Jerewan ist das pulsierende Zentrum von Armenien. Hier lebt fast die Hälfte der drei Millionen Armenier. Hier gibt es Arbeitsplätze und jede Menge Bars, Cafés und Theater. Einen Streifzug durch die Stadt beginnt man in der Regel in der Nationalgalerie von Armenien. Sie befindet sich auf dem "Platz der Republik". Schnell merkt man, dass sich dort kaum Touristen hin verirren, denn die Beschreibungen der Exponate sind auf Armenisch, selten auch auf Russisch. Das Museum wirkt wie ein bunter Gemischtwarenladen aus farbenfrohe Kostümen, Ausgrabungen, Teppichen und Tongefäßen. Und doch vermittelt es den Eindruck, dass das Land auf eine reiche Geschichte zurückblicken kann.
Die zweite Hauptattraktion der Stadt ist die sogenannte "Kaskade". Um dort hinzukommen, läuft man eine 450 Meter lange Fußgängerzone entlang - "Northern Avenue" genannt. Dort reiht sich ein Casino an das andere, ein Armani-Geschäft neben Calvin Klein und Dior. Die Fassaden sind nagelneu, nicht selten erstrahlen die Gebäude in dunkelrosa-schimmernden Tuffstein, der für die Gegend typisch ist.
Die Nähe zu Russland ist groß
"Es kommt häufig vor, dass die Menschen neue Gebäude einfach nicht mögen. Aber im Laufe der Zeit gewöhnen sie sich daran. Sie brauchen diese Zeit, um zu verstehen, was in ihrer Stadt vor sich geht."
... meint Arman Hambardzumyan. Er ist Künstler und Bildhauer. Auf der Einkaufsmeile treffe ich ihn in Begleitung seiner Freundin Anousch. Beide wollen kosmopolitisch wirken und sprechen Englisch, obwohl wir uns auch auf Russisch unterhalten könnten. Die Nähe zu Russland ist groß, trotzdem sehen junge Armenier wie Arman und Anousch ihre Zukunft eher in Europa oder den USA als im "Bruderstaat" Russland. Über Jerewans Fußgängerzone, die 2007 eingeweiht wurde, sagt Anousch:
"Ich mag die "Northern Avenue", aber ich habe gemischte Gefühle – vor allem wenn ich daran denke, dass viele alte Gebäude weichen mussten."
Gemeinsam laufen wir zur Oper und dann weiter Richtung Kaskade.
"Die Kaskade ist mein Lieblingsgebäude in Jerewan. Ich spüre, dass es etwas ganz Besonders ist, weil hier zeitgenössische Skulpturen auf typisch armenische Architektur treffen. Ich mag das!"
Bei der Kaskade handelt es sich um einen gewaltigen Treppenkomplex aus hellem Kalkstein. Der Entwurf stammt noch aus den 30er Jahren, von Stadtplaner Alexander Tamanjan. In Bronze gegossen, lehnt er sich an der Spitze des Platzes überlebensgroß über sein Reißbrett. Erst vor vier Jahren wurde der Bau an der Kaskade fertiggestellt - im Inneren befindet sich das erste große Museum für zeitgenössische Kunst im Kaukasus. Anousch ist - wie die meisten Armenier - ganz begeistert.
"Es ist ein Open-Air-Museum, das gefällt mir! Außerdem ist es vor allem nachts sehr schön, weil es so toll beleuchtet ist."
Stolz auf das Nationalgetränk Cognac
Die meisten Armenier sitzen auf den Treppen und genießen den schönen Ausblick auf die Stadt oder auf den Berg Ararat. Die wenigsten schauen sich die zeitgenössischen Ausstellungen im Inneren an. Der Grund ist, dass die meisten Armenier wegen ihrer Sowjettradition wenig anfangen können mit moderner Kunst. Außerdem hat die Stadt kein Geld, Werke von bekannten zeitgenössischen Künstlern wie Damien Hirst oder Jeff Koons auszustellen.
