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Ariel Magnus: “Das zweite Leben des Adolf Eichmann“
Ein NS-Verbrecher ohne Reue

Adolf Eichmann hat maßgeblich die Shoa mitorganisiert. Nach Kriegsende flüchtete er ins argentinische Exil, wo er ein unbeschwertes Leben im Kreise seiner Familie genoss. In seinem Roman liefert der jüdische Autor Ariel Magnus das Porträt eines Mannes, der alle Schuldgefühle von sich weist.

Von Christoph Ohrem |
Der Autor Ariel Magnus und das Cover zu seinem Buch "Das zweite Leben des Adolf Eichmann"
Der jüdische Schriftsteller Ariel Magnus verwandelt den NS-Verbrecher Adolf Eichmann in eine fiktive Figur. (© Dominik Asbach / KiWi Verlag)
Ariel Magnus nähert sich dem NS-Verbrecher Adolf Eichmann, der in Buenos Aires in den 50er Jahren inkognito lebt, in einer familiären Situation. Ein liebender Ehemann, der seine Familie am Hafen mit Blumen begrüßen möchte. Allerdings trauert gerade ganz Argentinien, da Eva Perón, die geliebte Evita, die First Lady des Landes tot ist.
"Ausgerechnet an dem Tag, an dem er nach sieben Jahren erzwungener und durchrungener Trennung seine Frau wiedersehen würde, waren in der ganzen Stadt keine Blumen aufzutreiben. Nachdem sich die Gewerkschaften der landesweiten Trauer angeschlossen hatten, gab es auch keine öffentlichen Verkehrsmittel mehr. Doch die eigentliche Katastrophe war der völlige Mangel an Rosen, Veras Lieblingsblumen."

Adolf Eichmann lebt inkognito

Der Erzähler holt die Leserschaft von Anfang an sehr nahe heran an das Innenleben Eichmanns und damit auch an seine menschenverachtenden Gedanken. Magnus wahrt dabei jedoch eine gewisse Distanz zu seiner literarischen Figur, die er unter dessen Decknamen Ricardo Klement vorstellt. Oft setzt er ihn Spott aus, macht den Verbrecher bisweilen lächerlich. Etwa nach dem Wiedersehen im Hafen, wenn er Sex mit seiner Frau Vera hat.
"Klement ejakulierte in seiner Ehefrau, ein Erguss, der eher rückfordernd war als lustvoll, als wollte er damit die erschrockene Miene aus ihrem Gesicht löschen, ihn derart vor der Zeit gealtert zu sehen, und ging nach nebenan ins Bad, bevor sein Glied sich wieder ein- und in die Vorhaut zurückzog, was das gründliche Reinigungsprogramm erschwerte, dem er es nach dem Beisammensein mit einer Frau zu unterziehen pflegte, selbst wenn es die eigene war."

Nazi-Netzwerke in Argentinien

Der Spott geht nie so weit, dass man hier von einer Parodie sprechen könnte. Zwar stützt sich der Autor auf eine Vielzahl historischer Quellen, der genaue Wortlaut von Gesprächen und auch viele Szenen sind dabei fiktiv. Etwa bei diesem Treffen von Adolf Eichmann und Josef Mengele, SS-Lagerarzt im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau. Ganz öffentlich tauschen sie an einem Tisch in einem Café in Buenos Aires Erinnerungen aus.
"Ich erinnere mich zum Beispiel an das Gesicht einer Jüdin auf der Selektionsrampe. Sie war lächerlich kleinwüchsig und begleitete ihre Mutter, eine blinde Alte, die ich sofort zu den Duschen schickte. Und wissen Sie, was diese Bodenbeule macht? Sie läuft ihr nach! Ohne dass ich ihr das befohlen hätte! Dann passierte etwas völlig Paradoxes: Ich gab ihr einen Tritt, damit sie sich in die Reihe mit den Arbeitsfähigen stellte. Kapieren Sie, was ich Ihnen da gerade sage? Ich habe diese dumme Kuh gerettet."

Die eigene Familiengeschichte verarbeiten

Die Geschichte der kleinwüchsigen Frau, die Mengele hier ausbreitet, ist angelehnt an eine tatsächliche Begebenheit, die der Großmutter des Autors widerfahren ist. Ihren Lebensweg als Auschwitzüberlebende hat Ariel Magnus bereits in dem Roman "Zwei Unterhosen der Marke Hering" verarbeitet. In "Das zweite Leben des Adolf Eichmann" ist sein Ansatz, den Kriegsverbrecher Eichmann und die anderen Schergen zum Dasein als literarische Figur und damit zur Fiktion zu verurteilen, wie er selbst in einem persönlichen Nachwort schreibt.
Diese prominenten Kriegsverbrecher als literarische Figuren zum Leben zu erwecken, ist ein Wagnis. Zwar lässt sich der Roman durch den immer wiederkehrenden Spott sicherlich nicht als Heldenverehrung lesen. Dennoch werden die menschenverachtenden Aussagen und Ansichten teils ungefiltert in Eichmanns Gedanken oder seinen Gesprächen mit anderen Nazis vorgeführt. Das ist alles andere als eine angenehme Lektüre.

Ein Leben ohne Einsicht

Im argentinischen Spanisch trägt der Roman den Titel "el desafortunado", was so viel heißt wie der Unglückselige. Eichmann sieht sich als Pechvogel.
"Dem Pech, einen sadistischen Chef wie Heinrich "Gestapo" Müller abbekommen zu haben, verdankte er nun diese Grube voller Leichen in seinem Kopf, die er in Minsk gesehen hatte. Immer noch so nah, dass sein Hirn mit den Hirnstückchen befleckt zu sein schien, die seinen mit Bärenfell gefütterten Ledermantel verdreckt hatten."
Silke Kleemann überträgt diesen eher konventionell, aber durchaus pointiert geschriebenen Roman gelungen ins Deutsche. Allein der Titel "Das zweite Leben des Adolf Eichmann" ist irreführend. Es geht in dem Roman eben genau darum, dass es dasselbe Leben, derselbe Mensch ist, der da in Argentinien im Exil lebt – und kein zweites Leben, wie es im Titel heißt.
Der jüdische Schriftsteller Ariel Magnus verwandelt hier einen maßgeblich Mitverantwortlichen der Shoa in eine literarische Figur, führt ihn vor und seziert ihn, was auch als persönlicher Akt der Selbstermächtigung zu verstehen ist. Daneben ist der Roman eine Mahnung des Autors. An Argentinien, nicht zu vergessen, dass dort so viele Verbrecher Unterschlupf gefunden haben. Und an Deutschland, dass die Vertreter der Nazi-Ideologie bisweilen sehr komfortabel das Kriegsende überdauert haben.
Ariel Magnus: "Das zweite Leben des Adolf Eichmann"
Aus dem Spanischen von Silke Kleemann
Kiepenheuer & Witsch, Köln. 240 Seiten, 20 Euro.