ist es einfach alternativlos, wenn man erfolgreich sein will, dass man auf Drittplattformen aktiv ist. Die Logik dieser Depublikation erschließt sich einem 14-Jährigen noch viel weniger als auch Älteren, und wenn ich 25- bis 29-Jährige erreichen will, muss ich auch ein serielles Angebot machen. So sind wir jetzt erst mal nach vorne gegangen. Was daraus entsteht, das steht nicht auf meinem Zettel.
Sterz: Wir haben schon gesprochen über die verschiedenen Personen und Anstalten, mit denen Sie sich koordinieren müssen, aber das sind ja nicht die einzigen Gesprächspartner, die Sie bearbeiten mussten und müssen. Da sind ja auch noch private Marktteilnehmer, die sicherlich ein sehr großes Interesse daran haben, dass Sie eben nicht so viele Serien streamen zum Beispiel. Reden Sie mit denen auch, und auf welchem Weg sind Sie da?
Webvideo-Markt reagiert entspannt auf ARD/ZDF-Jugendangebot
Hager: Absolut. Das war auch in dem ersten Teil für mich ganz wichtig, dass ich mit allen Marktteilnehmern da auch rede. Unser Ziel ist jetzt nicht, den Markt irgendwie aufzumischen oder irgendwie jemanden aus diesem Markt zu verdrängen. Wir reden hier ganz klar vom Webvideo-Markt. In diesem Webvideo-Markt sind völlig andere Player auch aktiv, also von den Multi-Channel-Netzwerken, einzelne Youtuber oder Creator im Bereich von Webvideo, Bewegtbild. Der Vorteil ist, die Szene in Deutschland ist nicht riesig, da habe ich Kontakt aufgenommen und auch Gespräche geführt und war da selbst überrascht, dass die Angst vor uns relativ gering ist einerseits, aber andererseits auch der Wunsch da ist, in diesem Bereich einfach auch dafür zu sorgen, dass wir ein anderes Level erreichen. Die Zeiten, in denen sich jemand vor eine Kamera setzt und irgendwelche Sachen auspackt und damit unglaublich hohe Abrufzahlen generiert, die sind am Ende, und alle überlegen, was ist jetzt so das Nächste in diesem Bereich, und da ist der Wunsch da, mit uns zu kooperieren, auch was unabhängige Inhalte anbetrifft, was auch sicher in den Informationsbereich geht. All diese Inhalte, die lassen sich am Markt nur schwer refinanzieren und da sind wir durchaus auf offene Arme gestoßen. Ich finde es aus Sicht der Zielgruppe zumindest durchaus wichtig, dass wir uns dafür einsetzen, dass wir Formate, Inhalte hier jetzt auf die Reihe bringen wollen, die wirklich für die 14- bis 29-Jährigen gedacht sind, die momentan im System mit manchen Ausnahmen ja überhaupt nicht inhaltlich bedient werden.
Sterz: Und das würde dann vielleicht auch zu einer deutlich größeren Legitimation des Rundfunkbeitrags führen, oder, in dieser heranwachsenden Zielgruppe der potenziell nächsten Rundfunkbeitragszahler?
Hager: Die sind ja teilweise schon Rundfunkbeitragszahler, das merken wir jetzt auch. Gerade die über 18-Jährigen beziehungsweise auch die 20-Jährigen, die dann ins Studium gehen, ihre eigene Wohnung haben, die sind teilweise schon Rundfunkgebührenzahler. Ich bin zwar 40, also nicht mehr in der Zielgruppe, bin aber überzeugter Öffentlich-Rechtlicher und ich finde es schon wichtig, dass sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk an der Stelle, auch was die Akzeptanz dann in zwei, drei, vier, fünf Jahren anbetrifft, sich um diese Zielgruppe kümmert und so die letzte Chance noch mal nutzt, wirklich in der Zielgruppe auch zu reüssieren. Uns geht es wirklich darum, zu überlegen, wie können wir auf den jeweiligen Plattformen in der Logik der Plattformen reüssieren und nicht versuchen, die Leute in unser eigenes Angebot zu bekommen und da wirklich auch in der Lebenswirklichkeit der 14- bis 29-Jährigen noch mal genau reinzuschauen. Wir haben jetzt ein halbes Jahr auch damit verbracht, diese Zielgruppe uns auch genauer anzuschauen, '14 bis 29' ist ja keine homogene Zielgruppe, also da auch noch mal Teilzielgruppen zu machen und nicht zu versuchen, mit einem Angebot alles abzudecken. Was wir machen werden, wir werden relativ früh eben an den Markt gehen mit dem Produkt und auch mit der Zielgruppe in Kontakt kommen und versuchen, dieses Produkt mit der Zielgruppe dann auch weiterzuentwickeln.
Sterz: Die letzte Frage – und das ist eine Frage, die Sie garantiert nerven wird, ich variiere sie aber leicht. Wann werden Sie verraten, wie das Jugendangebot heißt?
Noch kein Name gefunden
Hager: Wir sind natürlich parallel auch an der Namenssuche, völlig klar. Wir werden auch eine Marke entwickeln. Mir war nur ganz wichtig, dass wir die Marke nicht voranstellen. A) Sie haben es am Anfang erwähnt, es ist relativ schwierig, in der Markenvielfalt, um das mal so zu sagen, der ARD und des ZDFs da quasi mit noch einer Marke an den Start zu gehen, und auf der anderen Seite, mir war es wichtig, erst mal inhaltlich eine Linie zu finden und zu gucken, mit welchen Inhalten gehen wir an den Start, und wie können wir mit diesen Inhalten authentisch sein, um dann um diese Inhalte herum eine Marke zu entwickeln, und nicht andersherum, weil sonst hätte man wahrscheinlich eine tolle Marke entwickelt, aber die Inhalte gar nicht am Start, die dafür notwendig sind. Aber ja, diese Marke wird auch deutlich vor Start bekanntgegeben werden. Mehr kann ich dazu momentan nicht sagen, weil wir auch die Prozesse da intern noch durchlaufen müssen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.