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Ariel Magnus: "Die Schachspieler von Buenos Aires"
Exil, Schach und Krieg

Als 1939 der Zweite Weltkrieg begann, fand in Argentinien eine Schach-Olympiade statt. Dieses Ereignis verknüpft Ariel Magnus in seinem Roman "Die Schachspieler von Buenos Aires" mit seiner Familiengeschichte: Sein jüdischer Großvater musste aus Nazi-Deutschland ins Exil flüchten.

Von Dirk Fuhrig |
    Buchcover: Ariel Magnus: "Die Schachspieler von Buenos Aires"
    Ariel Magnus verwebt in seinem Roman Biografisches und Historisches (Buchcover: Kiepenheuer & Witsch Verlag, Foto: picture alliance / dpa Foto: Horst Brix)
    Während in Europa der Zweite Weltkrieg beginnt, findet am Rio de la Plata eine andere "kriegerische" Auseinandersetzung statt. Dort wird im Sommer 1939 die "Schacholympiade" ausgetragen. Über diese Meisterschaft hat der argentinische Schriftsteller Ariel Magnus den Roman "Die Schachspieler von Buenos Aires" geschrieben.
    Magnus wurde 1975 in Argentinien geboren, hat einige Jahre in Berlin verbracht und veröffentlicht bis heute gelegentlich in deutschen Zeitungen. "Zwei lange Unterhosen der Marke Hering" hieß sein heiter-beklemmendes Buch über die Auschwitz-Vergangenheit seiner Großmutter. In "Ein Chinese auf dem Fahrrad" beschäftigte er sich mit dem Rassismus in der argentinischen Gesellschaft.
    In "Die Schachspieler von Buenos Aires" verbindet er die Brettspiel-Olympiade, auf der sich Vertreter zahlreicher Nationen begegnen, mit biografischen Elementen aus dem Leben seines Großvaters, der als Jude aus Deutschland emigrieren musste.
    "Dieser Roman ist von der ersten bis zur letzten Zeile ein Werk der Fiktion."
    Ariel Magnus beginnt sein Buch mit einer etwas altertümlich daherkommenden "Vorwarnung". Der Autor fabuliert darin über das Verhältnis von Realität und Fiktion:
    "Absolut real ist schließlich, dass es in Stefan Zweigs "Schachnovelle‘" eine fiktive Figur namens Mirko Czentovich gibt."
    Magnus formuliert seinen Vorspruch so geistreich und geschickt, dass darin bereits die komplexe Struktur des Romans deutlich wird: sein Bezug auf Stefan Zweig, auf das Schachspiel - und auf die Verknüpfung mit der eigenen Familiengeschichte. Vor allem schlägt er den ironisch-leichten Ton an, der die gesamte Erzählung prägen wird:
    "Sie alle sind hier als fiktive Figuren tätig und stehen exklusiv im Dienst der Vorstellungskraft ihres Autors."
    Verbindung von Historischem und Biografischem
    "Die Schachspieler von Buenos Aires" verbindet höchst kunstvoll historische Ereignisse und biografische Elemente zu einem facettenreichen Roman: Kern der Handlung ist das Leben von Heinz Magnus, Großvater des Autors, der als Jude vor den Nationalsozialisten aus Hamburg fliehen musste. In Argentinien baute er sich eine neue Existenz auf.
    Nach seinem Tod fallen dem Enkel Ariel die Tagebücher des Großvaters in die Hand. In denen wird deutlich, dass er gern Schriftsteller geworden wäre – aber es wegen der Zeitumstände nie auch nur auf die Universität geschafft hat. Er bewunderte Stefan Zweig - und war unter den Zuhörern, als der weltberühmte österreichische Autor auf seinem Weg ins Exil 1940 in Buenos Aires Vorträge hielt:
    "Stefan Zweig war hier, mein Großvater hat ihn gesehen. Mein Großvater war ein großer Leser, er liebte Stefan Zweig über alles."
    In Stefan Zweigs "Schachnovelle" ist der Protagonist ein Rechtsanwalt, der die Folterungen durch die Nazis mental nur übersteht, indem er Schachpartien auswendig lernt.
