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Arthur Isarin: "Blasse Helden"
Unter Raubtierkapitalisten

Arthur Isarin ist das Pseudonym eines deutschen Geschäftsmannes, der in den 90ern tatkräftig mitmischte, als die Sowjetunion zum Eldorado für Big-Business-Abenteurer wurde. Isarins Roman über den postsowjetischen Goldrausch gibt interessante Einblicke in die russische Gesellschaft vor Präsident Putin.

Von Eberhard Falcke |
    Buchcover Arthur Isarin: "Blasse Helden"
    Insider-Bericht aus den 90er-Jahren des russischen Goldrausches (Knaus / dpa / picture-alliance)
    Im letzten Jahrzehnt des zwanzigsten Jahrhunderts taten sich bei der Demontage des Sowjetsystems in Russland neue Geschäftsfelder für die Selbstbereicherung auf. Wer da mitmischte, hat viel zu erzählen. Die meisten ziehen es allerdings vor, die Geheimnisse ihrer Erfolge für sich zu behalten. Umso besser, dass nun ein Zeitzeuge und Insider gleich mit einem ganzen Roman über jene Jahre herausrückt. Der Autor mit dem Pseudonym Arthur Isarin, hat seinem Helden einen Sinn für ironische Zwischentöne verliehen. Er sei ja nichts weiter als ein "Rechenknecht", so charakterisiert sich dieser Anton einmal selbst. Zum Romantitel "Blasse Helden" passt das ausgezeichnet. Aber wie kam Anton als Deutscher überhaupt in die Moskauer Geschäftswelt? Abenteuerlust und ein deutschbaltischer Geschäftsmann lieferten ihm die Motive.
    "Ehrenthal war auf der Suche nach einem vertrauenswürdigen Mr. Fix-it, der seine ebenso breit gefächerten wie unklugen Investitionen in Russland konsolidieren sollte. Die Sowjetunion zerfiel gerade rapide, und Anton nahm die Herausforderung an. Er war jetzt zweiunddreißig Jahre alt und hoffte, in der Öde des Ostens eine Leichtigkeit zu finden, die er nie erlebt hatte."
    Ein Deutscher im postsowjetischen Wilden Osten
    Anton wechselt also von New York, wo er sich als Controller einer Versicherungsgesellschaft gelangweilt hatte, nach Moskau. Dort wird er Zeuge eines umfassenden, oft aberwitzigen gesellschaftlichen Wandels. Begeistert für die russische Kultur liest er die Klassiker, wird zum Stammgast im Musikkonservatorium, besucht das Bolschoi-Ballett und die Oper. Nadja, die Tochter des einstigen Außenministers Gromyko sorgt dafür, dass er keine der schwülstigen Neureichenparties verpasst. Die Explosion sexueller Freizügigkeit in jenen Jahren beschert ihm Eskapaden in Betten und Badewannen, an die er sich nicht ohne erotischen Abenteurerstolz erinnert. Dennoch verliert er dabei die ökonomische Basis dieser Verhältnisse zwischen Lebenslust und Käuflichkeit, obszönem Reichtum und sozialen Abhängigkeiten nicht aus den Augen. Durch die Ärztin Tanja erhält er Einblicke in manche Schattenbereiche.
    "Viele der jungen Ärzte in der Klinik kämpften täglich um ihre Existenz, was auch Organ- und Drogenhandel oder Prostitution einschloss. Selbstmitleid war in Russland unüblich, und die trockenen Schilderungen der Überlebensstrategien raubten ihm den Atem."
    Mit Tanja zusammen erlebt Anton auch einen historischen Moment, bei dem plötzlich alles wieder auf Messers Schneide steht: Den Widerstand gegen die Wirtschaftsreformen von Boris Jelzin 1993. Den Aufruhr in den Moskauer Straßen zeichnet der Roman in allegorischen Bildern von düsterer Faszination, bei denen die entfesselten, klagenden, zerlumpten und zum Untergang verurteilten Sowjetmenschen noch einmal mit ihrem ohnmächtigen Zorn aus den Kellern der Geschichte hervorbrechen.
