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Armenien im Aufbruch (4/5)
In engen Grenzen

Mehr als 300 Kilometer gemeinsamer Grenze liegen zwischen Armenien und der Türkei. Die Übergänge sind seit Langem geschlossen. Ein Austausch zwischen beiden Ländern findet kaum statt. Ähnlich verhält es sich auch mit Aserbaidschan.

Von Christoph Kersting |
    Ansicht des Bergs Ararat in Armenien
    Der Ararat, Armeniens heiliger Berg, liegt in der Türkei (dpa / Sputnik / Alexander Melnikov)
    Alexander Safaryan kommt gerade aus einer Vorlesung, muss noch kurz etwas klären mit einem Doktoranden und lässt sich fünf Minuten später mit einem dampfenden Glas Tee in der Hand vergnügt in ein monströses geblümtes Sofa fallen. Sein Büro sei ungemütlich, sagt er grinsend.
    Darum sitzt er lieber im Sekretariat der Fakultät für Orientalische Studien der Staatlichen Universität Jerewan. Safaryan, ein kleiner, drahtiger Mittfünfziger mit Schnauzbart, leitet den Lehrstuhl für Türkeistudien, ist Experte für klassische türkische Literatur und spricht die Sprache des großen Nachbarn fließend.
    Er sei auch schon unzählige Male persönlich in der Türkei gewesen, nun aber schon seit sechs oder sieben Jahren nicht mehr, erzählt er. Warum? Es habe sich nicht ergeben.
    "Ich habe sehr enge persönliche Kontakte mit türkischen Historikern, Schriftstellern, Filmschaffenden und auch Politikern. Diese Kontakte reichen schon in meine eigene Zeit als Student zurück. Und ich will betonen: Ich arbeite nun schon ein Vierteljahrhundert an dieser Universität, und in dieser Zeit hat es von offizieller armenischer Seite nie irgendwelche Kontrollen oder Behinderungen dieser Kontakte mit der Türkei gegeben. Und ich würde sogar sagen: Unsere Fakultät war immer ein ganz zentraler Ort, an dem Armenier in den Dialog nicht nur mit Menschen in der Türkei und Aserbaidschan, sondern mit der gesamten muslimischen Welt treten konnten."
    Streit um Genozid an Armeniern im Ersten Weltkrieg
    Der Professor für Turkologie ist kein Fachmann für aktuelle politische Fragen, schon gar nicht für das Thema Völkermord. Trotzdem kommt er auch ungefragt schnell auf den zentralen Punkt in den schwierigen armenisch-türkischen Beziehungen zu sprechen:
    "Der Genozid an den Armeniern ist historischer Fakt. Darum ist er für die Türkei keine historische, sondern vor allem eine moralische Frage."
    Armenier erinnern bei einer Demonstration in Jerusalem an die Opfer des Massenmords 1915.
    Armenier erinnern bei einer Demonstration in Jerusalem an die Opfer des Massenmords 1915. (imago / Zuma press)
    Diesen letzten Satz auf Türkisch zu sagen, das sei ihm wichtig, betont Safaryan und rutscht dabei mit erhobenem Zeigefinger ganz nach vorne auf die Sofakante. Er habe das auch schon live im türkischen Fernsehen getan, im Beisein seines engen Freundes Hrant Dink. Der armenische Journalist mit türkischer Staatsbürgerschaft wurde Anfang 2007 auf offener Straße von einem türkischen Nationalisten erschossen. Auch Hrant Dink hatte sich in seinen Artikeln immer wieder kritisch mit dem schwierigen Verhältnis zwischen Türken und Armenieren auseinandergesetzt.
    Friedensabkommen unterzeichnet, aber nie ratifiziert
    Ein 2009 in Zürich unterzeichnetes Friedensabkommen beider Länder ist bis heute Makulatur geblieben: Das Abkommen wurde von keinem der Parlamente in Jerewan und Ankara ratifiziert - und dennoch sieht der Türkei-Experte Alexander Safaryan Anzeichen für einen veränderten Umgang mit dem Thema Genozid:
    "Jahrzehntelang war das ein Tabu-Thema, da wurde nicht drüber gesprochen in der Türkei. In den vergangenen Jahren, vor allem seit der sogenannten 'Fußball-Diplomatie', dem Spiel zwischen der türkischen und der armenischen Nationalmannschaft 2009 also, hat sich das allerdings geändert. Das Tabu scheint gebrochen, das stellen wir fest, wenn wir uns die türkische Medienberichterstattung anschauen. Die Menschen werden nach und nach erfahren und verstehen, was damals wirklich geschehen ist."
    Natürlich beobachtet auch Safaryan mit Sorge, dass sich die Türkei insgesamt spürbar entfernt hat von demokratischen Werten, Pluralismus, Pressefreiheit. Dennoch ist er zuversichtlich, dass sich das Verhältnis Armeniens zu seinen Nachbarn Türkei und Aserbaidschan irgendwann normalisieren wird. Denn davon würden am Ende nicht nur diese Länder, sondern die gesamte Weltgemeinschaft profitieren.