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Vogelartensterben
Vogelkundler: Wir brauchen mehr spezifische Schutzmaßnahmen

Haussperling, Star oder Feldlerche: Auch ursprünglich weitverbreitete Vogelarten nehmen hierzulande sehr stark ab. Die industrialisierte Landwirtschaft trage beträchtlich dazu bei, sagte der Vogelkundler Sven Trautmann im Dlf. Doch es fehlten auch spezielle Schutzmaßnahmen für diese Arten.

21.12.2021
    Ein Haussperling (Passer domesticus) sitzt in verschneiten Zweigen.
    Verschwindet mehr und mehr: der Haussperling, auch genannt Spatz (picture alliance / H. Schulz)
    Neben dem Klimawandel ist das Artensterben das zweite zentrale Thema, wenn es um Umwelt und Natur geht – besonders das Vogelsterben. 600 Millionen Vögel weniger als noch 1980 gibt es in Deutschland, so das Ergebnis eines internationalen Forscherteams, das im Fachjournal „Ecology and Evolution“ veröffentlich wurde. Das bedeutet, dass in den vergangenen Jahren fast jeder vierter Brutvogel verloren ging. Darunter sind auch zuvor weitverbreiteten Arten, wie beispielsweise der Spatz.
    Sven Trautmann vom Dachverband Deutscher Avifaunisten hat für die Studie die Daten aus Deutschland beigesteuert. Die Anzahl der Vögel nehme insgesamt in der Fläche zum Teil dramatisch ab, sagte Trautmann im Deutschlandfunk. Europaweit nähmen gerade häufige Arten wie Haussperling, Wiesenschafstelze, Star oder Feldlerche am stärksten ab. Die industrialisierte Landwirtschaft trage einen großen Teil zu diesem Vogelsterben bei. Um gegenzusteuern brauche es artenreiche, klein strukturierte Landschaften mit Hecken, Brachflächen und Gräben. Auch fehlten bislang Artenschutzprojekte wie es sie für seltenere Vögel wie Seeadler oder Großtrappe gebe. Gerade die Projekte für Seeadler hätten gezeigt, dass spezifische, auf die Art zugeschnittene Schutzmaßnahmen sehr erfolgreich sein könnten.

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    Pfister: Was tun eigentlich Avifaunisten?
    Sven Trautmann: Ja, die Frage wird uns oft gestellt. Avifaunisten sind Ornithologen, das heißt Vogelkundler, die sich speziell mit der Verbreitung und Häufigkeit von Vogelarten beschäftigen.
    Pfister: Okay.  Sie sind zu dem Ergebnis gekommen, auch mit den Daten aus Deutschland, es gibt gerade ein Vogelsterben von historischem Ausmaß. Wie schlimm ist es?
    Trautmann: Wir sehen wirklich sehr starke Rückgänge. Die betreffen zwar nicht alle Arten, aber die Anzahl der Vögel nimmt insgesamt in der Fläche zum Teil dramatisch ab. Das geht so weit, dass mittlerweile selbst das morgendliche Vogelkonzert weniger vielfältig und stimmlich weniger intensiv geworden ist. Wir haben zwar noch keinen stummen Frühling, aber Vogelgesänge wie der der Feldlerche sind in Deutschland bereits aus vielen Teilen der Landschaft verschwunden.

    Haussperling, Star oder Feldlerche nehmen am stärksten ab

    Pfister: Sie haben das ja schon ein bisschen beschrieben. Es sind nicht unbedingt ganz seltene Vögel, die es betrifft, sondern eher, salopp gesagt, Allerweltsvögel. Welche Vögel schwinden besonders stark?
    Trautmann: Sie haben es schon erwähnt. Europaweit nehmen Arten wie Haussperling, Wiesenschafstelze, Star oder Feldlerche am stärksten ab. Das sind sehr häufige Arten. In Deutschland gibt es noch ein paar andere Arten, die noch stärker abnehmen, wie zum Beispiel Kiebitz und Rebhuhn. Die sind seit 1990 um zirka 90 Prozent im Bestand zurückgegangen. Insgesamt sehen wir, dass vor allem die Arten der landwirtschaftlich genutzten Offenlandschaft stark abnehmen.