    Lob auf die russischen Frauen
    In einer von mehreren brenzligen Situationen gelingt es Anton, einem Trupp Soldaten an einer Straßensperre klar zu machen, dass seine Beifahrerin nicht als Wegezoll zur Verfügung steht. Überhaupt gebärdet sich Anton, der es an Urteilsfreude nicht fehlen lässt, gerne als großer Verteidiger der russischen Frauen.
    "Wie kaputt hier alles ist!, dachte Anton. Aber solange diese wunderbaren Frauen hierblieben, musste man sich keine Gedanken machen. Sein Konzept für Russland wurde mit der Zeit immer radikaler: Einfach alles den Frauen überlassen. Egal, ob Wirtschaft, Militär, Polizei oder Justiz."
    Ein wenig spielt Anton die Rolle des schelmischen Abenteurers, der weiß, dass er nur ein Gast ist und seine Chancen allein davon abhängen, welche Figur er macht. Am Ende dieser Jahre wird er das Fazit ziehen, es seien die besten seines Lebens gewesen. Trotzdem kommt es in diesem Roman viel weniger auf das Tun und Lassen des Protagonisten an, sondern vor allem darauf, welche Einblicke dieser gewinnt. Darum ist Anton vor allem ein Zeitzeuge, ein Scout und Cicerone, an dessen Seite der Autor Arthur Isarin seine Leserschaft durch die postsowjetischen neunziger Jahre führt. Und das macht er spannend, unterhaltsam, mit einer Fülle an erhellenden Perspektiven und vielsagenden Einzelheiten und allem Anschein nach mit einiger Verlässlichkeit.
    Die Privatisierung des Volkseigentums
    Besonders interessant sind die Schlaglichter, mit denen Isarin einige der wirtschaftlichen Manöver beleuchtet, durch die es möglich wurde, das einstige Volkseigentum in die Hände von Oligarchen und Geschäftemachern zu transferieren. Wahrhaft endzeitlich wirkt der Besuch in einem sibirischen Kohlebergwerk, wo sich die Frage, warum die Lieferquoten nicht erfüllt werden, in der Schwärze des allgegenwärtigen Kohlenschlamms verliert. Andererseits stellt sich später heraus, dass sich sogar mit nicht existierenden Lieferungen ausgezeichnet Profite machen lassen. Eine andere an absurden Vorkommnissen reiche Reise unternimmt Anton mit einem KGB-Mitarbeiter, der ihn als Strohmann für die Privatisierung eines Schwarzmeerhafens gewinnen möchte. Die Gründe dafür sind schnell durchschaut.
    "Das alles hier ist ein Traum für Verbrecher. Ein Binnenhafen mit Meereszugang. Kein Zoll, keine Polizei, noch nicht mal eine Schranke. Solange es auf Flussfrachter passt, könnt ihr hier rein- und rausbringen, was ihr wollt."
    Irgendwann einmal wird auf Antons Mercedes geschossen. Die Reaktion der Polizei auf seine Anzeige gleicht einer schwarzen Komödie. Doch er ist gewarnt, die Regeln ändern sich, seine Zeit ist vorbei. Als Anton 1999 Russland verlässt, ist ein gewisser Wladimir Putin gerade dabei, seine erste Amtszeit als neuer Herrscher Russlands anzutreten.
    Warum der Autor dieses lebendig und gut geschriebenen Romans sich hinter einem Pseudonym versteckt, verrät er nicht. Er könnte sich damit jedenfalls ohne Weiteres sehen lassen. Doch wahrscheinlich gilt die Doppelbeschäftigung als Geschäftsmann und Romancier in Chefetagen weniger als Empfehlung denn als Risiko.
    Arthur Isarin: "Blasse Helden". Roman.
    Knaus Verlag, München. 318 Seiten 22,00 Euro.