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Armenhaus am Tropf

Seit Ägypten dem Gazastreifen praktisch den Hahn zugedreht hat, ist die Nachfrage nach Benzin groß und Strom ist knapp. Der regierenden Hamas bleibt die unpopuläre Aufgabe, den Mangel zu verwalten. Doch Gewinner gibt es natürlich auch in dieser Krise. Der Schwarzmarkthandel boomt.

Von Tim Aßman |
    Eine Gruppe von Palästinensern drängelt sich um eine Zapfsäule. Einer füllt Benzin in einen Kanister, und er hätte noch einen zweiten dabei. Doch den wollen ihn die anderen nicht mehr füllen lassen. Eine Tankstelle in Deir el Balah im Gazastreifen. Sie hat an diesem Tag Benzin und Diesel bekommen. Das hat sich rumgesprochen. Die Schlange aus Autos, Motorrädern und dreirädrigen Tucktucks ist mehrere hundert Meter lang. Dieser Mann schiebt nach stundenlangem Warten sein Motorrad zur Zapfsäule.

    "Ich bin seit sechs Uhr hier und warte. Eigentlich brauche ich 50 Liter, aber ich denke mehr als zwanzig werden sie mir nicht geben, denn jeder kann hier nur Benzin für höchstens 50 Schekel kaufen."

    Für 50 Schekel, umgerechnet zehn Euro, bekommt der Mann schließlich seine 20 Liter Benzin. Mehr nicht. Sprit ist schon seit Monaten Mangelware im Gazastreifen und daher rationiert. Die 130 Tankstellen bekommen nur sehr unregelmäßig Nachschub. Sie werden teils wochenlang nicht beliefert und sind meist geschlossen.

    "Ich versuche schon seit drei Tagen Benzin zu tanken. Ich war überall. Nirgendwo hatten sie etwas."

    An den Zapfsäulen kommt es zu tumultartigen Szenen. Immer wieder müssen Hamas-Polizisten in dunkelblauer Uniform eingreifen – die Kalaschnikow auf dem Rücken, einen langen Holz-Schlagstock in der Hand, drängt dieser Polizist seine Landsleute zur Seite, die sich um den Zapfhahn streiten.

    "Alle wollen Benzin, alle versuchen zu mogeln, rechts oder links vorbeizukommen. Hier Ordnung zu halten ist sehr schwer, aber das muss sein, damit jeder etwas bekommt."

    Aber natürlich wird nicht jeder etwas bekommen. Auch diesmal wird das Ende der Schlange leer ausgehen. Denn die Nachfrage ist zu groß und der Mangel riesig. Tucktucks, Motorräder, Autos, Busse, Lastwagen. Der Gaza-Streifen mit seinen mehr als 1,6 Millionen Bewohnern ist komplett auf den Straßenverkehr angewiesen. Benzin und Diesel für die Tankstellen kommen fast ausschließlich aus den Schmugglertunneln unter der ägyptischen Grenze - oder eben auch nicht, wie nun schon seit mehreren Monaten. Die armdicken Schläuche, die in den Tunneln, nahe Rafah im südlichen Gazastreifen liegen, sind meist ungenutzt. Die Pumpen an der Oberfläche stehen still. Ägypten hat quasi den Hahn zugedreht. Die Regierung in Kairo subventioniert den Treibstoff im eigenen Land. Er kommt dort ungefähr zwei Drittel unter dem Weltmarktpreis aus den Zapfhähnen und eben als Schmuggelware auch verbilligt hinüber nach Gaza. Ägypten subventionierte also Gaza gleich mit, und damit ist nun weitgehend Schluss. Treffen tut das vor allem die Hamas, die Gaza regiert. Sie schlägt nämlich auf den Sprit aus den Tunneln noch einmal mehr als 30 Prozent an Steuern auf. Von der großzügigen Preispolitik Ägyptens profitierte also vor allem Hamas mit geschätzten fünf Millionen Euro pro Monat. Doch nun fließt nur noch wenig Treibstoff durch die Schläuche unter der Grenze, und Hamas bleibt die unpopuläre Aufgabe in Gaza, den Mangel zu verwalten. Doch Gewinner gibt es natürlich auch in dieser Krise.

