Die Biodiversitätsstrategie ist Teil des sogenannten Green Deals. Das Prestigeprojekt der EU-Kommission will die Netto-Emissionen von Treibhausgasen auf null reduzieren und damit Europa zum ersten klimaneutralen Kontinent machen.
Mit der Biodiversitätsstrategie will die EU-Kommission die Hauptursachen für den Verlust an biologischer Vielfalt und Ökosystemen angehen. Zentraler Punkt ist die Ausweitung von Schutzgebieten. Außerdem sollen die nicht nachhaltige Nutzung von Land und Meer, der Raubbau an natürlichen Ressourcen, die Umweltverschmutzung sowie die Ausbreitung invasiver Tier- und Pflanzenarten, die Lebensräume, Arten oder Ökosysteme beeinträchtigen, reduziert werden.
Anders als bislang sollen Zielvorgaben verbindlicher werden. Die EU-Kommission verspricht Kontrolle und behält sich vor, nachzujustieren.
Erklärtes Ziel der Strategie ist es, dem Naturschutz auf 30 Prozent der EU-weiten See- und Landflächen einen rechtlichen Status zu geben, zehn Prozent sollen sogar unter besonders strengen Auflagen quasi naturbelassen bleiben. Derzeit sind es im Rahmen des europäischen Netzwerks Natura 2000 rund 18 Prozent. Solche Flächen dürfen zwar genutzt werden, aber mit Beschränkungen.
Mindestens zehn Prozent der landwirtschaftlichen Fläche soll für die Erholung der Arten reserviert werden, also ungenutzt bleiben. Weiteres Ziel der Biodiversitätsstrategie 2030 sind verbindliche Regeln zum Erhalt und zur Wiederherstellung geschädigter natürlicher Flächen. Mindestens 25.000 Kilometer Flüsse sollen renaturiert und und drei Milliarden neue Bäume gepflanzt werden.
Die Biodiversitätsstrategie ist mit einer neuen Landwirtschaftsstrategie verwoben, um den Agrarbereich stärker in die Pflicht zu nehmen: Weniger Pestizide, weniger Düngemittel, weniger Antibiotika-Einsatz in der Tierhaltung, mehr Biolandwirtschaft, eine nachhaltige Fischerei. Ebenso sollen die Menge weggeworfener Lebensmittel und der Verpackungsmüll reduziert werden.
Die sogenannte Farm-to-Fork-Strategie soll die Lieferkette von den Erzeugern bis zu den Verbrauchern verbessern- Verbraucher sollen ihre Ernährungsweise überdenken, zum Beispiel mit Hilfe eines Tierwohllabels und eines Nährwertlogos für Lebensmittel.
Konkret sollen Landwirte beispielsweise dafür sorgen, dass der Verlust von Artenvielfalt vor allem bei Vögeln und Insekten auf ihren Feldern gestoppt und der Trend umgekehrt wird. So sollen künftig mindestens 25 Prozent der Ackerfläche in Europa dem Ökolandbau vorbehalten sein.
Die CDU-Umweltpolitikerin im Europaparlament, Christine Schneider, warnt vor einer Überproduktion von Lebensmitteln, die im Ökolandbau produziert würden. In der EU seien aktuell 7,5 Prozent der Fläche im Ökolandbau verankert. Eine Steigerung auf 25 Prozent werfe die Frage auf, ob es dafür überhaupt einen Markt gebe.
Kritik kommt auch vom Deutschen Bauernverband. Der hält den Zeitpunkt für die Präsentation der Biodiversitätsstrategie und der begleitenden Lebensmittelstrategie "Vom Hof auf den Tisch" (Farm to Fork) für ungünstig und fordert, ihn stattdessen auf das Jahresende zu legen. Zunächst sollten noch die Lehren aus der Coronakrise für die Lebensmittelversorgung abgewartet werden.
Auch aus Osteuropa sind bereits Stimmen zu hören, den Green Deal vorerst auf Eis zu legen.
Vertreterinnen der Europäischen Grünen forderten dagegen mehr Verbindlichkeit. Artenschutz müsse "Hand in Hand gehen mit einer ambitionierten Klima- und Energiepolitik, dem Umbau unserer Industrie zu einer ressourcenschonenden Kreislaufwirtschaft und einer naturverträglichen Politik für Landwirtschaft, Wald und Fischerei", sagte die Sprecherin der Grünen/EFA-Fraktion für Artenschutz, Jutta Paulus, laut der Deutschen Presse-Agentur. Mit "Freiwilligkeit" sei es beim Artenschutz nicht getan.
Ähnlich äußerte sich die Grünen-Europapolitikerin Anna Deparnay-Grunenberg. Zehn Prozent des Landes als Rückzugsorte und "biologisches Reservoir" für die Artenvielfalt zu sichern, sei zwar ein starkes Signal, reiche aber nicht aus. Sie kritisierte, dass die Strategie an verschiedenen Punkten auf Druck von Lobbyisten verwässert worden sei.
Raphael Weyland vom Naturschutzbund macht darauf aufmerksam, dass trotz "viel Geld für eine gemeinsame Agrarpolitik" zu viel Nitrat im Grundwasser ist, Blühstreifen etwa für Kiebitz und Feldhase verschwinden und Erntehelfer schlecht bezahlt werden. Er hält die Farm-to-Fork-Strategie für überfällig.
Die Coronakrise habe Europa an die Bedeutung eines Gleichgewichts zwischen menschlichem Handeln und Natur erinnert, sagte der geschäftsführende Vizepräsident der EU-Kommission und Kommissar für Klimaschutz Frans Timmermans in Brüssel bei der Vorstellung der EU-Biodiversitätsstrategie.
Doch wie viel davon umgesetzt wird, ist derzeit noch unklar. Der größte Streitpunkt ist der nächste EU-Haushalt 2021 bis 2027. Denn mit der Coronakrise sind Stimmen laut geworden, die fordern, das dafür eingeplante Geld für andere Dinge einzusetzen, als die EU bis 2050 treibhausgasneutral zu machen.
Die nötigen Investitionen zur Umsetzung der Strategie bezifferte die Kommission auf jährlich 20 Milliarden Euro, die von der EU, ihren Mitgliedsstaaten und privater Seite aufgebracht werden müssten. Doch bringe Naturschutz auch Wirtschaftskraft, rechnet die Kommission vor: Allein der Nutzen des Natura-2000-Netzes werde auf 200 bis 300 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt. Auf regionaler Ebene entstünden neue Arbeitsplätze.