Armin Petras hat in Stuttgart eigentlich gut angefangen. An seinem Eröffnungswochenende im Oktober 2013 inszenierte er selber ein zynisches, unterhaltsames Weltuntergangs-Stück über angeblich strahlengeschädigte Menschen, und Robert Borgmann bot einen zerfaserten, völlig unsentimentalen, in die Länge gezogenen "Onkel Wanja", der die Wut des Premierenpublikum erregte - dann aber gleich zum Theatertreffen eingeladen wurde. Das war ein Start nach Maß.
Aber dann ging es ziemlich schnell bergab. Die Gründe dafür sind bizarr, denn Petras hat auch viel richtig gemacht. Er hat zum Beispiel regionalgeschichtliche Themen aufgegriffen, er hat fürs reifere Publikum immer wieder großes Schauspielertheater geboten ("Szenen einer Ehe") und jede Menge Minifestivals organisiert, die sich über die Zukunft Europas, die Migration und dergleichen Gedanken machten. Aber er hat möglicherweise nicht ausreichend reflektiert, dass zwischen dem kleinen Berliner Gorki-Theater, an dem er vorher war, und dem großen Stuttgarter Staatstheater doch gewisse Unterschiede bestehen.
Petras hat Stuttgart nicht verstanden
Da ist zunächst mal die Tatsache, dass man in Stuttgart einen viel größeren Etat hat: Petras gab mit vollen Händen Geld aus. Der andere Unterschied ist freilich, dass es in Berlin gefühlt zehn wichtige Theater gibt und es nicht so auffällt, wenn es an einem Haus nicht besonders läuft - und der Intendant ständig woanders inszeniert. Dann landet man, als Gorki-Experimentierbühne, halt mal wieder einen spektakulären Erfolg und ist wieder in aller Munde.
In Stuttgart ist das ganz anders. Seit Claus Peymann in den 1970er-Jahren hier das Schauspiel leitete, identifizieren sich die Leute mit ihrem Theater. Sie machen jede avantgardistische Mode, jedes Textflächengelaber, jede linksideologische Bußübung gerne mal mit, aber sie wollen ernstgenommen werden. Sie wollen, dass der Intendant für "ihr" Theater da ist.
Das hat Petras nie verstanden. Er hat seine rege Reisetätigkeit als Gastregisseur, die er von Berlin aus betrieb, in Stuttgart noch ausgeweitet. Eine Art Nestflüchter. Bei Amtsantritt hatte er gesagt, Stuttgart sei für ihn "der fremdeste Ort Deutschlands", weil man die Welt hier anhand von Zahlen und Geld beurteile. Das ist natürlich nicht gerade ein Kompliment. Andererseits ist die inkriminierte Krämer-Mentalität, die Petras den Schwaben unterstellt, ihm selber doch ganz vertraut: Er ließ sich als Intendant fürstlich bezahlen und verdiente anderswo nochmal gut hinzu.
Insiderhaft und pottlangweilig
Apropos Zahlen: In den ersten zwei Jahren von Petras' Intendanz sanken die Zuschauerzahlen von 145.000 auf 113.000 - das ist dramatisch. Als Intendant sagt man dann gerne, dass man "neue Ästhetiken" probieren müsse und Zahlen nicht alles seien. Das ist schon richtig. Aber wenn lauter großartige Vorstellungen vor leerem Haus gespielt werden, dann stimmt etwas nicht. Kann es vielleicht sein, dass die vielen postmodern verquälten Stuttgarter Regieübungen deshalb kein Publikum fanden, weil sie insiderhaft und pottlangweilig waren? Im Gorki kann man für eine bestimmte linksliberale Schicht produzieren, die sich selbst genug ist und ihr Weltbild bestätigt sehen will. In Stuttgart geht das nicht.
Wenn er in Stuttgart mal länger da war - und nicht sein Stellvertreter Klaus Dörr den Laden schmeißen musste -, hat Petras aber auch nicht viel gerissen. Seine eigenen Inszenierungen wurden immer konfuser, musik- und bilderlastiger. Als Intendant engagierte Petras renommierte Regisseure, Bosse, Pucher, Kimmig, Castorf, Pollesch, Peymann, die hier das für sie Typische ablieferten. Das heißt, Stuttgart war nun eine Abspielstätte auf der bundesweiten Tour renommierter Markennamen. Eine eigene Handschrift, eine Stoßrichtung des Hauses war nicht zu erkennen. Die naive baden-württembergische Kunstministerin Theresia Bauer verlängerte Petras trotzdem den Vertrag.
Es sei konzediert, dass Petras selber zwischendurch auch mal poetische und psychologisch genaue Inszenierungen ablieferte - Fritzi Haberlandt als "Marquise von O." war einfach großartig. Aber dann gewann bald wieder der postmoderne Brei die Oberhand, den vor allem ehrgeizige Gastregisseure angerührt hatten - und Petras ließ sie gewähren. Als Intendant muss man da leider auch mal einschreiten. Petras aber setzte sich seine Tarnkappe auf und war unsichtbar. Oder einfach nicht da. Jetzt geht er endgültig - angeblich aus "persönlichen Gründen".