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Argentinien und Papst Franziskus
Eine abgekühlte Liebe

Vor vier Jahren wurde der Argentinier Jorge Mario Bergoglio Papst. Seitdem war er nicht mehr in seiner Heimat. Die Argentinier lieben ihn nicht mehr ganz so wie am ersten Tag. Kritiker werfen ihm vor, sich aus der Ferne in die Politik einzumischen.

Von Victoria Eglau |
    Seit vier Jahren war er nicht mehr in seinem Heimatland: Papst Franziskus mit einer Reisegruppe aus Mercedes, Argentinien
    Seit vier Jahren war er nicht mehr dort: Papst Franziskus mit einer Reisegruppe aus Mercedes, Argentinien. (imago stock&people)
    Ein Zeitungskiosk an einer Straßenecke in Buenos Aires. Seit kurzem kann man hier samstags die argentinische Ausgabe des Vatikan-Blatts "L’Osservatore Romano" kaufen.
    "Wir hielten es für wichtig, die Stimme des Papstes in Argentinien direkt, vollständig und offiziell zu verbreiten. Franziskus Worte und Taten werden hier auf vielfältige Weise kommentiert und interpretiert. Und oft werden sie verzerrt oder reduziert dargestellt", erklärt Marcelo Figueroa, Chefredakteur der Publikation.
    Figueroa ist ein Freund des Papstes, und er ist Protestant. Vor allem aber steht er bedingungslos zu Franziskus - und das ist heutzutage in Argentinien nicht selbstverständlich. Vier Jahre nach seiner Wahl an die Spitze der katholischen Kirche wird der Papst hier zwar von vielen Gläubigen geliebt, aber von manchen auch kritisiert. Die tiefe politische Kluft in Argentiniens Gesellschaft beeinflusst auch ihr Verhältnis zu Franziskus.
    Ein heimlicher Peronist?
    Dass er die frühere Präsidentin Cristina Kirchner, eine Linksperonistin, insgesamt sieben Mal traf, während er ihrem wirtschaftsliberalen Nachfolger Mauricio Macri bei dessen Antrittsbesuch nur 22 Minuten gewährte und dabei ein bitterernstes Gesicht machte, irritierte viele Argentinier. Gustavo Irrazabal, Theologe und Pfarrer in einem Viertel der Mittel- und Oberschicht in Buenos Aires:
    "Dass der Papst zu Macri viel distanzierter war als zu Kirchner, darüber waren in meiner Gemeinde viele perplex. Macri ist schließlich Präsident, weil die Argentinier ihn gewählt haben. Ich denke, dass das Verhalten von Franziskus gegenüber unseren Regierenden nicht unschuldig ist. Dahinter scheint mir eine Auffassung zu stecken, die auch viele Argentinier vertreten: nämlich, dass ausschließlich der Peronismus für die Armen regiert."
    Sie pflegen weiterhin gute Beziehungen zueinander: Papst Franziskus und Cristina Kirchner im Juni 2015
    Sie pflegen weiterhin gute Beziehungen zueinander: Papst Franziskus und Cristina Kirchner im Juni 2015 (AFP / ANGELO CARCONI)
    Die politische Bewegung des Peronismus hat in Argentinien glühende Anhänger und erbitterte Gegner. Manche sehen in Franziskus einen heimlichen Peronisten, weil er zu Vertretern dieser Strömung besonders gute Kontakte pflegt. In konservativen Kreisen stößt auch seine Nähe zu sozialen Bewegungen auf Misstrauen. Dass der Papst einer Sozialaktivistin, die dem Kirchnerismus nahesteht und wegen schwerer Korruptionsvorwürfe im Gefängnis sitzt, einen Rosenkranz schickte, löste im vergangenen Jahr großen Wirbel aus. Elisa Carrió, prominente Abgeordnete der Regierungskoalition, schreckte vor Papst-Schelte nicht zurück:
    "Er soll sich nicht in Argentinien einmischen, er ist Papst! Seine Macht soll er bitte im Vatikan ausüben!"
