Georg Ehring: Spatzen, Amseln, Kohl- und Blaumeisen sowie Kraniche und Grünspechte – ich stoße im Alltag zuhause und unterwegs im Rheinland vor allem auf diese Vögel, und vorgestern Abend habe ich mich über den Ruf eines Kuckucks gefreut. Wer mit offenen Augen durch die Natur geht, kann nach wie vor eine große Vielfalt von Vögeln bei uns beobachten. Doch es werden weniger. Das bestätigen Experten und Sie können an diesem Wochenende selbst nachzählen. Der Naturschutzbund NABU veranstaltet jedes Jahr im Mai die Stunde der Gartenvögel. – In Berlin begrüße ich Lars Lachmann vom NABU. Guten Tag, Herr Lachmann!
Lars Lachmann: Guten Tag! – Hallo!
Ehring: Herr Lachmann, wie funktioniert das, wenn ich mitmachen will?
Lachmann: Die Stunde der Gartenvögel ist eine sogenannte wissenschaftliche Mitmachaktion. Das heißt, es geht um Wissenschaft, aber das sind nicht die Wissenschaftler im Elfenbeinturm, die das machen, sondern Sie alle, die irgendwo wohnen und vielleicht einen Garten oder einen Hinterhof haben. Sie machen einfach mit.
Die Methode ist ganz, ganz einfach: Sie nehmen sich an diesem Wochenende irgendwann zwischen Freitag und Sonntag eine Stunde Zeit und beobachten Vögel in dieser Stunde. Sie melden dann an uns, an den NABU die während dieser Stunde von jeder Vogelart gleichzeitig maximal gesehene Vogelart.
Das klingt jetzt ein bisschen kompliziert, aber Sie schreiben einfach auf, wie viele Vögel einer Art, zum Beispiel einer Amsel Sie gesehen haben. Kommen nachher noch mal Vögel dazu und Sie sehen die gleichzeitig, wissen, das sind wirklich unterschiedliche Vögel, dann können Sie die noch dazuschreiben. Ansonsten bleibt es bei der Zahl, die Sie vorher hatten.
App zur Bestimmung von Vogelarten
Ehring: Ein paar Vogelarten kenne ich ja und kennen auch viele. Doch was mache ich, wenn dann eine unbekannte Art vor meinen Augen herumflattert?
Lachmann: Es gibt natürlich Möglichkeiten, wie Sie sich vorbereiten können. Da hat der NABU auch viele Angebote. Wir haben zum Beispiel einen Vogeltrainer geschaffen, speziell für diese Zählung. Da sind die 15 häufigsten oder interessantesten Gartenvogelarten dann auch beschrieben. Dort kann man dann lernen, es gibt ein kleines Quizz. Es gibt auch eine App, die NABU-Vogelwelt-App. Da sind fast alle Vogelarten Deutschlands enthalten. Die kann man zum Bestimmen mit verwenden.
Wenn man aber wirklich mal einen Vogel nicht bestimmen kann, dann ist das auch nicht so schlimm. Dann lässt man ihn einfach weg und tut so, als hätte man ihn nicht gesehen.
Ehring: Wie entwickeln sich denn die Vogelbestände bei uns? Geht es allgemein bergab, auch nach dem Hitzesommer und der Dürre?
Lachmann: Wir müssen hier natürlich zwei Sachen streng trennen. Bei unserer Stunde der Gartenvögel zählen wir nur die Vögel im Siedlungsraum, in unseren Dörfern und Städten, und da haben wir eine gute Nachricht. Seit 15 Jahren, seit wir diese Aktion durchführen, haben wir insgesamt etwa gleichbleibende Vogelbestände dort, wo wir die Vögel meistens erleben, in unserer Umwelt, in unseren Gärten, in den Parks. Da gibt es natürlich Gewinner und Verlierer. Es gibt auch Sorgenkinder im Siedlungsraum, Arten, die abnehmen, und andere, die zunehmen.
Es gibt allerdings tatsächlich in Deutschland ein großes Vogelsterben. Das spielt sich allerdings nicht bei uns im Siedlungsraum ab, sondern in der Agrarlandschaft. Und da die Agrarlandschaft mehr als die Hälfte unserer Landschaft ausmacht, ziehen die dort verschwindenden Vögel wirklich das Gesamtsaldo ganz stark ins Negative in Deutschland.
Keine Abnahme bei Zahl der Spatzen
Ehring: Welche Vögel sind da besonders betroffen?
