Die ehemalige Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesentwicklungsministerium betonte, dass die Ziele der UNO, Armut und Hunger bis 2030 zu beenden, global und nicht allein in Entwicklungsländern gelten. "Auch wir müssen uns anstrengen, dass Armut bei uns bekämpft wird", sagte sie. Auch die Bundesregierung sei gefordert, Zwischenberichte zur Armutsbekämpfung abzuliefern.
Eid warnte davor, den Fokus allein auf die Entwicklungshilfe zu legen. Auch die Privatwirtschaft sei gefordert, mehr Geld in Entwicklungsländern zu investieren, um Arbeitsplätze zu schaffen. Nach Ansicht von Eid ist in diesem Punkt auch das Engagement von deutschen Unternehmen ausbaufähig.
Das Interview in voller Länge:
Thielko Grieß: Auf die Millennium Development Goals folgen jetzt die Sustainable Development Goals, und übersetzt heißt das, nach den Jahrtausendentwicklungszielen sollen nun die nachhaltigen Entwicklungsziele folgen. Sie werden im September wohl von der Vollversammlung der Vereinten Nationen beschlossen. Zugleich haben die Vereinten Nationen ein Resümee gezogen, nämlich ein Resümee der Millennium Development Goals, die vor 15 Jahren in Kraft getreten sind. Ein Teil sei erreicht worden, und das sei zu begrüßen. Es gebe weniger Hungernde, weniger Arme und weniger Kindersterblichkeit, und das alles bei steigender Weltbevölkerung. Und nun stehen die neuen, die nachhaltigen Entwicklungsziele auf 30 neuen Seiten. Es geht darum, Armut und Hunger komplett zu beseitigen, das ist das erklärte Ziel, den Klimawandel zu begrenzen und zu steuern und zum Beispiel den Zugang zu sauberem Wasser zu ermöglichen. Das alles sind ambitionierte Ziele, um das Mindeste zu sagen. Ursula Eid war parlamentarische Staatssekretärin der Grünen im Ministerium für Entwicklungszusammenarbeit unter Rot-Grün von 1998 bis 2005 und heute im Vorstand der Deutschen Afrikastiftung. Guten Morgen, Uschi Eid!
Uschi Eid: Guten Morgen!
Grieß: Also: Die Ziele sind teilweise erreicht worden, die vor 15 Jahren ausgegeben worden sind. Und dennoch ist der Eindruck ja ein ganz anderer. Überall steigt die Zahl der Flüchtlinge, hier in Europa ganz besonders. Wie geht beides zusammen?
Eid: Ja, das ist natürlich ein Problem, dass man die ganze Zeit wirklich nur darauf gesetzt hat, diese Ziele zu erreichen, und keiner hat wirklich gemerkt, dass es immer nur um die Halbierung der Menschen geht, die in Not und Armut leben. Also wir haben immer noch sozusagen eine andere Hälfte, die zurückgelassen worden ist. Das ist auch der Kritikpunkt an den Millenniumsentwicklungszielen, dass sie einmal immer nur darauf gesetzt haben, ein bestimmtes Verhältnis zu erreichen, also die Halbierung des Anteils der Menschen, die in Armut leben, die Halbierung des Anteils der Menschen, die Hunger leiden. Aber wenn man das einmal weglässt, dann muss man doch sagen, dass in der Tat im Moment, wenn wir heute Bilanz ziehen, erst mal ein positives Ergebnis verzeichnen können, nämlich, dass in der Tat wirklich sehr viele Menschen aus der extremen Armut herausgeführt werden konnten.
"Bei den Millenniumsentwicklungszielen haben bestimmte Komponenten total gefehlt"
Grieß: Und jeder einzelne, Frau Eid, wird Ihnen wahrscheinlich antworten, lieber erst einmal ein paar Ziele setzen, als eine Utopie zu formulieren, die sowieso nicht erreichbar wäre.
Eid: So ist es. So ist es, weil man sieht ja, dass sogar die Halbierung des Anteils der Menschen, deren Situation man verbessern will, das ist ja schon auch sehr ambitioniert gewesen. Trotzdem muss man auch sagen, dass bei den Millenniumsentwicklungszielen bestimmte Komponenten total gefehlt haben und vielleicht deswegen auch die Ziele nicht ganz erreicht worden sind, nämlich man hat wirklich überhaupt damals nicht berücksichtigt, dass es auch um verantwortliches Regierungshandeln geht, dass es um verantwortungsvolle Innenpolitik geht, dass man auch in den Ländern selber, die betroffen sind, zum Beispiel Korruption bekämpfen muss. Dass man dafür sorgen muss, dass es keine Steuerflucht gibt oder Kapitalflucht. Also man hat im Prinzip nur darauf gesetzt, dass es mehr Transferleistungen geben soll, also das heißt mehr Entwicklungshilfe, ohne dass man versucht hat, auch in den Ländern selber dazu beizutragen, dass es besseres Regierungshandeln gibt.
Grieß: Darüber hätte es aber vermutlich nie einen Konsens gegeben und wird es ja auch nie geben, was das genau ist. Das sind westliche Vorstellungen, die Sie in weiten Teilen der Welt so gar nicht durchsetzen können.
