Die Avenida Corrientes ist die Theatermeile von Buenos Aires. Normalerweise herrscht hier jeden Abend Hochbetrieb, doch nun haben alle Schauspielhäuser geschlossen. An einer Fassade steht in riesigen Lettern: "Lassen wir den Vorhang fallen, um uns gegenseitig zu schützen. Die Zeit wird kommen, in der das Theater zurückkehrt." Wann das sein wird, weiß allerdings keiner auf der Avenida Corrientes.
Jon Goransky ist Direktor des Teatro Metropolitan, einem erfolgreichen Privattheater: "Dies ist eine Notsituation globalen Ausmaßes, das müssen wir akzeptieren. Zurzeit ist es am besten, zuhause zu bleiben. Aber für die Theaterbranche ist das verheerend."
Erst Rezession, jetzt Corona-Krise
Seit bald einem Monat herrschen strenge Ausgangsbeschränkungen in Argentinien. Die Corona-Pandemie ist zwar bislang vergleichsweise glimpflich verlaufen, aber die Angst vor einem steilen Anstieg der Kurve und einem Kollaps des Gesundheitssystems ist groß. Die argentinische Regierung hat daher eine Pflicht-Quarantäne bis Ende April verhängt - und noch weiß keiner, wie es danach weitergeht.
"Die Theater mussten als erste schließen und werden sicher als letzte wieder öffnen. Wir haben keine Einkünfte, aber unsere Kosten laufen weiter. Wenn Theater irgendwann wieder möglich sein wird, haben die Leute vermutlich noch Angst vor Ansteckung, oder aber kein Geld mehr für eine Theaterkarte", sagt Jon Goransky.
Keine rosigen Aussichten für die kommerziellen Schauspielhäuser, die eine wichtige Rolle in Argentiniens Theaterszene spielen. 2019 hatten sie sechs Prozent weniger Zuschauer als im Vorjahr. Der Grund: die Rezession, die auch den Kulturkonsum gedrosselt hat. Hinzu kommt jetzt die Corona-Krise. Diese trifft auch die große und beliebte alternative Theaterszene von Buenos Aires, erklärt Jon Goransky vom Teatro Metropolitan: "Das Off-Theater ist krisengeschüttelt und braucht dringend Subventionen. In künstlerischer Hinsicht allerdings wird es wohl als erstes die Pandemie thematisieren können, unter der zurzeit alle leiden."
Buchbranche unter Druck
Damit die kleinen Bühnen den Spielbetrieb auch wirklich wieder aufnehmen können, hat das argentinische Kulturministerium jetzt einen COVID-19-Notfonds aufgelegt - für Theater und andere Kultureinrichtungen. Staatliche Hilfe wird vielleicht auch ein Teil von Argentiniens großer Buchbranche benötigen, um der Corona-Krise standzuhalten. Die Absage der Feria del Libro, der internationalen Buchmesse von Buenos Aires, einer Verkaufsmesse, sei ein schwerer Schlag, sagt Messe-Direktor Oche Califa:
"In den letzten vier Jahren hatte der Buchmarkt bereits zu kämpfen. An die diesjährige Messe, die eigentlich Ende April beginnen sollte, hatten wir daher große Erwartungen. Die Absage ist schmerzlich. Und unter der Pflicht-Quarantäne leiden nicht nur die Verlage, sondern auch die Buchhandlungen - mehr als 1200 im ganzen Land."
In Argentinien werden deutlich mehr Bücher im Laden verkauft als online. Anfang dieser Woche nun hat die Regierung dem stationären Handel erlaubt, Kunden Bücher an die Haustür zu liefern. Die Verlage wiederum bieten E-Books einiger Autoren umsonst an. In Corona-Zeiten wird auch in Argentinien das Internet zur virtuellen Ausweichstätte für kulturelles Leben, erklärt Oche Califa, Direktor der Fería del Libro: "Um den Kontakt zu unseren vielen Besuchern und Besucherinnen nicht zu verlieren, haben wir fast sechshundert Videos von früheren Buchmessen auf Youtube gestellt - zugänglich für Interessierte auf der ganzen Welt."
Spenden statt Eintrittsgelder
Darunter sind viele Perlen, etwa Auftritte der Schriftsteller Paul Auster, Etgar Keret oder Claudia Piñeiro. Auch immer mehr Theater in Buenos Aires setzen auf Streaming. Das Teatro Metropolitan zeigt seit dem vergangenen Wochenende seine erfolgreichsten Inszenierungen online. Statt Eintrittsgeld werden Spenden für das Rote Kreuz erbeten. Direktor Jon Goransky: "Wir wollen die Quarantäne für alle angenehmer machen. Unser Angebot richtet sich an Theaterliebhaber, aber nicht nur. Ich finde es interessant, zu sehen, ob wir übers Internet neue Zuschauer gewinnen können."