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Argentinien debattiert über Abtreibungen
Kinder, Kirche, Kopftuch

Seit Monaten wird in Argentinien über ein Gesetz gestritten, das Abtreibungen legalisieren und erleichtern soll. Gegner berufen sich auf das Recht des ungeborenen Kindes, Befürworter auf das Recht der Frau. Auch Kirche und Papst haben sich positioniert.

Von Anne Herrberg |
    Verfechterinnen der Abtreibungsreform in Buenos Aires
    Verfechterinnen der Abtreibungsreform in Buenos Aires (AP)
    "Brief von Margaret Atwood, Autorin des Romans 'The Handmaid’s Tale' an die Senatoren und Senatorinnen von Argentinien." (Redebeitrag einer Kundgebung)
    In Zweierreihen stehen sie vor dem Kongressgebäude, eingehüllt in rote Roben, den Kopf gesenkt, das Gesicht durch eine weiße Haube vor Blicken abgeschirmt. Etwa 100 Frauen, gekleidet wie in "The Handmaids Tale", auf deutsch "Der Report der Magd". Eine Dystopie über ein theokratisches, totalitäres Männerregime, in dem die Mägde nichts weiter sind als Gebärmaschinen.
    "Frauen, die nicht selbst entscheiden können, ob sie Kinder haben wollen oder nicht, sind Sklavinnen. Denn der Staat erklärt ihre Körper zum Eigentum und nimmt sich das Recht heraus, zu bestimmen, zu was sie ihn nutzen müssen." (Redebeitrag einer Kundgebung)
    Atwoods Roman feiert derzeit als Serie Erfolg – der Brief der preisgekrönten kanadischen Schriftstellerin ist ein klarer Schulterschluss mit Argentiniens Frauenbewegung.
    "Legalisiert Abtreibungen", rufen die Mägde und binden sich zum Abschluss der medienwirksamen Protest-Aktion ein grünes Kopftuch um. Angelehnt an die weißen Kopftücher der Menschenrechtsgruppe "Mütter der Plaza de Mayo" ist das Kopftuch ein in Argentinien Symbol für Zivilcourage. "Nationale Kampagne für das Recht auf eine legale, sichere und kostenlose Abtreibung", steht auf den grünen Kopftüchern.
    "Frauen treiben ab, das ist eine Realität"
    Celeste McDougall ist Aktivistin dieses parteiübergreifenden Bündnisses. Es hat den Gesetzesentwurf erarbeitet, über den der Kongress seit Monaten verhandelt – denn bisher sind Abtreibungen in Argentinien nur in Ausnahmefällen möglich.
    "Was wir fordern ist, dass die Frau selbst die Entscheidung treffen kann, ob sie eine Schwangerschaft abricht. Denn Frauen treiben ab, das ist eine Realität. Wir fordern, dass sie es nicht mehr im Geheimen machen müssen, sondern kostenlos im öffentlichen Gesundheitssystem. Gerade in einem Land wie Argentinien, in dem vor allem arme Frauen stark benachteiligt sind, ist das sehr wichtig", sagt McDougall.
    Frauen treiben ab – wie, darüber entscheidet die soziale Klasse, sagt auch German Cardoso. "Dr. Aborto" nennen ihn die Medien, "Dr. Abtreibung", weil er selbst illegal Abtreibungen vornimmt. Dafür wurde Cardoso mehrmals verhaftet.
    "Frauen, die Geld und Status haben, können sich teuer in einer Privatklinik behandeln lassen. Wer das Geld oder auch die Kontakte nicht hat, landet meist in irgendeinem Hinterzimmer, bei Pfuschern, oder legt selbst Hand an, oft mit fatalen Folgen", erklärt Cardoso.
    43 Todesfälle im Jahr 2016
    Immer wieder sterben Frauen, die heimlich abtreiben. 43 Todesfälle waren es im Jahr 2016. Dazu wurden 47.000 Frauen mit Komplikationen nach Abtreibungen ins Krankenhaus eingeliefert. Gesundheitsminister Adolfo Rubinstein stellte sie im Kongress vor:
    "Ich werde hier über Daten und Statistiken sprechen, nicht über persönliche Überzeugungen. In den Ländern mit strengen Abtreibungsverboten gehen die Zahlen der Schwangerschaftsabbrüche nicht zurück, aber das Risiko steigt. Die Legalisierung dagegen reduziert die Zahl der Todesfälle und der Komplikationen. Und gleichzeitig reduzieren sich die Kosten für das öffentliche Gesundheitssystem."
