Ein Dorf im Süden Madagaskars. Die Kamera zeigt zwei kleine Jungen – der eine vielleicht fünf, der andere neun Jahre alt – und einen Katta, ein grau-weißes Äffchen mit grau-schwarz geringeltem Schwanz, wie es sie nur auf der riesigen Insel im Südosten vor Afrika gibt.
"Die beiden Jungen kraulen und streicheln den Katta."
Der Mann hinter der Kamera sagt etwas. Die Jungen hören mit dem Streicheln auf. Das Tier reagiert sofort, sagt Tara Clarke:
"Der Katta klopft sich auf den Rücken als ob er sagen wollte, die Jungs sollten weitermachen. Die freut das offensichtlich sehr. Und der Katta sitzt da und genießt das Kraulen."
Ein wirklich süßes Szenario. Doch Tara Clarke von der North Carolina State University in Raleigh, USA, betrachtet es mit anderen Augen:
"Der Katta lebt offensichtlich als eine Art Haustier in diesem Dorf. Man erkennt es auch daran: Er ist viel fetter als Kattas normalerweise sind. Dieser ist auf jeden Fall an die Beziehung zu Menschen gewöhnt. Immer wenn die Jungen aufhören, gibt er ihnen zu verstehen, sie sollen weitermachen."
20 Millionen Klicks für ein "süßes" Katta-Video
Die Anthropologin hat dieses Video 2016 auf Twitter entdeckt. Es ging viral, innerhalb von zwei Wochen wurde es mehr als 20 Millionen mal angeklickt. Tara Clarke und ihre Kolleginnen haben sich angeschaut, wie die Twitter-User auf den Clip reagierten.
"Wir haben viele Tweets gefunden, in denen Leute Sachen posteten wie: ‚Oh, er ist so süß‘, ‚Wo kann man die finden?‘, ‚Wo kriege ich so einen her?‘ oder ‚Ich möchte auch so einen haben‘. Wir glauben, dass solche viralen Videos dazu führen können, dass die Affen illegal für den Handel gefangen werden."
Der Gedanke ist nicht aus der Luft gegriffen. Andere Studien haben gezeigt, dass mehr Menschen sich einen Affen als Haustier wünschen, wenn sie zuvor Bilder der Tiere außerhalb ihres natürlichen Lebensraums gezeigt bekamen. Aus eigener Anschauung weiß die Forscherin zudem, dass in Madagaskar Lemuren als Haustiere trauriger Alltag sind. Obwohl das dort grundsätzlich illegal ist. Aber sie verschaffen ihren Besitzern erhebliche Einkünfte, sagt Kim Reuter:
"Wir wissen, dass viele dieser Tiere gefangen und als Haustiere in Hotels und Restaurants für Touristen gehalten werden. Solche Hotels können im Schnitt 25 Dollar mehr pro Nacht verlangen. Das ist eine Menge Geld in einem Land, wo die Menschen von weniger als zwei Dollar pro Tag leben. Soviel bekommen sie von einem einzigen Touristen für ein Selfie mit einem Lemuren."
Lemuren als Haustiere sind Statussymbole
Die Expertin für den Handel von Lemuren als Haustiere auf Madagaskar hat herausgefunden, dass Lemuren als Haustiere dort Statussymbole sind. Lemuren wie die Kattas sind sehr stark bedroht. Am stärksten leiden die einzigartigen Affen darunter, dass der Mensch die Wälder rodet, in denen sie leben, oder sie zum Verzehr jagt. Der Handel als Haustiere könnte solchen Populationen den Rest geben, die ohnehin schon bedroht sind. Viele Hotels haben Ausnahmegenehmigungen dafür, einzelne Lemuren zu halten. Kim Reuter arbeitet daran, soziale Medien einzusetzen, um den Lemurenhandel zu überwachen. Dafür will sie Gesichtserkennungssoftware über Touristenfotos auf Plattformen für Urlaubsfotos oder Hotelbuchungen laufen lassen.
"Wenn Hotels behaupten, sie halten lediglich einen einzelnen solchen Affen, wir aber beweisen können, dass sie binnen weniger Wochen fünf Kattas verschlissen haben, weil uns die Gesichtserkennung das sagt, dann ist das wirklich eine mächtige Information, die wir Behörden und Entscheidungsträgern weitergeben können, um ihnen zu zeigen: Seht Euch den Durchsatz dieser Hotels an. Das ist nicht nachhaltig. Und die besorgen sich die Lemuren auf illegale Weise. Das ist auch kein Patentrezept gegen den illegalen Handel, aber ich denke, dass Technologie uns da leicht weiterhelfen kann."
"Liken" ermutigt zu falschem Verhalten
Tara Clarke wünscht sich mehr Einfühlungsvermögen von Usern, ehe sie in sozialen Medien ein Foto von wilden Tieren in menschlicher Umgebung liken oder teilen:
"Man sollte sich gut überlegen, ob man solche Videos teilt oder sogar dazu schreibt, dass man das auch mal erleben möchte. Diese Tiere werden zu völlig unnatürlichem Verhalten gezwungen. Denn man hat eine Menge Macht mit dem, was man in sozialen Medien liket und teilt, und ermutigt andere zu falschem Verhalten. Dessen müssen wir uns bewusst werden."