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Armenien-Resolution
Türkei beruft Botschafter aus Berlin ab

Die Türkei hat mit großer Verärgerung auf die Armenien-Resolution des Bundestags reagiert. Aus Protest rief sie den türkischen Botschafter aus Berlin ab, in Ankara wurde der Geschäftsträger der Deutschen Botschaft einbestellt. Die Resolution bezeichnet das Massaker an den Armeniern im Ersten Weltkrieg als Völkermord. Gegen diese Einstufung wehrt sich die türkische Regierung seit Langem mit großer Vehemenz.

    Armenier erinnern bei einer Demonstration in Jerusalem an die Opfer des Völkermords 1915.
    Armenier erinnern bei einer Demonstration an die Opfer des Völkermords 1915. (Archiv) (imago / Zuma press)
    Die Regierung in Ankara bezeichnete die Resolution als "null und nichtig". Ein Regierungssprecher sprach per Twitter von einem "historischen Fehler". Präsident Recep Tayyip Erdogan sagte, die Entscheidung werde die Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei ernsthaft beeinflussen.
    Noch an diesem Nachmittag soll sich der Geschäftsträger der deutschen Botschaft in Ankara dazu äußern. Er vertritt Botschafter Martin Erdmann, der sich zurzeit nicht in der türkischen Hauptstadt aufhält.
    Der türkische Botschafter Karslioglu während der ZDF-Sendung Maybrit Illner
    Der türkische Botschafter Karslioglu während der ZDF-Sendung Maybrit Illner (dpa / picture alliance / Karlheinz Schindler)
    Bundeskanzlerin Angela Merkel, die an der Abstimmung nicht teilgenommen hatte, betonte die guten Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei. An die Deutschen mit türkischen Wurzeln gerichtet sagte Merkel: "Sie sind und bleiben ein Teil unseres Landes".
    Resolution fast einstimmig angenommen
    Für die Resolution von Union, SPD und Grünen, die die Ermordung von bis zu 1,5 Millionen Armeniern als Völkermord bezeichnet, stimmten fast alle Abgeordneten. Es gab eine Enthaltung und eine Gegenstimme. Damit stimmte auch die Fraktion der Linken für die Resolution, obwohl die Union sich geweigert hatte, den Antrag gemeinsam mit der Linkspartei zu stellen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Vizekanzler Sigmar Gabriel (beide SPD) nahmen wegen anderer Termine nicht an der Abstimmung teil.
    Der Linken-Politiker Gregor Gysi betonte während der Debatte: "Endlich müssen wir es bennen als das, was es war: Ein Völkermord an 1,5 Millionen Armenierinnen und Armeniern." Er fügte hinzu, es gebe eine Mitverantwortung Deutschlands: "Das Deutsche Reich leistete Beihilfe zum Völkermord." Gysi mahnte, Deutschland müsse nun das Massaker an den Herero und Nama in Namibia als Genozid anerkennen.
    Es gehe nicht darum, die Türkei an den Pranger zu stellen, sagte der CDU-Abgeordnete Franz Josef Jung. Deutschland verbinde sehr viel mit dem Land. Mit der Resolution wolle Deutschland die Aussöhnung und Annäherung zwischen der Türkei und Armenien unterstützen. Auch der Grünen-Chef Cem Özdemir betonte, mit der Resolution solle nicht eine moralische Überlegenheit demonstriert werden, sondern das Gegenteil: "Es geht bei diesem Text auch um ein Stück deutsche Geschichte."
    In der Resolution heißt es, das Deutsche Reiche habe 1915 und 1916 "als militärischer Hauptverbündeter des Osmanischen Reichs trotz eindeutiger Informationen auch von Seiten deutscher Diplomaten und Missionare über die organisierte Vertreibung und Vernichtung der Armenier nicht versucht, diese Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu stoppen".