    Ein großzügiger, blühender Garten nahe der Hauptverkehrsstraße zwischen Gaza und Rafah. Jallal Mussadar sitzt in einem Gartenstuhl und streckt die Beine aus. Er wirkt sehr zufrieden. Dem Mann gehören drei Tankstellen im Gazastreifen, das große Anwesen an der Hauptstraße und ein nagelneues großes Haus in Strandnähe. Gerne hätte ich Jallal Mussadar an einer seiner Tankstellen interviewt, aber er bestand auf dem Treffen in seinem Garten, obwohl der nächste seiner Betriebe nur ein paar hundert Meter entfernt ist. Hat er Angst, sich an den Zapfsäulen zu zeigen? Nein, sagt Jallal Mussadar.

    "Das Verhalten der Bevölkerung mir gegenüber ist normal. Ich verkaufe, was ich bekomme. Das Problem ist, dass seit zwei Monaten, immer dann wenn es Stromausfälle gab, die Leute ihre Generatoren anwerfen, die sie zuhause haben. Die Nachfrage nach Benzin und Diesel ist enorm gestiegen. Normalerweise verbraucht der Gazastreifen 20 Millionen Liter im Monat, und in diesem Monat sind nur neun Millionen auf dem Markt. Das Problem ist auch Ägypten. Die Versorgung von dort stockt auch. Ich war selber drüben. Es gibt dort auch Engpässe. Das wird aber wohl besser dort, und das merken wir dann hier auch, und auch die Stromversorgung wird wieder zuverlässiger werden, sodass die Nachfrage nachlässt."

    Doch von dieser Entspannung ist bisher nichts zu spüren. Er verkaufe wirklich jeden Liter, den er bekomme, direkt auf dem freien Markt weiter, beteuert der Tankstellenbesitzer, doch er lügt.

    In der Einfahrt seiner nächstgelegenen Tankstelle liegt ein Stahlträger, der Kunden signalisiert: Wir haben nichts. Die Hartnäckigen, die doch anhalten und nachfragen, werden von einem Angestellten weggeschickt. Die Lieferung, die am Nachmittag gekommen sei, habe man schon komplett verkauft, erklärt er den Leuten. Dann geht er zum Tankwagen hinüber, der angeblich leer ist und lässt Benzin in einen unterirdischen Speicher laufen. Den Tankstellenbesitzern im Gazastreifen eilt pauschal der Ruf voraus, Betrüger und Krisengewinnler zu sein. Für diesen jungen Lkw-Fahrer ist klar, wer für den Treibstoffmangel verantwortlich ist. Seinen richtigen Namen möchte mir der junge Mann aus Angst vor der Hamas nicht sagen. Ich soll ihn Hassan nennen, sagt er.

    "Schuld sind die Hamas und die Tankstelleninhaber. Die bekommen geschmuggelten Treibstoff aus Ägypten geliefert. Dann verkaufen sie die Hälfte zum normalen Preis an ihren Zapfsäulen und den Rest verstecken sie und verkaufen ihn zum doppelten Preis auf dem Schwarzmarkt. Die Tankstellenbesitzer sind alle Lügner, und wenn sie es so machen, machen es die normalen Leute eben auch so."

    Ein anderer Mann erzählt, wie er auf dem Schwarzmarkt einhundert Liter Benzin gekauft hat – also fünfmal soviel wie er legal überhaupt auf einmal an den Tankstellen beziehen dürfte. Umgerechnet einen Euro habe er pro Liter bezahlt, erzählt der Arzt. Das ist doppelt so hoch, wie der von der Hamas festgelegte offizielle Benzinpreis. Der Schwarzmarkt floriert, und Lastwagenfahrer Hassan hat auch schon mitgemischt.

    "Ich habe für meinen Lastwagen 200 Liter Diesel getankt. Für zwei Schekel 50 der Liter. Zuhause habe ich den Sprit dann in Kanister abgefüllt und verkauft. Zum doppelten Preis. Das bringt viel mehr als Lastwagen zu fahren."

    Der Verkehr im Gazastreifen ist durch den Treibstoffmangel dünner geworden, und die Eselskarren erleben eine Renaissance. Aber natürlich können sie Busse und Taxis nicht ersetzen. Auch Feuerwehren und Krankenwagen sind von der Krise betroffen. Weil der Nachschub aus Ägypten stockt, werden an den Tankstellen zum Teil auch Benzin und Diesel aus Israel verkauft, doch sie sind ungefähr dreimal so teuer wie der verbilligte Schmuggel-Treibstoff aus Ägypten, und natürlich reichen auch die israelischen Lieferungen nicht aus, um den Bedarf im Gazastreifen zu decken.

