Archiv

Argentinien
Der Schatten der Mütter

Die Archive der katholischen Kirche aus der Zeit der Militärdiktatur werden geöffnet. Angehörige der Desapericidos, der Verschwundenen, können die Akten einsehen. Was die Schriftstücke tatsächlich über das Verhältnis zwischen Bischofskonferenz und Staatsspitze verraten, ist umstritten.

Von Victoria Eglau |
    Demonstration der "Mütter und Großmütter des Plaza de Mayo". Die Organisation möchte das Schicksal der vielen Ermordeten und Verschleppten Argentiniens ausklären, die das Militärregime von 1976 bis 1983 zu verantworten hat.
    Demonstration der "Mütter und Großmütter des Plaza de Mayo" in Argentinien. (AFP / Daniel Luna)
    "Dies ist ein Dienst an unserem Land, ein Beitrag zur Versöhnung der Argentinier. Wir haben keine Angst vor diesen Archiven. Die Archive enthalten die historische Wahrheit."
    Vor wenigen Tagen in Buenos Aires: Argentiniens Bischofskonferenz hat die Presse einbestellt. Mario Poli, Erzbischof von Buenos Aires, und zwei andere Bischöfe kündigen an, dass demnächst die Archive der katholischen Kirche aus der Zeit der Militärdiktatur geöffnet werden sollen. Archive also, die den Zeitraum 1976 bis 1983 umfassen.
    "Zugang zu den Dokumenten werden Überlebende der Diktatur haben, und Angehörige von Desaparecidos: Menschen, die damals verschwanden. Falls die Opfer der Kirche angehörten, können deren damalige Vorgesetzte die Archive einsehen", erläutert Carlos Malfa, Sekretär der Bischofskonferenz.
    Digitalisiert worden sind nicht nur deren Archive, sondern auch das Archiv der päpstlichen Nuntiatur in Buenos Aires, sowie die Dokumente zur Militärdiktatur, die der Vatikan besitzt. Zwar waren es Argentiniens Bischöfe, die die Archiv-Öffnung bekanntgaben, aber dahinter steckt eindeutig Papst Franziskus. Argentinische Menschenrechts- und Opfer-Organisationen hatten seit Jahrzehnten Zugang zu den kirchlichen Archiven gefordert. Aber bei der konservativen Bischofskonferenz stieß diese Forderung lange auf taube Ohren. Doch Kardinal Jorge Bergoglio überraschte nach seiner Wahl zum Papst mit einer Annäherung an die Opfer. Die Archiv-Öffnung stellte er der Präsidentin der Großmütter der Plaza de Mayo, Estela de Carlotto, vor zwei Jahren im Vatikan in Aussicht. Die einstige Bergoglio-Kritikerin reagierte nun enthusiastisch:
    "Die Entscheidung, die Kirchen-Archive zu öffnen, halte ich für phantastisch. Wir Opfer-Organisationen müssen uns jetzt auf Strategien einigen, wie wir diese Archive am besten nutzen, um der Wahrheit näher zu kommen. Wir erhoffen uns Aufschluss darüber, was mit den Verschwundenen geschehen ist, und wer die Täter waren. Wir Großmütter hoffen natürlich vor allem auf Hinweise zum Verbleib unserer von den Militärs geraubten Enkel."
    Zu hohe Erwartungen?
    Skeptiker warnen allerdings vor zu hohen Erwartungen an die kirchlichen Diktatur-Archive. Nach den Dokumenten gefragt, welche diese enthalten, erwähnten die argentinischen Bischöfe bei ihrer Pressekonferenz die Briefe, welche verzweifelte Angehörige von Diktatur-Opfern an die Kirchenleitung schrieben. Jene Hilfegesuche sowie die Antworten der Kirche, befänden sich in den Archiven. Doch konnte die Kirche bei der Suche nach den Menschen, die die Militärs verschwinden ließen, und deren Zahl Menschenrechtler auf 30.000 beziffern, in der Regel nicht helfen. Interessanter wäre wohl, wenn die Archive Protokolle von Versammlungen der Bischofskonferenz enthielten - diese könnten die Haltung des damaligen Klerus zum Militärregime erhellen. Der Theologe Rubén Dri, ein dezidierter Kirchenkritiker, der während der Diktatur im Exil lebte, befürchtet, die Archiv-Öffnung könnte eine selektive sein:
    "Ich habe nicht allzu viel Vertrauen, dass die Kirchen-Archive in Argentinien und im Vatikan komplett geöffnet werden. Ich glaube nicht, dass Dokumente, die Aufschluss über die Schuld der katholischen Kirche, über ihre Nähe zur Militärdiktatur geben, publik gemacht werden. Jedoch will ich mich der Geste nicht komplett verschließen und die Archiv-Öffnung erst einmal abwarten."
    Papst Franziskus im Vatikan
    Wie hat sich der heutige Papst während der argentinischen Militärdiktatur verhalten? (dpa/picture alliance/Fabio Frustaci / Eidon)
    Kirche als Komplizin der damaligen Diktatur?
    Papst Franziskus und Argentiniens Bischöfe kennen den Vorwurf, die damalige Kirchenspitze sei eine Komplizin des Militärregimes gewesen. Der Vorsitzende der Bischofskonferenz, José María Arancedo, wies ihn vor der argentinischen Presse zurück:
    "Von Komplizenschaft kann man nicht sprechen. Es stimmt, dass die Kirche nicht die Haltung gegen die Diktatur eingenommen hat, die sie hätte einnehmen können. Aber, dass sie keine Komplizin war, werden die Archive zeigen. Ich wage sogar zu sagen, dass diese zutage bringen werden, dass es im Handeln der Kirche in jener schwierigen Zeit mehr Licht als Schatten gab."
    Rolle Franziskus' während der Diktatur
    Zwar ist die Frage, wie der Papst selbst sich als junger Jesuiten-Provinzial während der Diktatur verhielt, ob er zwei verfolgten Patern seines Ordens den Schutz entzog oder nicht, in Argentinien längst aus der öffentlichen Diskussion verschwunden. Doch Kirchenkritiker Rubén Dri glaubt, dass Franziskus' Entscheidung zur Archiv-Öffnung auch mit den Vorwürfen gegen ihn selbst zusammenhängt:
    "Ich glaube, dass Bergoglio damit beabsichtigt, sein eigenes Image und das der Kirche zu verbessern."
    Ob die digitalisierten Archive überhaupt Informationen zum Fall der zwei Jesuiten-Pater enthalten, die monatelang in einem Foltergefängnis der Diktatur eingesperrt waren, ist ungewiss. Forscher und Presse werden bis auf Weiteres keinen Zugang haben. Eine wissenschaftliche oder journalistische Aufarbeitung ihrer Rolle während der Diktatur scheint Argentiniens katholische Kirche nicht zu wünschen. Dass Papst Franziskus allerdings bereit ist, aufschlussreiches Archivmaterial der Justiz zur Verfügung zu stellen, hat er bereits bewiesen: Mit Dokumenten aus dem Vatikan trug er 2014 zur Verurteilung der Drahtzieher des Mordes am argentinischen Bischof Enrique Angelelli bei - einem von mehreren Diktatur-Opfern aus den Reihen der Kirche.