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"Argentinisches Tageblatt"
Die letzte deutschsprachige Zeitung Argentiniens

In Argentinien leben knapp 200.000 Menschen, die Deutsch lesen und verstehen können. Das "Argentinische Tageblatt" informiert diese Leser seit 1889 über Wirtschaftskrisen und Bräuche. Die Zukunft der Zeitung ist jedoch unsicher, denn die Herausgeber werden immer älter und die politische Lage bleibt ungewiss.

Von Brigitte Baetz |
    Zeitung "Argentinisches Tageblatt"
    Sonderausgabe des Argentinisches Tageblatts (Deutschlandradio / Nadia Sattar)
    Belgrano ist eines der besseren, weil ruhigeren und wohlhabenderen Stadtviertel der Millionenmetropole Buenos Aires. Hier, in einer mehrstöckigen Villa, residiert die Diario Aleman, wie Google Maps sie ausweist: das Argentinische Tageblatt. Gegründet 1889 vom Schweizer Journalisten Johann Alemann - und seitdem ununterbrochen in Familienbesitz. Chefredakteur Stefan Kuhn ist seit fast 25 Jahren dabei. Der gebürtige Württemberger kam für ein Volontariat zum Argentinischen Tageblatt - und ist hängen geblieben, oder wie er meint:
    "Ich sag immer, ich hab den letzten Flieger vor der Abwertung verpasst."
    Als junger Redakteur des Argentinischen Tageblattes verdiente er mehr als er das in Deutschland gekonnt hätte, heute, im von Wirtschaftskrisen und Inflation regelmäßig geschüttelten Land, hat sich das verändert – sein Gehalt habe sich verzehnfacht, sagt Kuhn scherzhaft, die Ausgaben aber verzwanzigfacht. Trotzdem kann er zufrieden sein, denn das deutschsprachige "Argentinische Tageblatt" existiert weiter, während der nur wenige Jahre ältere "Buenos Aires Herald", das Blatt der englischsprachigen Gemeinschaft, 2017 eingestellt wurde:
    "Ich schätze, dass wir so 10.000 erreichen an Leserschaft. Wir haben, glaub ich, drei Leser pro Blatt. Wir haben ziemlich viele Leser einfach dadurch verloren, dass sie gestorben sind und keine Neueinwanderung da ist."
    Argentinisches Tageblatt verschrieb sich dem demokratischen Widerstand
    Die letzte Einwanderungswelle, die dem Argentinischen Tageblatt bis heute das Überleben gesichert hat, war die jüdischer Menschen aus Nazi-Deutschland. Während die anderen deutschsprachigen Zeitungen Argentiniens durchaus mit dem Dritten Reich oder anderen antirepublikanischen Gruppen sympathisierten, verschrieb sich das Tageblatt dem demokratischen Widerstand. Ernesto Alemann, Enkel des Schweizer Zeitungsgründers, dessen freisinniger Überzeugung verpflichtet und in Deutschland zum Redakteur ausgebildet, blieb als Chefredakteur kompromisslos, auch als deutsche Unternehmen einen Anzeigenboykott verhängten und die Universität Heidelberg Alemann den dort erworbenen Doktortitel entzog. Später allerdings paktierte das Blatt mit der argentinischen Militärdiktatur. Roberto Alemann, immer noch einer der beiden heutigen Herausgeber, diente dort sogar als Wirtschaftsminister.
    "Das liegt aber auch daran, dass ganz viele in der deutschen Gemeinschaft, auch ein früherer jüdischer Redakteur, die haben die Militärdiktatur begrüßt wegen dem Chaos, das da geherrscht hat. Man hat zwar eine demokratisch gewählte Regierung abgesetzt, aber die ist von relativ unfähigen Leuten dominiert worden," meint Chefredakteur Stefan Kuhn.
    200.000 Menschen in Argentinien können Deutsch lesen und verstehen
    Durch die Dauerpräsenz des anerkannten Wirtschaftsfachmannes Alemann in Talkshows des Argentinischen Fernsehens blieb der Herausgeber noch über die Diktatur hinaus ein Liebling des konservativen Bürgertums von Buenos Aires - was auch dem Anzeigenaufkommen der Zeitung nutzte. Heute sieht Chefredakteur Kuhn die Zukunft des Argentinischen Tageblattes in der Berichterstattung über die deutschen Vereine des Landes. Immerhin gäbe es immer noch rund 200.000 Menschen in ganz Argentinien, die Deutsch lesen und verstehen könnten - und jede Menge Oktoberfeste, bei denen er und seine Kollegen regelmäßig "durchgereicht würden", wie er sagt:
    "Meinen ersten Schuhplattler hab ich hier gesehen, nicht in Deutschland. Das wird schon sehr gepflegt (…). Das macht der Bayernverein und da machen mit Begeisterung auch italienischstämmige oder spanischstämmige Argentinier mit."
    Zukunft der Zeitung noch ungewiss
    Doch Brauchtum her, Brauchtum hin - die Zukunft der Zeitung gilt als unsicher. Hatte das Unternehmen in seinen Hochzeiten 300 Mitarbeiter, sind es heute ein knappes Dutzend. Längst erscheint das Tageblatt nur noch einmal pro Woche. Die Druckerei ist seit Ende der 90er Jahre geschlossen, die beiden Herausgeber 90 und 95 Jahre alt. Ob die Kinder einmal übernehmen, ist offen - und angesichts der Werbekrise, die alle argentinischen Zeitungen betrifft, von ihnen auch nicht zu erwarten. Trotzdem macht die Redaktion weiter. Neben Kuhn sind das vor allem Michaela Ehammer aus Tirol, die sich um Kultur und Wissenschaft kümmert und Marcus Christoph aus Heiligenhafen, der sein journalistisches Handwerk auf Fehmarn gelernt hat. Beide wissen nicht, ob sie auf lange Sicht in Argentinien bleiben können. Dazu seien die Lage im Land und die der Zeitung zu ungewiss, sagt Christoph, der nun fast schon neun Jahre in Buenos Aires lebt:
    "Ich hatte das ursprünglich auch nicht als Auswanderung geplant gehabt, ich hatte vielleicht an ein Jahr, zwei Jahre gedacht, um Spanisch zu lernen und eine andere Kultur kennenzulernen, aber ich kann nicht ausschließen, dass ich nach Deutschland zurückkehre - das ist immer eine Möglichkeit in meinen Gedanken."