    „Es braucht artenreiche, klein strukturierte Landschaften“

    Pfister: Daran liegt es? Man kann an den Vogelarten sehen, dass die, die besonders nah an der Landwirtschaft dran sind, am stärksten geschädigt sind?
    Trautmann: Ja! Die industrialisierte Landwirtschaft trägt sicherlich einen beträchtlichen Teil dazu bei, dass insbesondere die Feldvogelarten so stark abnehmen. Es ist aber natürlich auch so, dass häufige Arten oft nicht besonders im Fokus von Schutzmaßnahmen stehen. Es gibt zwar gerade für die Feldvogelarten Agrarumweltmaßnahmen, aber die reichen oft nicht aus, werden auch nicht immer zielführend eingesetzt, oder werden auch den Landwirtinnen und Landwirten nicht immer ausreichend vergütet. Dann werden die häufigen Vogelarten normalerweise auch nicht über Schutzgebiete wie zum Beispiel das Netzwerk Natura2000 geschützt und es werden auch selten Artenschutzprojekte für sie durchgeführt, wie es das für seltenere Arten wie Seeadler oder Großtrappe zum Beispiel gibt. Das ändert sich meist erst dann, wenn die Arten seltener werden. Dann gibt es auch Projekte. Wir selbst machen auch einige Projekte, zum Beispiel zum Kiebitz unterstützen wir Projekte oder haben selbst auch ein Projekt, sind an einem Projekt beteiligt zum Rebhuhn im Rahmen des Bundesprogramms biologische Vielfalt. Das genügt aber letzten Endes nicht, um gerade die häufigen, weit verbreiteten Arten effektiv zu schützen. Da brauchen wir wirklich noch mehr Maßnahmen. In anderen Ländern gibt es dafür zum Beispiel Artenaktionspläne. Die gibt es in Deutschland leider nicht bundesweit, sondern meist mit unterschiedlichen Schwerpunkten nur in einzelnen Bundesländern.

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    Pfister: Was wären denn gute Schutzmaßnahmen?
    Trautmann: Alles was erst mal die offene Agrarkulturlandschaft in ihrer Vielfalt, in ihrer Artenvielfalt auch erhellt, was dazu beiträgt, dass es artenreiche, klein strukturierte Landschaften gibt mit Hecken, mit Brachflächen, feuchten Gräben, Lücken in den Feldern, was beispielsweise die Insekten, die auch stark zurückgegangen sind, erhellt. Das wären sicherlich ganz wichtige Aspekte und da muss man, denke ich, auch ansetzen.

    Auch häufige Arten sterben aus

    Pfister: Sie haben es eben schon ein bisschen beschrieben, weil es viele von diesen Vögeln gibt, die früher überall waren, haben wir da noch nicht so ein Bewusstsein, dass die wirklich schützenswert sind. Müssen wir uns denn Sorgen machen, obwohl die noch relativ häufig sind?
    Trautmann: Ich denke schon. Es gibt ja ein sehr trauriges Beispiel, das auch vor einigen Jahren wieder durch die Presse ging, dass selbst sehr häufige Arten relativ schnell verschwinden können. Das ist die Wandertaube, die vor mehr als 100 Jahren in Nordamerika nicht nur, aber auch durch menschliche Einflüsse ausstarb, und das war eine der häufigsten Vogelarten überhaupt. Man geht da von bis zu fünf Milliarden Individuen aus. Das sind ungefähr 50mal so viele Vögel, wie es aktuell in ganz Deutschland gibt. Die ist innerhalb von, ich glaube, 30 Jahren ungefähr ausgestorben. Jetzt könnte man meinen, dass man daraus gelernt haben sollte. Allerdings wurde gerade erst vorletztes Jahr das Rebhuhn – eine ehemalige Allerweltsart – in der Schweiz als ausgestorben erklärt und in Deutschland hat das seit 1990 um schon mehr als 90 Prozent abgenommen, ähnlich wie der Kiebitz. Das Rebhuhn ist durch keine der EU-Richtlinien, Vogelschutzrichtlinien oder Ähnliches, besonders geschützt. Im Gegenteil: Es ist sogar eine jagdbare Art und es werden auch keine besonderen Schutzgebiete für es ausgewiesen oder Schutzmaßnahmen getroffen. Deswegen ist es auch in Deutschland möglich, dass häufige Arten wie zum Beispiel das Rebhuhn innerhalb einer einzigen Menschengeneration aussterben.
    Ein juveniler Seeadler (Haliaeetus albicilla) im Biosphaerenreservat Elbe breitet im Schnee seine Schwingen aus.
    Nach speziellen Schutzmaßnahmen wächst die Seeadler-Population hierzulande wieder (picture alliance / D. Damschen)

    Artenschutzmaßnahmen für Greifvögel erfolgreich

    Pfister: Wir haben ja Erfolge bei Greifvögeln. Es geht offenbar sieben Greifvogelarten, um die wir uns Sorgen gemacht haben, besser. Was können wir daraus herleiten?
    Trautmann: Man kann daraus ableiten, dass spezifische Artenschutzmaßnahmen, die auf die Arten wirklich zugeschnitten sind, sehr hilfreich sein können und auch wirklich für einige Arten wie Seeadler oder Wanderfalken, um jetzt nur mal zwei der Beispiele zu nennen, dazu geführt haben: Die waren fast ausgestorben im Prinzip und jetzt haben sie sich deutlich erholt und nehmen im Bestand auch sehr stark zu in Deutschland. Gerade beim Seeadler sieht man das. Da hilft es jetzt nicht, allgemein nur Maßnahmen zu machen, quasi nach dem Gießkannenprinzip, sondern auch wirklich darauf einzugehen, was die Arten im Einzelnen brauchen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.