    Der Gesundheitsminister ist einer von mehr als 700 Rednern und Rednerinnen, die in den letzten drei Monaten Argumente für oder gegen Abtreibungen vor dem Parlament vorgetragen haben.
    "Aber was ist mit dem Recht des ungeborenen Kindes?", ruft ihm eine Senatorin zu. Das zentrale Argument der Abtreibungsgegner.
    "Frauen unterstützen, statt sie zur Abtreibung zu drängen"
    Mit einer riesigen Pappmaché-Puppe in Form eines Fötus, Kerzen und Kruzifixen und der argentinischen Hymne auf den Lippen sind rund 1000 Gegner des Gesetzes vor den Präsidentenpalast gezogen. Ayelen Alancay von der Organisation "Mehr Leben" hat wie viele ein Kopftuch in Hellblau umgebunden, der Farbe der argentinischen Flagge:
    "Wir sind hier, um Präsident Macri an sein Wort zu erinnern. Er hat seinen Wählern versprochen, sich für das Leben einzusetzen. Man sollte arme Frauen sozial unterstützen, statt sie in ihrer Verzweiflung zu Abtreibungen zu drängen."
    Es war ausgerechnet der konservative Präsident und bekennende Abtreibungsgegner Mauricio Macri, der grünes Licht für die Debatte im Parlament gab – auch Marta Rodriguez ist enttäuscht:
    "Etwas, das uns als Gesellschaft einmal völlig unakzeptabel erschien, nämlich ein unschuldiges Kind zu töten, wird plötzlich hoffähig und soll Gesetz werden. Wir bitten unsere Gesetzgeber: Leben beginnt mit der Empfängnis. Stimmt für die beiden Leben!"
    Im Kongress, auf der Straße, in den Medien - wohl noch nie wurde ein Gesetz in Argentinien so breit debattiert. Aber auch selten so emotional. Umso mehr in der Heimat des Papstes, der persönlich Stellung gegen das Gesetz bezog, genauso wie die argentinische Bischofskonferenz.
    "Die katholische Kirche ist eine frauenfeindliche Organisation"
    Und auch wenn in Argentinien laut Verfassung die Trennung von Kirche und Staat gilt, wiegen diese katholischen Stimmen schwer, sagt Marta Alanis. Die Mutter von vier Kindern hat die Gruppe "Katholische Frauen für das Recht, entscheiden zu können" gegründet.
    "Die Kirche hatte zwischendurch eine fast versöhnliche Position und forderte zu einer friedlichen Debatte auf. Aber als sie merkte, im Kongress gewinnen die Befürworter an Unterstützung, da wurden die Botschaften wieder aggressiver. Dabei geht es nur vordergründig um Moral. Vor allem geht es um Einfluss und um Macht. Die katholische Kirche ist eine frauenfeindliche Organisation von Männern, die über etwas urteilt, von dem sie nichts versteht", meint Alanis.
    Anfang Juni haben die Befürworter einen Etappensieg errungen. Die Abgeordnetenkammer stimmte – überraschend und sehr knapp – für das Abtreibungsgesetz. Dabei hatten rund eine Million Frauen und Männer 24 Stunden lang Mahnwache vor dem Kongress in Buenos Aires gehalten. Nun, zur Abstimmung im Senat am kommenden Mittwoch, wollen beide Seiten den Druck erhöhen. Buenos Aires‘ Erzbischof Poli ruft zur Teilnahme an einer großen Messe in der Kathedrale auf. Und die Befürworter erwarten ein Meer aus zwei Millionen grünen Kopftüchern. Auch Marta Alanis wird dabei sein:
    "Das kann man nicht mehr aufhalten. Die Zeit ist reif. Die Straße haben wir längst gewonnen. Wenn es am Mittwoch nicht durch den Senat kommt, dann in ein paar Monaten oder in einem Jahr. Aber es kommt."