Lachmann: In der Agrarlandschaft ist das Paradebeispiel die Feldlerche. Die haben wir auch deswegen als NABU in diesem Jahr wieder zum Vogel des Jahres gewählt. Die Feldlerche hat in den letzten 20 Jahren um über ein Drittel abgenommen.
Noch schlimmer sieht es aus bei anderen, ehemals häufigen Agrarvögeln, zum Beispiel beim Kiebitz. Der hat um drei Viertel abgenommen. Ganz schlimm beim Rebhuhn, das um 94 Prozent abgenommen hat in nur 25 Jahren.
Ehring: Gibt es denn auch Vogelarten, die vom Menschen profitieren? Bei Säugetieren gibt es ja zum Beispiel die Ratte oder auch den Fuchs, die ganz prima von Lebensmittelabfällen leben können.
Lachmann: Solche Arten gibt es natürlich auch. Aber das Interessante ist, dass Vogelarten, die sich eng an den Menschen angepasst haben, jetzt gerade Vogelarten sind, die besonders bedroht sind. Man schaue sich da zum Beispiel die Spatzen an, den Haussperling und den Feldsperling. Das sind Arten, die sind quasi auf den Menschen angewiesen. Sie leben von seinen Abfällen, den Ernteabfällen oder auch Brotkrumen. Aber selbst diese Arten sind über viele Jahrzehnte bei uns selten geworden, so dass beide Spatzenarten bei uns auf der roten Liste in der Vorwarnliste stehen. Allerdings haben wir da wiederum die gute Nachricht: In den letzten 15 Jahren haben die beiden Arten nicht weiter abgenommen, und wir können vielleicht sogar erkennen, dass sie schon langsam wieder zunehmen. Es ist nicht immer gut, wenn man sich zu sehr an den Menschen anpasst. Wenn der Mensch dann seine Lebensweise ein bisschen verändert, dann leidet man auch gleich wieder als Vogel darunter.
Ehring: Eine Vogelart habe ich am Anfang unseres Gesprächs ausgelassen, obwohl ich sie auch ganz häufig sehe, nämlich den Halsbandsittich. Das ist ein Neubürger im Rheinland und bei uns jedenfalls sehr häufig. Sind solche neuen Arten eine Bedrohung oder eine Bereicherung?
Lachmann: Das kommt immer auf die Art selber an. Unter den Vögeln gibt es in Deutschland einige Neusiedler. Es gibt allerdings fast keine von denen, die man wirklich als Bedrohung für die Vogelwelt in Deutschland ansehen würde. Die Halsbandsittiche, da wird sehr viel geforscht, ob die vielleicht anderen Vögeln die Nistplätze wegnehmen, aber da ist im Moment der allgemeine Kenntnisstand so, dass die Halsbandsittiche zwar laut sind und vielleicht manchmal ein bisschen stören können, aber sicherlich nicht gefährlich sind für die anderen Vögel.
Es gibt da auch Ausnahmen, zum Beispiel die Schwarzkopf-Ruderente, die ganz selten mal in Deutschland vorkommt. Wenn die auftritt, sollte man sie auch dort wieder entfernen. Die kann sich nämlich mit der europäischen Weißkopf-Ruderente vermischen und würde dann dazu beitragen, dass diese Art aussterben würde.
Ganzjährig füttern
Ehring: Noch ganz kurz zum Schluss gefragt: Sollte man Vögel ganzjährig füttern, weil das Nahrungsangebot immer geringer wird?
Lachmann: Man kann sie auf jeden Fall ganzjährig füttern. Wir sagen, Vogelfütterung ist eine tolle Sache zum Naturerlebnis. Man kann im Winter genauso wie im Sommer dafür sorgen, dass man Vögel besser beobachten kann. Die Vorteile für die Vögel halten sich mit den Nachteilen in etwa die Waage. Man sollte nicht denken, wenn man die Vögel füttert, dass man quasi schon genug getan hat für den Naturschutz und für die Vogelwelt. Wenn man wirklich den Vögeln was Gutes tun will, dann sollte man vor allem darauf achten, einen naturfreundlichen Garten anzulegen oder einen naturfreundlichen Hinterhof. Da gibt es viele Tipps, auch auf der NABU-Webseite, wie man das machen kann. Denn Vögel brauchen mehr zum Fressen als nur Körner, insbesondere wenn sie ihre Jungen füttern. Da füttern fast alle Vogelarten ihre Jungen mit Insekten.