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Arnulf Conradi: "Zen und die Kunst der Vogelbeobachtung"
Leidenschaft eines "Birdwatchers"

Warum singen Vögel in virtuoser Vielfalt, fragt Arnuld Conradi in "Zen und die Kunst der Vogelbeobachtung". Doch er kommt zu einem anderen Schluss als der Naturforscher Charles Darwin, für den Vögel mittels Gesang ihr Revier markierten. Für Conradi geht es beim Birdwatching um die Kunst der Meditation.

Von Carola Wiemers | 26.06.2019
Zu sehen ist der Autor Arnulf Conradi und das Cover seines Buches "Zen und die Kunst der Vogelbeobachtung".
Der einstige Verleger Arnulf Conradi lässt den Leser teilhaben an einer besonderen Lust, sich der Natur und ihren gefiederten Bewohnern zu nähern (Autorenfoto: AC Ernst/ Cover: Verlag Antje Kunstmann)
Bereits in der antiken Welt spielten Vögel eine zentrale Rolle. Seitdem bestimmt ihre Symbolkraft unser Dasein sowie unser Denken in vielen Bereichen: der Literatur, Philosophie, Musik, Malerei. In der Traumdeutung sind Vögel ambivalente Symbolgestalten des Sich-über-alles-Erhebens, als Vogelschwarm jedoch bedrohlich. Was aber würde geschehen, wenn diese Vogelarten, wie auch Insekten und Bienen in den Agrarlandschaften ganz aussterben? Zwischen 1980 und 2010 ist die Anzahl der Brutpaare innerhalb der EU um unvorstellbare 300 Millionen zurückgegangen.
Traum und Trauma scheinen eng beieinander zu liegen. Denn mit dem Verstummen der gefiederten Sänger ginge auch ein Menschheitstraum verloren. Noch immer drückt sich im Wunsch, einem Vogel gleich in die Lüfte aufsteigen zu können, die Sehnsucht nach Leichtigkeit und Kraft, Schönheit und Eskapismus aus.
Von der Leidenschaft des Erkundens
Interessanterweise lässt sich Arnulf Conradi in seinem Buch "Zen und die Kunst der Vogelbeobachtung" von anderen Prämissen als den benannten Katastrophen leiten. In elf Kapiteln – die von der Antarktis bis nach Helgoland führen – berichtet er von der seit Kindertagen betriebenen Leidenschaft der Vogelbeobachtung. Indem er dieser im Titel den Zen-Buddhismus voranstellt, drängt sich vor der Lektüre allerdings die Frage auf, welcher Welt er sich denn zu nähern gedenkt, und was beide wohl miteinander verbindet.
Conradi gibt nach dem Einleitungskapitel "Die Antarktis", in dem es ihm um den wunderbaren Albatros und das Motiv der Zeitlosigkeit geht, sogleich eine solide Einführung in den Zen-Buddhismus, wobei es ihm um seine meditativen Stärken geht. Geschickt und rhetorisch elegant lässt der Autor dabei seine besondere Perspektive auf das weite Terrain der Vogelkunde durchscheinen, das längst kein Tabuthema mehr ist und seit dem Ende des 19. Jahrhunderts eine Vielzahl von Büchern hervorgebracht hat.
Für Conradi ist der "ruhige Blick" auf die Natur der "tiefste Sinn der Meditation" – denn "er wirkt der Nervosität entgegen, die eine innere Spiegelung der Dynamik unserer Zivilisation ist". Wie die Meditation, die nach nichts strebt und sich selbst genügt, sei auch die Vogelbeobachtung, so Conradis Argumentation, "selbstgenügsam" und in sich ruhend. Ihr geht es nicht darum, etwas zu erreichen, sondern "etwas zu sein".
Edmund Selous: Sehen und denken
Mit diesen Sätzen benennt der Autor auch das Erfolgsrezept der literarischen Bestseller-Sparte "Vogelerkundung", oder welthaltiger ausgedrückt: des "Birdwatching". Der Begriff wurde 1901 von dem Briten Edmund Selous mit seiner gleichnamigen Abhandlung geprägt. Anfangs selbst ein Vogeljäger, vollzog er darin eine revolutionäre Wende. Er sprach fortan vom "Zoologen der Zukunft", der nicht mehr mit dem Gewehr, sondern mit Feldglas und Notizbuch bewaffnet seine Wanderungen antritt: um zu sehen und zu denken.
