Über Nacht tauchten sie auf, die Plakate an Litfaßsäulen und Mauern von Buenos Aires. Darauf abgebildet: Staatsanwalt Alberto Nisman, lächelnd inmitten attraktiver Frauen. Das Foto stammte aus dem Handy Nismans, der im Januar tot aufgefunden worden war. Zwar befand es sich im Gewahrsam der Bundespolizei, dennoch waren in der vergangenen Woche private Handyfotos Nismans ins Internet gelangt – Schnappschüsse mit Frauen in Discos, bei Partys und am Strand. Für das Leck war offenbar die Polizei selbst verantwortlich. Wer die Plakate aufhängte, mit der höhnischen Frage "Sind wir alle Nisman?", kann nur vermutet werden – möglicherweise regierungsnahe Kreise. Denn zufällig fuhr auch der argentinische Kabinettschef Anibal Fernandez schweres Geschütz gegen Nisman auf:
"Er hat jede Menge Geld bekommen, um das Attentat auf die AMIA aufzuklären und die Verantwortlichen zu finden. Aber er gab es dafür aus, mit Mädels auszugehen und nutzlose Mitarbeiter zu bezahlen. Damit hat Nisman die 85 Todesopfer und mehr als 300 Verletzten verhöhnt – so einen Lump hat man in Argentinien selten gesehen."
Alberto Nisman leitete ein Jahrzehnt lang die Ermittlungen zum Anschlag auf den jüdischen Verband AMIA im Jahr 1994. Die scharfen Angriffe des Kabinettschefs, die Plakate – sie hatten zweifellos zum Ziel, den Sonderermittler, der kurz vor seinem Tod Präsidentin Cristina Kirchner Verschleierung vorgeworfen hatte, in immer schlechteres Licht zu setzen. Victoria Donda, Oppositionsabgeordnete:
"Eine Person, die tot ist, wird beschmutzt. Aber wir sollten uns nicht von den wesentlichen Fragen ablenken lassen: Warum ist der Sonderermittler gestorben. Und wer war für den Terroranschlag auf die AMIA verantwortlich?"
Noch keine Aufklärung
Sowohl das Attentat vor fast 21 Jahren als auch der Tod des Sonderermittlers vor gut zwei Monaten harren nach wie vor der Aufklärung. Während die Justiz bislang nicht herausfinden konnte, ob Nisman sich das Leben nahm oder umgebracht wurde, zeigt sich seine Ex-Frau Sandra Arroyo Salgado fest überzeugt von der Mordthese:
"Nisman hat keinen Selbstmord begangen, Nisman wurde ermordet. Sein Tod verlangt nach Antworten der Institutionen unserer Republik."
Verkündete Arroyo Salgado, die im Fall Nisman als Klägerin auftritt und von Beruf Richterin ist, bei einer Pressekonferenz. Sie hatte renommierte Sachverständige mit einer Untersuchung beauftragt. Doch Sandra Arroyo Salgados dramatischer Auftritt wurde durch die Verbreitung der Fotos, auf denen Alberto Nisman als Lebemann zu sehen ist, in den Hintergrund gedrängt. Der Heldennimbus des Staatsanwalts hat Kratzer davongetragen.
"Man muss das Privatleben Nismans von seinen Anschuldigungen gegen die Regierung Kirchner trennen. Seine schweren Vorwürfe müssen auf jeden Fall von der Justiz untersucht werden."
Sagt Ricardo Recondo, Vorsitzender der argentinischen Magistratsvereinigung. Tatsächlich ist Nisman mit seiner Klage gegen die Präsidentin posthum bereits zweimal vor der Justiz gescheitert. Am Donnerstag entschied die Bundeskammer, für einen verbrecherischen Plan Kirchners mit dem Ziel, den mutmaßlichen Urheber des AMIA-Attentats, Iran, ungeschoren davonkommen zu lassen, fehlten jegliche Beweise.
Demnächst soll ein Berufungsgericht entscheiden, ob Nismans Vorwürfen doch noch auf den Grund gegangen wird. Der Sonderermittler hatte stets vehement Teheran beschuldigt, das Attentat von 1994 geplant zu haben. Gegen acht Iraner erhob er Anklage, fünf setzte die Polizeiorganisation Interpol auf ihre Fahndungsliste. Die Angehörigen der Anschlagsopfer waren geteilter Meinung über Nismans These vom Drahtzieher Iran. Einige sahen sie skeptisch, andere hielten sie für plausibel - etwa Luis Czyzewski, Vater der getöteten Paola.
"Aber ob Nisman recht damit hatte, dass unsere Regierung dem Iran Straffreiheit ermöglichen wollte, weiß ich nicht. Fest steht, dass sie 2012 mit Teheran ein Memorandum unterzeichnet hat und nicht überzeugend erklären kann, warum. Die Vereinbarung enthielt juristische und politische Fehler phänomenalen Ausmaßes."
Finanzielle Unregelmäßigkeiten bei Nisman
Laut Kirchner-Regierung sollte jenes Memorandum endlich die Ermittlungen voranbringen, doch von Anfang existierte der Verdacht, alleiniger Nutznießer werde Iran sein. Umgesetzt wurde der Pakt nie.
War er vielleicht nur ein politischer Fehler, aber nicht Teil eines kriminellen Plans, wie Nisman anprangerte? Nicht wenige Argentinier glauben, dass der Ermittler gestorben sein könnte, weil er sich vergaloppierte oder in eine Falle von Geheimdienstagenten tappte. Und dass sich Nisman vor seinem Tod in einer verzweifelten Lage befand, weil er Enthüllungen über sein Privatleben und die Verschwendung öffentlicher Gelder fürchtete. Dass es in Nismans Staatsanwaltschaft finanzielle Unregelmäßigkeiten gegeben haben könnte, kam in den vergangenen Tagen ans Licht. Leopoldo Moreau von der Oppositionspartei UCR:
"Nisman starb einen Tag, bevor er vor dem Parlament erscheinen sollte. Er musste befürchten, dass sich seine Anschuldigungen gegen Kirchner dort als haltlos erweisen würden, aber auch, dass man ihm unbequeme Fragen über den Umgang mit öffentlichen Geldern stellen würde. Nisman kannte seine Schwächen. Ich denke, man muss sein Privatleben in die Ermittlungen mit einbeziehen. Womöglich wurde er erpresst, bevor er freiwillig oder unfreiwillig starb."
Gut zwei Monate nach Alberto Nismans Tod haben seine aufsehenerregende Vorwürfe an Argentiniens Regierung an Kraft verloren – aber die Umstände seines Todes liegen weiterhin im Dunkeln.