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"Ariadne auf Naxos" an der Staatsoper Berlin
Feinstes seelisches Gewebe

Hans Neuenfels' "Ariadne auf Naxos" an der Staatsoper Berlin ist eine seiner klarsten und direktesten Inszenierungen. An die Stelle einer verrätselten Bilderflut, wie man sie sonst von ihm kennt, tritt eine ausgefeilte Personenregie, deren Psychologie raffinierte Verbindungslinien zwischen den beiden heterogenen Teilen der Oper schafft.

Von Julia Spinola | 15.06.2015
    "Ariadne auf Naxos" in der Staatsoper Berlin. Es spielen (v.l.n.r.): Brenda Rae, Marina Prudenskaya, Camilla Nylund.
    "Ariadne auf Naxos" in der Staatsoper Berlin. Es spielen (v.l.n.r.): Brenda Rae, Marina Prudenskaya, Camilla Nylund. (picture alliance / dpa / Claudia Esch-Kenkel)
    Der junge Komponist in Richard Strauss' Oper ist am Boden zerstört: Sein neues Werk, die heroische Oper "Ariadne", soll auf Anweisung des "reichsten Mannes von Wien" mit der vulgären Stegreif-Posse "Die ungetreue Zerbinetta und ihre vier Liebhaber" kombiniert werden. Und als wäre das allein nicht schon der Gipfel der Zumutungen, ordnet der banausenhafte Mäzen in diesem ersten Teil von Strauss' Oper in der Oper auch noch das scheinbar Unmögliche an: Beide Stücke, das ernste und das komische, seien - zwecks kürzerer Spieldauer und eines größeren Unterhaltungswerts - gleichzeitig aufzuführen. Doch dann ist es ausgerechnet ein Kuss der koketten Zerbinetta, der den flamboyanten jungen Mann mit seinen hochfliegenden künstlerischen Idealen vorübergehend wieder Mut schöpfen lässt. Erotisch verzaubert besingt er die Kraft der Musik, der reinsten und heiligsten aller Künste.
    Marina Prudenskaya singt die Hymne des Komponisten an seine Kunst am Ende des "Vorspiel" genannten ersten Teils von Richard Strauss Oper hinreißend leidenschaftlich, mit flammendem, zugleich bruchlos strömendem Mezzo-Soprantimbre. Wenn dann die zwielichtigen Gesellen der Stegreiftruppe Zerbinettas mit lasziven Bocksprüngen in diesen hehren Kunstbezirk hineinplatzen, leistet sich Hans Neuenfels den für diesen Abend einzigen seiner legendären Bühnen-Gags, die ihm einst den Ruf des Skandalregisseurs eingetragen haben. Truffaldin, Brighella, Harlekin und Scaramuccio springen als Landstreicher mit umgeschnallten Gummi-Penissen auf die Bühne. Für den Komponisten bricht eine Welt zusammen.
    Klare und direkte Inszenierung
    Und so stürzt im klinisch weißen, aus leeren Flächen, Rahmen und Vorhängen bestehenden Bühnenbild von Katrin Lea Tag die hintere Wand mit einem lauten Krachen herab. Steintrümmer rollen auf die Bühne und bereiten die antike Szenerie jener "wüsten Insel" vor, auf der nach der Pause die von Theseus verlassene Ariadne sich trauernd von der Welt abschottet.
    Neuenfels zeigt mit dieser "Ariadne" eine seiner klarsten und direktesten Inszenierungen. An die Stelle einer verrätselten Bilderflut, wie man sie sonst von ihm kennt, tritt eine ausgefeilte Personenregie, deren Psychologie zugleich raffinierte Verbindungslinien zwischen den beiden heterogenen Teilen der Oper schafft. So wird zum Beispiel das kurze Liebes-Techtel zwischen dem Komponisten und Zerbinetta im ersten Teil von der eifersüchtigen Primadonna beobachtet, also von der Darstellerin der Ariadne in der heroischen Oper des zweiten Teils. Auf diese Weise bahnt sich bereits hier das Verlassenheitstrauma der Ariadne an.
    Auch musikalisch geht die Premiere glänzend auf. Ingo Metzmacher leuchtet Witz und Charme dieser kaleidoskopisch funkelnden Strauss-Partitur nuanciert und mit genauem Gespür für Klangbalance, Tempi und Proportionen aus. Camilla Nylund ist eine fabelhafte Ariadne, Roberto Saccá ein hoch expressiver Bacchus und Brenda Rae eine betörend koloraturensichere Zerbinetta.
    Todeswunsch stärker als die Liebe
    Der Widerstreit zwischen den Gesetzen der Kunst und den Regeln des Kunstbetriebs, den Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal in ihrer Oper abhandeln, nimmt bei Hans Neuenfels kein gutes Ende. Strauss komponierte eine Apotheose, in der das klein besetzte "Ariadne"-Orchester plötzlich so klanggewaltig aufspielt, als gelte es, der "Götterdämmerung" Konkurrenz zu machen. Bacchus fährt als Deus ex Machina auf die "wüste Insel" herab, Ariadne gibt sich ihm hin, da sie ihn für den Todesboten Hermes hält, und so siegt am Ende dann doch die Liebe über ihren Todeswunsch. Nicht so bei Neuenfels, wo sich Ariadne am Ende selber ersticht. "Sie meint zu sterben?" singt der Komponist im "Vorspiel" zu Zerbinetta: "Nein! Sie stirbt wirklich". Neuenfels stellt sich mit dieser großartig gelungenen Inszenierung auf seine Seite.