Eid: Ja, aber das ist genau das, was man jetzt versucht hat, vielleicht bei der nächsten Generation von Zielen zu verändern. Trotzdem ist es gut gewesen, dass man diese Sozialindikatoren in den Millenniumsentwicklungszielen in den Mittelpunkt gestellt hat, und wir freuen uns wirklich auf jeden Erfolg. Wobei es ganz interessant ist, dass zum Beispiel, wenn man sich die Grundschulausbildung anschaut, die man ja erreichen wollte für alle Kinder, dass dieses Ziel verfehlt wurde, aber gerade zum Beispiel die größten Fortschritte auf dem afrikanischen Kontinent erreicht worden sind. Dass natürlich auch bei der Armutsbekämpfung die größten Fortschritte wiederum in China und Indien erreicht worden sind. Das heißt, auch hier haben wir eigentlich ganz unterschiedliche Weltregionen, wo man unterschiedliche Fortschritte erzielt hat. Man hat auch in den Ländern selber trotz alledem noch große Ungleichheiten. Also innerhalb eines Landes gibt es sehr viele reicher gewordene Menschen und sehr viele, die immer noch in extremer Armut leben. Also diese Disparitäten will man auch in Zukunft anpacken.
"Man will ja als Land nicht international an den Pranger gestellt werden"
Grieß: Und auch deshalb gibt es ja nun diese neuen 30 Seiten mit den Nachhaltigkeitszielen. Armut und Hunger will man komplett beseitigen auf diesem Globus. Ist das nun die Verschriftlichung einer Utopie?
Eid: Der Punkt ist ja der, dass viele Regierungen, oder dass es eine große Ermutigung ist für viele Regierungen, dann auch wirklich große Anstrengungen zu unternehmen, wenn man regelmäßig dann Bericht erstatten muss, wenn die Statistiken abgeliefert werden sollen, damit die UNO Berichte machen kann, meinetwegen alle zwei oder alle drei Jahre, sodass es auch einen gewissen Wettbewerb gibt. Man will ja als Land nicht international an den Pranger gestellt werden. Insofern sind solche Ziele durchaus sinnvoll, dass Regierungen sich danach orientieren und innenpolitische Anstrengungen unternehmen. Man hat bei den Millenniumsentwicklungszielen eben kritisiert, dass der Menschenrechtsansatz, nämlich, dass alle Menschen Zugang zum Beispiel zu sauberem Wasser haben oder dass alle Menschen nicht mehr Hunger leiden sollen, den hat man kritisiert und hat den jetzt aufgegriffen bei der nächsten Generation der Ziele, nämlich der Nachhaltigkeitsziele.
Grieß: Und ein Unterschied zu dieser neuen Generation der Ziele ist eben auch, dass die Industriestaaten sich beteiligen müssen, auch Deutschland. Woran muss sich die Bundesrepublik Deutschland messen lassen?
Eid: Ja, das ist eigentlich auch das Positive bei der nächsten Generation, dass es nämlich nicht nur, dass sie nicht nur orientiert sind nur, dass die Situation in den Entwicklungsländern sich verändern, sondern dass sie jetzt global gelten sollen. Und wir als Bundesrepublik Deutschland, wir müssen uns dann eben auch anstrengen, dass bei uns Armut bekämpft wird, dass bei uns bestimmte Standards eingehalten werden. Und da ist natürlich auch die Bundesregierung gefordert, das dann auch immer der Öffentlichkeit auch bekannt zu geben. Also wir sollten dann auch die Berichterstattung organisieren, dass sie auch an diesen SDGs orientiert ist.
"Auch die Privatwirtschaft wird gefordert"
Grieß: Zu Hause aber eben auch in punkto Entwicklungszusammenarbeit, Entwicklungshilfe. Ist die auf dem richtigen Weg, und kann sie damit das erreichen, was jetzt ausgegeben wird.
Eid: Natürlich braucht man in einer Welt, wo es sehr, sehr viel Arme noch gibt und wo Regierungen zum Teil wirklich in Ländern regieren, wo es Konflikte gibt, wo es große Katastrophen gibt, da muss natürlich auch ein Partner da sein, der denen unter die Arme greift. Aber an sich sollte man nicht den Fokus legen auf Entwicklungshilfe, weil das ist ja nur ein ganz kleiner Teil in der gesamten, in dem Gesamtpaket an Geld, was gebraucht wird. Was auch gut ist, ist, dass in den SDGs auch die Privatwirtschaft gefordert wird, auch stärker zu investieren, um Arbeitsplätze zu schaffen. Und da, glaube ich, sind wir in Deutschland noch sehr zurückhaltend, auch in anderen, gerade in armen Ländern Partnerschaften zu suchen, auch Unternehmen dort zu finden, mit denen man gut zusammenarbeiten kann.
Grieß: Danke schön! Sagt Uschi Eid aus dem Vorstand der Deutschen Afrikastiftung zu den neuen Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen, bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk. Ihnen noch einen schönen Tag!
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