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Armenien im Aufbruch (1/5)
Ausharren im Containerdorf

Vor 30 Jahren wurde Armenien von einem schweren Erdbeben erschüttert. Bis heute hat sich das Land nicht davon erholt. Im Ort Gyumri leben noch immer tausende Menschen in Containern. Sie hoffen wie viele im Land auf Reformen unter der neuen Regierung.

Von Christoph Kersting |
    Zahlreiche Häuser wurden durch das Erdbeben zerstört
    Schleppender Wiederaufbauch: Auch 30 Jahre nach dem schweren Erdbeben fehlen tausende Wohnungen (imago / ITAR-TASS Armenia)
    Es hat geregnet in der Nacht, und der kleine Transporter holpert durch große Pfützen auf einer unbefestigten Straße im Nordosten Gyumris. Drei Männer hat Vahan Tumasyan heute dabei, auf der Ladefläche türmen sich weiße Plastiksäcke mit Brennholz.
    "Wir fahren im Moment jeden Tag raus zu den Leuten und bringen ihnen Holz, mehrere Tausend Säcke sind das. Die Winter hier sind streng und dauern ein halbes Jahr, bis Mai in der Regel. Ohne das Holz kämen die Leute nicht klar."
    Und Heizen ist eine Frage des Überlebens, wenn man den kaukasischen Winter bei minus 30 Grad hinter rostigen Stahlwänden verbringen muss. Denn auch 30 Jahre nach dem schweren Erdbeben leben in Gyumri noch immer 2.000 Familien in Containern oder Wellblechhütten. Diesen Menschen greift Vahan Tumasyan mit seiner Hilfsorganisation "Shirak Centre" unter die Arme. Das Geld, erzählt Vahan, komme von Armeniern im Ausland, die vor allem in Frankreich und den USA leben.
    Ein Leben auf 20 Quadratmetern
    Auch Nadja Zanchuk bekommt heute ihre Holzration geliefert. Die 65-Jährige lebt mit zwei Töchtern und zwei Enkeln in einem düsteren Container, ein Raum, 20 Quadratmeter groß, ohne fließend Wasser. Drinnen riecht es streng, nicht nur wegen Nadjas Haustieren, Hunde und Katzen.
    Der Container ist nicht dicht: Ein wackliger Holzbalken stützt einen Teil des maroden Dachs ab, von dem es auf den modrigen Holzboden herabtropft. Seit 30 Jahren lebt sie so. Eine Tochter und einen Sohn verlor sie durch das Erdbeben. Ihr Mann wurde zum Trinker, auch er ist inzwischen gestorben.
    Leila Boghdasaryan lebt mit ihrer Familie im Containerdorf
    Leila Boghdasaryan lebt mit ihrer Familie im Containerdorf (Deutschlandradio / Christoph Kersting)
    Nadjas Geschichte ist eine von vielen ähnlichen hier im Containerdorf. Und genauso wie Nadja warten auch die anderen Bewohner der Siedlung jetzt auf ihr Brennholz. Vahan und seine Helfer laden nun 15 Säcke im Garten von Leila Baghdasaryan ab. Auch Leila hat nichts dagegen, dass ich einen Blick in ihr Heim werfe. Das ist aufgeräumt und vor allem: trocken. Die Baghdasaryans haben den alten Container vor vielen Jahren um einen gemauerten Anbau erweitert, es gibt ein Wohn-, zwei Schlafzimmer, eine Küche und eine Toilette.
    Der Alltag in der Provinz Shirak bleibt hart
    An den 7. Dezember 1988 erinnert sich die ehemalige Lehrerin noch genau:
    "Ich hatte Unterricht. Ich stand vorne an der Tafel, neben mir ein Schüler, der eine Aufgabe lösen sollte. Und plötzlich das Beben."
    Mit Detektoren versuchen Mitarbeiter des Deutschen Roten Kreuzes während der Bergungsarbeiten im Katastrophengebiet am 13.12.1988 noch lebende Opfer unter den Trümmern zu orten.
    Das Erdbeben in Armenien 1988 zerstörte ganze Stadtteile (dpa / Harro Müller)
    Zwei von Leilas drei Söhnen arbeiten schwarz auf Baustellen im russischen Kasan. Der dritte Sohn, Aganes, ist Soldat in der armenischen Armee und momentan auf Heimaturlaub bei den Eltern. Er bietet Brot und Salz an, so wie es üblich ist in Armenien, wenn Gäste im Haus sind, sagt er.
    "Man spürt, dass es langsam aufwärts geht mit Armenien. Und jetzt haben wir eine neue Regierung, mit der hier sehr viele Menschen große Hoffnungen verknüpfen. Ich sage: Das Wichtigste ist doch, dass wir Frieden haben auf unserem Planeten."
    Frieden: Immerhin den haben die Armenier nun schon seit vielen Jahren. Doch der Alltag bleibt hart, besonders hier in der Provinz Shirak: Aganes Baghdasaryan muss jetzt das Holz für seine alten Eltern ins Haus holen. Und ihm ist klar: Es wird kaum reichen für den strengen Winter, der vor der Tür steht.