Dezember 2001. Tausende Menschen ziehen durch das Zentrum von Buenos Aires, schlagen auf Töpfe und Pfannen, protestieren, machen ihrer Verzweiflung Luft. Der Staat ist pleite und reagiert auf die Wut der Menschen mit eiserner Härte.
Die berittenen Polizisten schießen wahllos in die Menge, die Bilanz: Mehr als 20 Tote. Chaos auch in der Politik. Innerhalb von nur zwei Wochen geben sich fünf Staatspräsidenten die Klinke in die Hand. Argentinien steht am Abgrund. Der Peso, die Landeswährung, - vorher 1 zu 1 an den US-Dollar gekoppelt, verliert in den Dezembertagen 2001 stündlich an Wert, bis die Regierung die Reißleine zieht und die Konten einfriert. Die Banken geben kein Geld mehr aus, die Menschen verlieren bis zu drei Viertel ihrer Ersparnisse. Susanne Munc, die zu dieser Zeit als Chefsekretärin arbeitete, blickt zurück.
"Wir hatten Geld auf der Bank. Wir hatten Dollar gespart, um uns eine größere Wohnung zu kaufen. Das konnten wir dann nicht, weil das Geld auf der Bank festlag und außerdem abgewertet wurde. Wir hatten in Dollar gespart, weil wir dem argentinischen Peso nicht vertrauten, deswegen diese Situation."
Argentinien wird zu einem der ärmsten Staaten
Die Hälfte der Bevölkerung stürzte in Armut. Ältere Herren, tadellos gekleidet, gingen zum Betteln auf die Straße. Die Damen verkauften ihre Pelzmäntel auf Ramschmärkten. Das Wort der "neuen Armen" machte die Runde. Mehr als die Hälfte der Geschäfte in Buenos Aires machten zu, der Staat konnte seine Auslandsschulden nicht mehr bezahlen. Die Tango-Krise 2001 machte Argentinien zu einem der ärmsten Staaten der Welt. Eine unerwartete Krise, sagt der Politikwissenschaftler Jorge Arias.
"Wir Argentinier merkten, wie uns der Boden unter den Füßen schwand. Wir hatte eine Zeit hinter uns, in der wir glaubten, uns mit einer offenen Wirtschaft in die Welt integriert zu haben und vernünftig konkurrieren zu können und dass die Dinge der Vergangenheit uns nicht noch einmal passieren könnten. Aber 2001 fiel all das, was wir für solide gehalten hatten, plötzlich wie ein Kartenhaus zusammen."
Bis heute machen viele Argentinier den Internationalen Währungsfond für die Pleite verantwortlich. Der hatte jahrelang Geld in das Land gepumpt, obwohl sich die Anzeichen mehrten, dass die Wirtschaft aus dem Ruder lief, besonders nach der Ankoppelung des fragilen Peso an den Dollar. Als die Krise am Kochen war, drehte der IWF den Geldhahn zu.
Mitschuld des IWF an der Krise
Roberto Lavagna gibt denn auch dem IWF eine Mitschuld an der Krise seines Landes: Die vielen Kredite führten Argentinien in eine Schuldenspirale, aus der es kein Entrinnen gab.
Roberto Lavagna gibt denn auch dem IWF eine Mitschuld an der Krise seines Landes: Die vielen Kredite führten Argentinien in eine Schuldenspirale, aus der es kein Entrinnen gab.
"Ohne Zweifel, und ohne, dass ich dem IWF die alleinige Schuld gebe. Aber es ist schon auch so, dass der Währungsfonds mehr als 30 Mal Kreditanträge Argentiniens prüfte, und in allen Fällen gab es ein einstimmiges Votum im IWF-Direktorium, das Land mit Krediten weiter zu stützen. Deshalb bin ich schon der Meinung, dass es eine klare Verantwortung des Währungsfonds gibt."
Roberto Lavagna wurde Anfang 2002 Wirtschaftsminister Argentiniens. Er beendete die Schuldenpolitik des Landes. Zusammen mit dem damaligen Staatspräsidenten Kirchner erklärte er das Land für zahlungsunfähig, strich 2003 einen Großteil der Auslandsschulden einfach aus den Büchern, ignorierte die ausländischen Anleger und hielt die Landeswährung Peso stark unterbewertet.
Richtig erholt hat sich der Staat am Rio de la Plata von der Krise dennoch nie. Der Mittelstand kämpft weiter um ein wenig Wohlstand. In vielen Familien müssen die Väter bis heute mehrere Arbeiten annehmen, um Frau und Kinder zu ernähren. Und: Ausländische Anleger haben bis heute nur wenig Vertrauen in das Land. Gläubiger aus jener Zeit klagen derzeit gegen Argentinien. Die Staatspleite hängt dem Land bis heute nach.