In Jerewan ist man aber nicht nur stolz auf die Kaskade sondern vor allem auf das Nationalgetränk Cognac, das von Winston Churchill offenbar besonders geschätzt wurde. Wer auf den Pfaden von Churchill wandern möchte, findet in Jerewan einige Cognac-Fabriken, die zur Verkostung einladen. Auf dem Weg dorthin kommt man auch am Sergej-Paraganow-Museum vorbei, dem man unbedingt einen Besuch abstatten sollte. Paraganow hatte eine eruptive Kreativität, die oft mit der von Pablo Picasso verglichen wird. Einer der Mitarbeiter des Museums erklärt:
"In Zeiten der Sowjetunion bekam Sergej Paraganow ein Arbeitsverbot - er durfte 15 Jahre lang keine Filme mehr drehen und deshalb hat er sich der Bildenden Kunst gewidmet. Ich finde, das ist ein gutes Beispiel dafür, wie man in einem totalitären System leben - und trotzdem etwas Schönes schaffen kann. Er zeigt, wie einem von außen Grenzen aufgezwungen werden und man dennoch frei sein kann."
Denn eigentlich war Sergej Parajanow als Regisseur für seine wegweisenden Filme bekannt. Interessanterweise wurde er in der Sowjetära immer wieder an seiner Arbeit gehindert und verbrachte sogar fünf Jahre im Gefängnis. Heutzutage ist er einer der wenigen Helden der Neuzeit, auf die sich die Armenier besinnen - auch Künstler Arman Hambardzumyan:
"Das Museum ist ein kultureller Ort. Es ist ein kleines Stück neue Welt. Das heißt, immer dann wenn man etwas Neues entdecken möchte, sollte man dorthin gehen."
In der Stadt liegt die "Blaue Moschee"
Das Museum wurde 1991 gegründet und ist ausdrücklich der künstlerischen Arbeit von Parajanow gewidmet. Das heißt, zu sehen gibt es neben seinen Filmen vor allem Collagen, Bilder, Keramikstatuen und Puppen. Wenige hundert Meter entfernt befindet sich die "Blaue Moschee". In einem Land, in dem man besonders stolz auf das Christentum ist, würde man das nicht gerade vermuten.
"Die Moschee ist einzigartig, aber generell würde ich sagen, sind wir daran gewöhnt, mit Muslimen zusammenzuleben. Wir respektieren ihre Traditionen und vice versa. Außerdem gibt die iranische Regierung Acht auf unsere historischen armenischen Kirchen, deshalb tun wir hier in Armenien dasselbe mit deren Moscheen."
Die Iraner haben also einen festen Platz in Jerewan. Vor allem in der Zeit von Ramadan, dem Fastenmonat der Muslime, kommen viele Iraner nach Jerewan. Der Grund: Es gibt - dank guten Cognacs - einen entspannteren Umgang mit Alkohol. Arman Hambardzumyan geht gerne in den Innenhof der Blauen Moschee, weil es im Vergleich zum Chaos im Zentrum "ein friedvoller Ort" ist, wie er sagt, an dem man Kraft und Ruhe tanken kann.
Das gelingt auch, wenn man Jerewan verlässt. Der Vorort "Etschmiadsin" gilt als der Vatikan Armeniens. Auf einem großzügigen Areal befindet sich der Sitz des Katholikos, so etwas wie der Papst der armenischen Kirche sowie ein Priesterseminar, mehrere Kirchen und repräsentative Bauten.
Einem armenischen Gottesdienst beizuwohnen, ist ein ergreifendes Erlebnis. Genauso wie der Besuch des berühmten Genozid-Denkmals. Es erinnert an den Völkermord, den die Türken 1914 begangen haben und bei dem 1,5 Millionen Menschen ums Leben gekommen sind. Dieser Genozid ist im kollektiven Gedächtnis der Armenier tief verankert, er ist Teil der armenischen Identität - deshalb sollte er bei einem Besuch in Jerewan auf keinen Fall fehlen.