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Artikel 50 im EU-Vertrag
Erfinder der Austrittsklausel ist gegen Brexit

Der Brite John Kerr hat den Artikel verfasst, der regelt wie ein Land aus der EU austritt. Damals hatte er sich nicht ausmalen können, dass einmal ausgerechnet Großbritannien den Artikel anwenden würde.

Von Friedbert Meurer |
John Kerr sitzt an einem langen Tisch und blickt in die Kamera.
"Ich hätte mein ganzes Vermögen dagegen verwettet", sagt John Kerr über den Brexit. (imago stock&people Isabel Infantes )
Lord Kerr ist ein echter Brite. Man erkennt ihn an seinem Humor. John Kerr ist 77 Jahre alt und stellt sich zur Begrüßung vor als: "Ich bin der Idiot, der Artikel 50 erfunden hat." John Kerr ist gegen den Brexit und hätte am liebsten ein zweites Referendum. Im Leben habe er damals Anfang der 2000er Jahre im Verfassungskonvent der EU nicht daran gedacht, dass ausgerechnet sein Land einmal den Artikel 50 anwenden würde. John Kerr:
"Ich hätte mein ganzes Vermögen dagegen verwettet. Jeder sieht, wie schlecht diese Idee ist. Aber wenn wir wirklich die EU verlassen sollten, dann wird uns auf eine sehr lange Zeit hin keiner nachfolgen."
"Artikel 50 ist genial"
Dass Artikel 50 zu ziehen eine schlechte Idee ist, das finden übrigens auch die Hardliner unter den Brexiteers. Sie würden lieber ohne Vertrag die EU verlassen und glauben, dass Artikel 50 so konstruiert ist, dass er das Land, das ihn zu ziehen wagt, krass benachteiligt.
"An Artikel 50 ist nichts falsch. Artikel 50 ist in jeder Hinsicht großartig. Er könnte nicht besser sein. Er ist genial." Das mit dem "genial" sagt Lord Kerr wieder etwas verschmitzt. Er weiß, dass viele seiner Landsleute es als ungerecht empfinden, dass die EU darauf pochte, erst den Scheidungsvertrag auszuhandeln und später dann den Vertrag über die künftigen Beziehungen.
London muss also zum Beispiel den 39 Milliarden Pfund Scheidungssumme und der Übergangslösung für Nordirland zustimmen, ohne als Gegenleistung einen Handelsvertrag zu erhalten. Lord Kerr kritisiert das auch, der Artikel 50 sehe das so gar nicht vor: "Artikel 50 besagt, dass die Scheidungsvereinbarung den Rahmen für die künftigen Beziehungen des Staates zur EU berücksichtigen muss. So kam es nicht. Wir haben nur eine politische Erklärung zur Zukunft."
"Die meisten hielten die Klausel damals für unnötig"
John Kerr war in den 90er Jahren Vertreter des Vereinigten Königreichs bei der EU in Brüssel und ging dann als Botschafter nach Washington. 2002 und 2003 saß er im Konvent, der eine Verfassung für die EU ausarbeitete. Sie wurde aber in zwei Referenden in Frankreich und den Niederlanden abgelehnt. John Kerr:
"Die meisten hielten es damals für unnötig, dass es eine Klausel geben sollte, wenn ein Mitgliedsstaat freiwillig die EU verlassen will. Aber wir hielten es für möglich, dass ein Staat sich nicht mehr an die demokratischen Regeln hält und der EU dann schaden will. Wir hatten im Konvent Einstimmigkeit über den Text erreicht. Überlebt hat davon Artikel 50."
Kerr gibt die Hoffnung nicht auf
Auch dass ein Land nur zwei Jahre Zeit zum Verhandeln hat, diente nicht dazu, es zu benachteiligen. Im Gegenteil, behauptet der Erfinder von Artikel 50: der betreffende Staat sollte sich nicht in einer Falle eingesperrt fühlen. Immerhin habe die EU ja auch schon zweimal den Brexit verschoben. Juristisch kann Großbritannien den Antrag nach Artikel 50 auch wieder zurückziehen, aber nur solange es noch in der EU ist. Lord Kerr gibt die Hoffnung nicht auf: "Die jungen Leute bei uns wollen sehr gerne in der EU bleiben. Und die ältere Generation ist nach und nach nicht mehr unter uns. Ich hoffe auf ein neues Referendum. Wir würden diesmal klar gewinnen."
Sein gesamtes Vermögen würde John Kerr, der Vater von Artikel 50, diesmal aber nicht darauf setzen. Die Umfragen sind knapp – und ob es überhaupt zu einem zweiten Referendum kommt, ist fraglicher denn je.