    Bei der Beschäftigung mit dem Erbe des Großvaters fand Ariel Magnus den Hinweis, dass im Sommer 1939 in Buenos Aires eine internationale Schacholympiade stattfand. Zu der war die Münchnerin Sonja Graf angereist, eine der besten Spielerinnen der Welt. Sie trat allerdings nicht für Deutschland an, sondern in der Kategorie "libre" - "frei". Während in Buenos Aires um den Sieg auf dem schwarz-weißen Brett gerungen wurde, entfesselte Hitler den Zweiten Weltkrieg. Sonja Graf, die Vize-Weltmeisterin wurde, blieb daraufhin in Südamerika und veröffentlichte zwei Bücher über Schach – die Ariel Magnus wiederum als Material für seinen Roman verwendet hat.
    Magnus bringt ungeheuer viel in seinem Roman zusammen: Das Schicksal von Sonja Graf; die "Schachnovelle" von Stefan Zweig, die auf einem Passagierschiff spielt mit Ziel Buenos Aires – wo eben jene Schachweltmeisterschaft stattfand; die persönliche Geschichte des deutschen Emigranten Heinz Magnus; den Krieg, der in dem Brettspiel gespiegelt wird.
    Der Roman als Spiel
    "Zu dieser ,Verschachtelung' kommt das für mich Wichtigste, nämlich den Roman als Spiel zu betrachten. Man musste immer wieder aus der Handlung rausgehen können und reingehen. Das ist für mich ein Spiel. Und vor allem Schach, wo man in einer Sekunde rausgehen kann und weiß, es ist ein Spiel und nichts anderes. Und in der nächsten Sekunde rein, und es gibt nichts Weiteres in der Welt als das Spiel. Das ist Schachspielen. Und das ist auch Literatur."
    Zu dem literarischen Spiel mit Erfindung und Wirklichkeit gehört eine Romanze zwischen Heinz Magnus und der Schachmeisterin aus Deutschland - die ist ausgedacht, aber Teil dieser intelligenten Anordnung, in der der auktoriale Erzähler seine Personen hin und her schiebt - so wie ein Spieler die schwarzen und weißen Figuren beim Schach. Im argentinischen Original heißt das Buch "El que mueve las piezas. " – "der, der die Teile bzw. die Figuren bewegt". Und es trägt den Untertitel "una novela belica" - ein Kriegsroman. Zu allen anderen kommen auch noch biografische Bezüge:
    "Ich bin auch eine Person in dem Roman, wegen der ganzen biografischen Dinge. Ich wäre lieber keine Person in dem Roman, aber es ist so. Das multipliziert auch die Ebenen, das war gut. Diese Ebenen haben auch mit einem Gedicht von Borges zu tun, das sehr präsent ist im Roman - über Schach. Er hat sehr wenig über Schach geschrieben, aber dieses Gedicht ist so potent, dass man meint, er habe sehr viele darüber geschrieben, als sei seine ganze Literatur über Schach."
    Die Vielzahl der Erzählstränge, das Changieren zwischen historischen Fakten, biografischen Elementen und dem fiktionalen Fabulieren, gespickt mit so vielen gebildeten Anspielungen, dazu noch vor der Folie des argentinischen Literatur-Gotts Jorge Luis Borges - man könnte meinen, das Buch sei eine anstrengende und komplizierte Lektüre. An manchen Stellen ist es das auch. Etwa wenn die Windungen und Wendungen des Schachturniers und seine Symbolhaftigkeit für den Krieg in Europa in üppiger Ausführlichkeit geschildert werden.
    Insgesamt schafft es Ariel Magnus aber, mit seinem präzisen Stil, seinen oft humorvoll grundierten Sätzen und den überraschenden Perspektivwechseln, die auseinanderdriftenden Erzählebenen immer wieder zusammenzubringen.
    Ein Buch über Exil, Schach und Krieg
    "Die Schachspieler von Buenos Aires" ist daher ein höchst anregender und amüsanter Roman voller Esprit. Ein Buch über das Exil, über Argentinien, über eine jüdische Familie - über die deutsche Vergangenheit, Stefan Zweig und die Entwurzelung der von den Nazis vertriebenen Intellektuellen. Über Schach - und über Krieg.
    "Waren Frankreich und Großbritannien auch die ersten Länder, die Deutschland den Krieg erklärten, so handelten doch nur die Engländer konsequent und brachen das Turnier ab. Noch am selben Tag, als Hitler in Polen einmarschierte. Wie daraus ersichtlich ist, begann der Zweite Weltkrieg rein technisch in Buenos Aires."
    Ariel Magnus: Die Schachspieler von Buenos Aires.
    Aus dem argentinischen Spanisch von Silke Kleemann. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2018. 336 Seiten, 22 Euro.