    Ein paar Kilometer vom Stadtzentrum von Gaza entfernt befindet sich das einzige Elektrizitätswerk des abgeriegelten Küstenstreifens. Es kann theoretisch ungefähr die Hälfte des Strombedarfs decken. Hinzu kommen Strommengen aus Israel und Ägypten. Betrieben werden die Turbinen des E-Werks in Gaza mit Dieselöl. Doch die riesigen Tanks der Anlage sind leer. Schließlich kommt ein einzelner Tankwagen. Eine Szene mit Symbolcharakter, denn das E-Werk stand zuletzt meist still, weil eben kein Dieselöl mehr kam. Nur sechs Stunden Strom am Tag konnte das E-Werk auf dem Höhepunkt der Krise einspeisen. Die Folge war, dass überall im Gazastreifen die Generatoren angeworfen wurden, aber auch die brauchen Treibstoff, der Ansturm auf die Tankstellen wurde größer und die Krise auch. Krankenhäuser riefen um Hilfe. Der Betrieb in den OP-Sälen stand teils kurz vor dem Aus. Auf einigen Intensivstationen wäre es fast dazu gekommen, dass manuell hätte beatmet werden müssen. Das Internationale Rote Kreuz sprang ein und lieferte an dreizehn Kliniken rund 150.000 Liter Diesel. Die Stromausfälle haben für den ganzen Gazastreifen dramatische Konsequenzen.

    Eine Keksfabrik in Deir el Balah. Arbeiter in blauen Kitteln sitzen an Fließbändern. Sie verpacken Waffeln und Schokokekse für den heimischen Markt, denn exportieren darf das Unternehmen ja aufgrund der israelischen Blockade nicht. Dass die Bänder laufen, sei eine Ausnahme, sagt Manal Hassan, die Geschäftsführerin der Fabrik.

    "Normalerweise produzieren wir 24 Stunden am Tag. In drei Schichten. Da kann man sich vorstellen, wie schwer sich eine Fabrik betreiben lässt, wenn es täglich nur sechs Stunden Strom gibt. Wir haben Generatoren, aber keinen Diesel um sie zu betreiben. Keinen Strom und keinen Generator, also stand die ganze Fabrik schlicht still. Die ganze Fabrik. Hier arbeiten 500 Menschen. Sie können sich also vorstellen, wie stark wir betroffen sind. Es löste natürlich auch einen Lieferengpass aus. Wir leiden ja außerdem auch unter Gasmangel. Wir betreiben unsere Öfen mit Gas, und das gibt es nun auch nur noch sehr eingeschränkt. Wir bräuchten 45 Kubikmeter Gas im Monat, aber alles, was wir haben sind, sagen wir, 15 Kubikmeter. Auch das führte zu drei bis vier Tagen Produktionsstopp pro Woche – wegen der Gasknappheit."

    Die Produktionsausfälle treffen das Unternehmen, das seine Kunden nicht mehr beliefern kann, und direkt und mit voller Härte die Beschäftigten. Jeder Tag ohne Strom ist für die 500 Angestellten ein Tag ohne Lohn. Die Keksfabrik ist keine Ausnahme. Der Treibstoffmangel, der zu Strommangel führt, trifft alle Bereiche der sowieso schon völlig unterentwickelten Wirtschaft im Gazastreifen. Ursache ist zum einen das Vorgehen der ägyptischen Regierung gegen den Schmuggel. Vor allem aber ist die Krise ein palästinensisches Problem. Das Dieselöl für das E-Werk von Gaza kam bis 2010 aus Israel. Bezahlt wurde es zwischen 2006 und 2009 mit Mitteln der Europäischen Union. Rund neun Millionen Liter pro Monat kamen per Tankwagen über einen israelischen Übergang in den abgeriegelten Küstenstreifen. Die EU zahlte dafür, je nach aktuellem Ölpreis, zwischen zwölf und 14 Millionen Dollar pro Monat. Abgewickelt wurde das Geschäft über die palästinensische Autonomiebehörde. Die Hamas, die den Gazastreifen seit 2007 beherrscht, war der große Profiteur des Geschäfts. Die Islamisten konnten sich mit der Gewährleistung der Stromversorgung brüsten ohne auch nur einen Cent dafür zu zahlen. Ab 2009 allerdings wurden die Hilfsgelder stärker für andere Bedürfnisse der Palästinenser verwendet, und 2010 drehte die Autonomiebehörde in Ramallah den Geldhahn dann komplett zu. Sie will, dass das E-Werk in Gaza sein Dieselöl selbst bezahlt. Schließlich verkauft es seinen Strom ja auch an die Kunden in Gaza. Doch so einfach sei es eben nicht, sagt Jamal el Derdisawi, der Pressesprecher von Gedco – dem Stromversorger im Gazastreifen.

