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Artemisia Gentileschi in der National Gallery London
Von Männern bedrängt

Artemisia Gentileschi soll nach einer Vergewaltigung mit der Malerei begonnen haben. Feministische Kunsthistorikerinnen sahen in ihr eine Vorreiterin der Frauenbewegung. Mit ihren psychologisch intensiv ausgemalten Szenen gehört sie zu den Großen des italienischen Barock.

Von Hans Pietsch |
"Susanna und die Alten" von Artemisia Gentileschi
"Susanna und die Alten" von Artemisia Gentileschi (picture alliance/Heritage-Images)
Die nackte junge Frau sitzt auf einer Bank, sie will ein Bad nehmen, ihren linken Fuß hat sie schon ins Wasser getaucht. Hinter ihr dringen zwei Männer auf sie ein, berühren sie fast. Ihre abwehrenden Hände und ihr abgewandter Kopf zeigen ihre verzweifelte Lage.
"Susanna und die Alten" entstand 1610: Artemisia Gentileschis erstes signiertes Werk. Erstaunlich nicht nur die technische Virtuosität der 17-Jährigen, die nackte Haut der Badenden, die Modellierung der Faltenwürfe. Nein, es ist vor allem auch die Reife, mit der sie sich in die Gefühle der jungen Frau hineindenkt, in ihre Abscheu vor den beiden sie bedrängenden Lüstlingen.
Die biblische Susanna ist nur die erste verwundbare, aber gleichzeitig starke Frau in Gentileschis Werk. Sie malte Kleopatra und Danae, Maria Magdalena und Delilah. Es gelingt ihr, die jeweilige Geschichte ganz aus der Perspektive der Heldin zu erzählen. Ihre Geschichten sind dramatisch, aber immer ruhen ihre Frauen in sich selbst, besitzen große Würde.
Blutige Szenen
Und dann "Judith und Holofernes". Das verschlägt einem den Atem. Zweimal malte sie die Enthauptung des mächtigen Feldherrn durch die junge Israelitin, und beide Bilder sind an Brutalität kaum zu überbieten. Das Schwert hat den Stiernacken schon fast durchtrennt, Blut ergießt sich über das Bettlaken. Und wieder schlüpft die Malerin in die Haut ihrer Protagonistin. Sie weiß, wie gefährlich die Tat ist und welch physische Anstrengung sie erfordert. Die Muskeln in Judiths rechtem Arm sind zum Zerreißen angespannt, die Adern auf ihrer Stirn angeschwollen.
Gentileschis Judith ist sich der Ungeheuerlichkeit und Tragweite ihrer Tat voll bewusst, und so ist es verständlich, dass gerade dieses Gemälde immer wieder als persönliches Manifest, als die Rache der jungen Malerin an ihrem Vergewaltiger gelesen wurde. Doch Kuratorin Letizia Treves warnt vor dem vordergründigen Vergleich von persönlichem Trauma und bildlicher Gewalt:
"In unserer Ausstellung wollte ich das etwas ausbalancieren. Ich leugne nicht die Bedeutung dieses Vorfalls in ihrem Leben, doch sie verarbeitete ihn und hatte danach eine erfolgreiche 40-jährige Karriere als Malerin. Wenn man ihre Kunst nur durch das Prisma der Vergewaltigung betrachtet, schmälert man ihre Größe als Malerin."
Selbstportät im Kostüm
Auch sich selbst malte Artemisia Gentileschi immer wieder, in Verkleidungen, wie damals üblich. Das sparte Geld, Modelle waren teuer, und es diente der Publicity, vor allem in Florenz, wo die unbekannte Malerin sich zu etablieren versuchte. Da ist sie als 'Märtyrerin", den Palmenzweig in der Hand, als "Lautenspielerin" mit tiefem Dekolleté, und zweimal als "Katherina von Alexandria", die auf dem Rad zu Tode gebracht werden sollte.
Noch einmal malte sie sich selbst,während ihres Londonaufenthalts, als "Allegorie der Malerei". Sie zeigt sich bei der Arbeit, Ärmel hochgekrempelt, mit dem Pinsel setzt sie gerade den ersten Strich auf die Leinwand. Noch einmal Kuratorin Letizia Treves:
"Sie zeigt uns, was das Malen wirklich ist. Kein kontemplativer Zeitvertreib, sondern eine sehr physische Tätigkeit. Ihre dynamische Körperhaltung und ihre Kraft bezeugen das."
Ihr letztes signiertes Werk ist erneut eine "Susanna". Es hat nicht die psychologische Intensität der ersten Darstellung, ist aber nicht weniger dramatisch. Das Bild zeigt, wie weit die Malerin auf ihrem künstlerischen Weg gekommen ist, und es ist faszinierend, sie in der Ausstellung auf diesem Weg zu begleiten: eine Künstlerin, die den Vergleich mit anderen Großen ihrer Zeit wie Caravaggio nicht zu scheuen braucht.