Genau das ist es, was Conradi in seinem Buch, das in jedes Reisegepäck gehört, als Leidenschaft zu entwickeln versteht und als seine eigene Lebens-Passion zu erzählen weiß: ein intensives Schauen und Reflektieren in der Zeit. Bei der Vogelbeobachtung sei es wichtig, "sich selbst gegenüber ehrlich zu bleiben" und Zweifel zuzulassen: "Man kann das", so sein Fazit, "die Ethik des Birdwatching nennen".
Vom Glück des Anfangs
Die Passion des Birdwatching begleitet ihn seit der Kindheit, er bezeichnet sie rückblickend als "Glück des Anfangs". Conradi ist sich sicher, dass man diese Gewohnheit nicht leicht wieder aufgibt. In der frühen Erfahrung des Kindes, mit dem Fernglas nicht die Vögel heran zu holen, sondern sich selbst "direkt unter sie" zu setzen, liegt etwas Kostbares.
Mit jedem Gang des Erwachsenen in die Natur ist diese Erfahrung präsent, so dass die Vogelwelt noch immer als eine wunderbar-geheimnisvolle Sphäre erlebt wird. Diese Glückserfahrung gilt es als eine Kunst meditativer Einübung zu bewahren.
Conradi setzt einfühlsame Kontraste, wenn er beispielsweise über die Scheu der Vögel sinniert, die mit der Dimension der menschlichen Erscheinung sowie der Natur zu tun hat. Es sind diese Perspektivwechsel, mit denen er den Leser an einem Prozess der Selbstwahrnehmung teilhaben lässt, bis der neugierige Blick ins Fernglas schließlich auf den Betrachter zurückfällt. Denn das Glas bildet den "Rahmen, in dem man den Vogel sieht, einen Rahmen, der wie bei einem Gemälde alles andere ausschließt, so dass der Blick sich wie selbst konzentriert und beruhigt".
Von der Musikalität in der Vogelwelt
Warum aber, fragt der Autor, singen Vögel und warum in solch virtuoser Vielfalt? Für den Naturforscher Darwin war klar, der Gesang ist ihr sprachlicher Ausdruck, um Reviere zu markieren und um sich paarungsbereit zu zeigen. Conradi hingegen interessiert die erstaunliche Musikalität ihrer Gesänge und zu welcher Tageszeit sie angestimmt werden.
Im Kapitel "Musik. Gesänge und Rufe" bezieht er sich auf ein Standardwerk der Ornithologie "Die Naturgeschichte der Vögel Mitteleuropas", das der deutsche Ornithologe Johann Friedrich Naumann zwischen 1897 und 1903 verfasste. Naumann spricht hinsichtlich der Musikalität von einer qualitativen Hierarchie. So erinnert ihn der Gesang des Gimpels an die "ungeschmierte Welle eines Karrenrades oder einer Türangel", wenngleich er ein Meister der Nachahmung ist. Lieder, die ihm vorgepfiffen werden, gibt er gekonnt wieder, was im ornithologischen Jargon "spotten" heißt. Auch der Komponist Heinz Tiessen, der 1989 in seinem Buch die "Musik der Natur" dem Vogelgesang in Motiven berühmter Werke Beethovens, Wagners und Anton Bruckners nachgeht, wertet ihre musikalischen Fähigkeiten. Während seiner Meinung nach die Amsel "die musikalischste Höchstleistung der Natur außerhalb des Menschenwerks" hervorbringt, liefert die Feldlerche nur einen "Ziergesang". Der unter Literaten geschätzte Pirol sei dagegen lediglich ein Blender mit der "öligen Eleganz eines Dandys".
Arnuld Conradi hat mit "Zen und die Kunst der Vogelbeobachtung" die reale Gefährdung der Vogelwelt in einen brillanten philosophischen Diskurs eingebettet, grundiert von einem leidenschaftlichen Denken. Denn im unmittelbaren Erleben dessen, was uns umgibt, liegt die Chance, uns selbst etwas mehr zu verstehen.
Arnuld Conradi: "Zen und die Kunst der Vogelbeobachtung".
Verlag Antje Kunstmann München.
240 Seiten. 20.- Euro.