    "Wir haben folgendes Problem. Strom braucht Treibstoff, und der muss gekauft und natürlich bezahlt werden. Diese Bezahlung wurde dem Stromversorger übertragen. Wir müssen das Geld an Ramallah zahlen, von dort wird es dann weitergeleitet an die Israelis. Aber für uns ist es sehr schwierig soviel Geld aufzutreiben, denn es gibt ja hier in Gaza viele soziale, wirtschaftliche und politische Probleme. Die Menschen sind durch die Blockade schon sehr belastet. Wir können ihnen nicht noch mehr zumuten. Es gibt hier eine hohe Arbeitslosigkeit und große Armut. Das Zahlen der Stromrechnung steht da an letzter Stelle bei vielen Leuten. Die haben andere Sorgen. Sie müssen ihre Lebenshaltungskosten decken. Strom kommt am Schluss. Wir als Stromversorger können also einfach nicht genügend Geld auftreiben. Treibstoff könnte reichlich geliefert werden aus Israel über den Übergang Kerem Shalom, aber wer bezahlt? Wer finanziert das? Die Verträge sagen: wir müssen uns um die Bezahlung kümmern und uns das Geld von den Stromkunden holen, aber die können nicht zahlen."

    Schätzungsweise 70 Prozent der Kunden zahlen ihre Rechnungen nicht, und dem Stromversorger Gedco sind die Hände gebunden. Das Unternehmen könnte zwar, wie im palästinensischen Westjordanland bereits üblich, Prepaid-Stromzähler einbauen. Sie liegen auch schon bereit, aber der Einbau ist offenbar politisch nicht gewollt. Die Hamas sorgt sich ums Image, und außerdem hätte sie auch selbst ein Riesenproblem mit den Prepaid-Stromzählern. Auch die Hamas-Behörden und andere Einrichtungen zahlen ihren Strom nicht. Für Manal Hassan, die junge und resolute Geschäftsführerin der Keksfabrik in Deir el Balah, wäre der Einbau neuer Stromzähler angesichts der wirtschaftlichen Lage im Gazastreifen sowieso völlig überflüssig.

    "Sie müssen wissen, dass 70 Prozent der Menschen in Gaza unterhalb der Armutsgrenze leben. Die Arbeitslosigkeit ist so hoch. Es gibt kaum Jobs, und wenn sie keine Arbeit und kein Geld haben, wie wollen sie da die Stromrechnung zahlen? Sie können ja nicht mal das Brot, also die Grundnahrungsmittel bezahlen. Es ist also für die meisten schwer, ihren Strom zu zahlen. Wir aber zahlen unseren ganzen Strom, und viele Familien tun es auch. Warum also werden sie jetzt bestraft mit Stromausfall? Das trifft doch alle. Die, die zahlen und die, die nicht zahlen."

    Weil Stromversorger Gedco die Treibstoff-Lieferungen aus Israel nicht mehr bezahlen kann und die Hamas auch nicht mehr in der Lage ist, die entstandene Versorgungs-Lücke mit Dieselöl aus Ägypten zu füllen, kommt es also immer wieder zu Stromausfällen. Zwar überwies Hamas zwischenzeitlich wieder etwas Geld an die Autonomiebehörde, die damit dann Dieselöl in Israel kaufte, doch eine dauerhaft stabile Versorgung des Elektrizitätswerks ist nicht gesichert. Gedco-Pressesprecher el Derdisawi schaut auf seine Hände und zieht frustriert Bilanz.

    ""Die Versorgung richtet sich danach, wie viel das Kraftwerk liefern kann. Auf dem Höhepunkt der Krise haben wir nur sechs Stunden täglich Strom geliefert. Jetzt, wo wir Treibstoff bekommen, hat sich die Lage etwas entspannt. Wir liefern acht Stunden Strom, dann schalten wir acht Stunden ab."

    Ein wirkliches Ende der Krise sei nicht in Sicht, sagt Adel al Habbash. Er ist in Gaza Vertreter der Energieagentur der Autonomiebehörde.