    "Inakzeptable" Drohungen gegen Abgeordnete
    Der SPD-Außenpolitiker Rolf Mützenich nahm die aktuellen Beziehungen zur Türkei in den Blick. Er mahnte aber, um mit Ankara auf Augenhöhe zu reden, brauche es eine differenziertere Debatte. Mit Blick auf Erdogan sagte Mützenich: "Wir dürfen nicht vergessen, dass er die Mehrheit der Wählerstimmen erreicht hat." Veränderungen seien möglich, müssten aber vor allem aus der türkischen Gesellschaft kommen. Er kritisierte jedoch, er hätte sich gewünscht, dass Kanzlerin Angela Merkel sich bei ihrem Türkei-Besuch auch mit Vertretern der pro-kurdische HDP-Fraktion im Parlament getroffen hätte.
    Bundestagspräsident Norbert Lammert sagte vor der Debatte, eine ehrliche Aufarbeitung der Vergangenheit gefährde nicht die Beziehung zu anderen Ländern, sondern bereichere die Zusammenarbeit. Er fügte hinzu: "Die heutige Regierung in der Türkei ist nicht verantwortlich dafür, was vor 100 Jahren geschehen ist, aber sie ist mitverantwortlich für das, was heute daraus wird." Er kritisierte, dass es zahlreiche Drohungen besonders gegen türkischstämmige Abgeordnete gegeben habe. Darunter seien auch Morddrohungen. Das sei inakzeptabel.
    Türkei warnte vor Resolution
    Demonstration gegen die geplante Bundestagsresolution zum Völkermord an den Armeniern während des Ersten Weltkriegs.
    Vor der Abstimmung hatte es Proteste in Berlin gegeben. (dpa-Bildfunk / Paul Zinken)
    Die Türkei hatte die Resolution vor der Abstimmung massiv kritisiert. Ministerpräsident Binali Yildirim sagte, es wäre "irrational", wenn die Abgeordneten für die Resolution stimmten. Das Votum sei ein "echter Test für die Freundschaft" zwischen beiden Ländern. Auch der türkisch-islamische Dachverband in Deutschland, DITIB, mahnte vorab, die Einstufung als Völkermord könnte auch das Zusammenleben in Deutschland beeinflussen. Der Koordinator der DITIB-Landesverbände, Murat Kayman, verwies auf "blinde Flecken" im historischen Gedächtnis Europas, die ebenfalls aufzuarbeiten seien. Dies sei der Grund, warum die Türkei so heftig auf die geplante Resolution reagiere.
    "Längst fällige Entscheidung"
    Der Grünen-Vorsitzende Özdemir hatte auch am Morgen im Deutschlandfunk betont, mit der Resolution solle nicht mit dem Finger auf die Türkei gezeigt werden. Er wies aber Kritik zurück, damit werde der Annäherungsprozess zwischen der Türkei und Armenien gefährdet. "Es gibt diesen Prozess nicht."
    Der Direkor des Instituts für Diaspora- und Genozidforschung an der Universität Bochum, Mihran Dabag, bezeichnete die Resolution im Deutschlandfunk als "ganz wichtige und längst fällige Entscheidung". Der Völkermord kratze am türkischen Gründungsmythos der Türkei und sei zur Identitätsfrage geworden. Er solle nicht Teil der modernen türkischen Geschichte werden. Dabei sei die Wissenschaft schon längst zu dem Ergebnis gekommen, dass es ein Völkermord sei, betonte der Historiker.
    Eine Gruppe armenischer Flüchtlinge aus dem osmanischen Reich sitzt im Jahr 1915 in Syrien auf dem Boden.
    Eine Gruppe armenischer Flüchtlinge aus dem Osmanischen Reich im Jahr 1915 in Syrien. (picture-alliance / dpa / Library of congress)
    Er fügte hinzu, die Resolution des Bundestags mache einen Unterschied und sei längst überfällig. "Wenn diese Entscheidung nicht wäre, wenn die armenische Diaspora in der Beharrlichkeit der Erinnerung und Gedenken nicht so weiter gemacht hätte, würde das Wort 'Armenier' heute in der Türkei überhaupt nicht ausgesprochen werden."
    (at/hba/ach)