    Wichtigster Argentinier der Geschichte
    Ob der Papst sich in seiner Heimat tatsächlich einmischen will oder nicht: Tatsache ist, dass viele Landsleute seine Nähe suchen, um daraus politischen Profit zu schlagen. In den vergangenen Jahren sind unzählige Politiker und andere Vertreter des öffentlichen Lebens nach Rom gepilgert. Gegenüber der spanischen Zeitung "El País" bedauerte Franziskus im Januar, manche Argentinier hätten ihn und das gemeinsame Foto für politische Zwecke benutzt. Liegt es daran, dass der Papst nach vierjähriger Abwesenheit immer noch keine Reise nach Argentinien plant? Theologe Gustavo Irrazabal glaubt, dass Franziskus sein Land absichtlich meidet:
    "Anscheinend merkt er, dass er heute in Argentinien umstritten ist. Und er ist sich bewusst, dass es verschiedene politische Sektoren gibt, die ihn vereinnahmen oder manipulieren wollen. Deshalb hält der Papst es wohl für unvorsichtig, nach Argentinien zu kommen."
    Marcelo Figueroa, Chefredakteur der argentinischen Ausgabe des Vatikan-Sprachrohrs "L’Osservatore Romano", hält nichts davon, das Reden und Handeln des Papstes politisch zu interpretieren oder ihm ideologische Etiketten anzuheften. Er glaubt, dass die Argentinier die historische Dimension von Franziskus' Pontifikat noch gar nicht erkannt hätten.
    "Meiner Ansicht nach markiert Franziskus einen Bruch, nicht nur in der Geschichte der Päpste, sondern in der Religions- und Glaubensgeschichte. Er stellt die wichtigste moralische Instanz in der Welt dar, und er ist der bedeutendste Argentinier der Geschichte. Ein solches Phänomen ist für die Menschen schwer zu fassen. Und wenn man etwas nicht fassen kann, dann tendiert man dazu, es zu reduzieren - auf eine Größe, mit der man umgehen kann."
    Motivation und Inspiration
    In Liniers, einem Kleine-Leute-Viertel am Stadtrand von Buenos Aires, würden sich die Gläubigen über einen Besuch ihres Papstes sicher riesig freuen. Beim San Cayetano-Fest im vergangenen August lässt eine Menschenmenge Franziskus hochleben. Der junge Vikar der San Cayetano-Wallfahrtskirche heißt Eduardo Drabble. Er wurde vom heutigen Papst ordiniert und fühlt sich mehr denn je von ihm inspiriert - nicht zuletzt bei seinem Engagement für die sozial Bedürftigen, die in seine Gemeinde kommen.
    "Sein Modell der katholischen Kirche ist für uns junge Priester sehr motivierend. Franziskus ist charismatisch und hat einen ganz eigenen Führungsstil. Seine Gesten, seine Symbolik, seine Nähe zu den Menschen und seine Art, das Protokoll zu umgehen, kennen wir gut."
    Der beliebteste Argentinier - trotz politischer Vorbehalte
    Der beliebteste Argentinier - trotz politischer Vorbehalte (AFP / JUAN MABROMATA)
    Trotz der Kritik aus politisch und religiös konservativen Kreisen - für seine Landsleute ist Franziskus nach wie vor der beliebteste Argentinier. In seiner Gemeinde hätten die Gläubigen zwar politische Vorbehalte, aber würden die geistlichen Qualitäten des Kirchenoberhaupts durchaus schätzen, sagt Pfarrer Gustavo Irrazabal aus dem bürgerlichen Stadtteil Retiro.
    Er selbst hat einiges auszusetzen am Papst, ihn stört auch die Ungewissheit bei Themen wie der Kommunion für wiederverheiratete Geschiedene. Dennoch: Irrazabal ist überzeugt, dass Franziskus positive Spuren in der Kirche hinterlassen wird:
    "Für am wichtigsten halte ich seine unzweideutige Auffassung, dass der Mensch über dem System steht. Auch wenn der Papst keine klare Vorstellung davon haben mag, wie die Reformen der Kirche aussehen sollen, so halte ich seine kühne Entscheidung, zu sagen 'So kann es nicht weitergehen' für entscheidend. Mögen seine Nachfolger die Veränderungen präziser formulieren, aber: Franziskus hat forsch auf den Tisch gehauen und gesagt: 'Was nicht gut für die Menschen ist, taugt nichts.' Sein Ausgangspunkt ist allein die Barmherzigkeit. Und das ist neu für die Kirche, das wird bleiben."