    "Wir kennen unseren Weg. Wissen, was zu tun ist. Und wenn wir unter erträglichen Bedingungen leben würden, glauben Sie mir, hätten wir eine vollständige eigene Stromerzeugung, einen kompletten Vertriebsweg, ein nationales Steuerungszentrum, so wie alle anderen Länder in der Welt, aber wissen Sie, sobald wir anfangen etwas zu starten, wird es zerstört, es verzögert sich oder wird auf Eis gelegt – wegen der politischen Rahmenbedingungen hier in der Region. Der Hauptgrund ist rein politisch. Wenn Sie etwas aufbauen und Fortschritte erreichen wollen, egal wo in der Welt, sind das erste, was Sie brauchen, erträgliche politische und militärische Rahmenbedingungen, und Sie kennen doch Gaza!"

    Die Menschen in Gaza zahlen, wieder einmal, den Preis dafür, dass sich die rivalisierenden politischen Lager Hamas und Fatah nicht einigen können. Denn natürlich hat die konsequente Weigerung der Autonomiebehörde in Ramallah den Treibstoff für das E-Werk selbst zu bezahlen auch politische Gründe. Die von der Fatah beherrschte Autonomiebehörde um Präsident Abbas schwächt durch ihre Haltung die Hamas in Gaza. Wenn man die Leute auf den Straßen des abgeriegelten Küstenstreifens fragt, wer Schuld hat an Treibstoffmangel und Stromausfällen, dann antworten die meisten: Hamas. Ins Mikrofon möchten sie es aber nicht sagen. Gerüchte haben die Runde gemacht, dass Taxifahrer, die Hamas als Verursacher der Krise nannten, vorübergehend in Haft kamen und eine Strafe zahlen mussten. Manche der Menschen auf der Straße halten auch die Autonomiebehörde oder Ägypten für verantwortlich, aber Israel geben sie nicht die Schuld. Diese Meinung äußert allein Hamas. Für deren Sprecher Fawsi Barhoum sind alle anderen schuld, aber nicht seine Organisation.

    "Israel lehnt es auch ab, uns ausreichend Strom zu liefern. Die Ägypter weigern sich ebenfalls, und das zeigt, dass wir es hier eigentlich mehr mit einem politischen Problem zu tun haben. Mit keinem technischen."

    Hunderte Hamas-Milizionäre treten am Morgen auf der Uferstraße in Gaza-Stadt an. Im Chor brüllen sie "Allah ist groß". Der öffentliche, martialisch wirkende Frühsport der Milizionäre in den dunkelblauen Hosen und T-Shirts soll auch Stärke zeigen.

    Tatsächlich aber ist Hamas geschwächt. Ihre Verbündeten und Geldgeber haben sich zurückgezogen. Syrien ist mit sich selbst beschäftigt, und weil Hamas dem Assad-Regime nicht öffentlich den Rücken stärkte, hat auch der Iran seine Unterstützung für die Islamisten zumindest deutlich zurückgefahren. Diese haben nun ein massives Finanzierungsproblem, das noch durch den Treibstoffmangel verschärft wird. Wenn weniger Benzin und Diesel durch die Tunnel aus Ägypten kommen, nimmt Hamas auch weniger Steuern ein. Wie leer die Kassen der Organisation sind, spüren die Menschen in Gaza an der ständig steigenden Abgabenlast. Das wiederum macht Hamas unbeliebter.

    Außerdem gelten die Islamisten, die einst antraten um Vetternwirtschaft zu bekämpfen, mittlerweile bei vielen in Gaza selbst als hochkorrupt. Jüngsten Umfragen zufolge erreichen die Islamisten nur noch eine Zustimmung von 36 Prozent. Hamas steht unter Druck, sich mit der Fatah zu einigen, doch den großen Worten nach dem Versöhnungsabkommen zwischen beiden Fraktionen sind bisher keine Taten gefolgt. Hamas in Gaza tritt gegenüber dem Politbüro der Organisation auf die Bremse, fürchtet seinen Einfluss im Küstenstreifen zu verlieren. Eigentlich wollten Fatah und Hamas im Mai die längst fälligen Wahlen in den palästinensischen Gebieten abhalten. Davon spricht nun niemand mehr. Hamas zumindest kann gegenwärtig kein Interesse daran haben, dass die Bevölkerung im Gazastreifen über sie abstimmt.
    Ein paar Kilometer vom Stadtzentrum von Gaza entfernt befindet sich das einzige Elektrizitätswerk des abgeriegelten Küstenstreifens
    Ein paar Kilometer vom Stadtzentrum von Gaza entfernt befindet sich das einzige Elektrizitätswerk des abgeriegelten Küstenstreifens. (Deutschlandradio - Tim Assmann)
    Arbeiterinnen in einer Keksfabrik in Deir el Balah
    Arbeiterinnen in einer Keksfabrik in Deir el Balah. (Deutschlandradio - Tim Assmann)