Archiv

Arturbating Performance
Kunst in der Isolation

Der Künstler Alexander Iskin hat sich schon vor der Corona-Krise in Deutschland in einer Berliner Galerie eingeschlossen, um an neuen Ölbildern zu malen. Dabei lässt er sich mit einer Webcam beobachten. Per Chat können Besucherinnen und Besucher Einfluss auf seine Arbeiten nehmen.

Von Marie Kaiser |
Ein komplett vollgestellter Schreibtisch mit halb verwelktem Tulpenstrauß, ein ungemaches Bett, Farbtöpfe, Bücher und Müll überall am Boden. Seit 41 Tagen ist Alexander Iskin jetzt schon freiwillig eingesperrt in der Galerie Sexauer und hat im großen hellen Ausstellungsraum, der sonst so clean wirkt, ein kleines Chaos angerichtet. Wie viele Tage seine Performance "Arturbating" jetzt schon läuft, dafür hat der Künstler mittlerweile das Gefühl verloren.
"Ich habe nach dem siebten Tag aufgehört zu zählen. Eine Freundin rief mich mal an und sagte mir: "Mach doch so eine Strichliste!". So wie im Gefängnis ist es ja hier auch eine Art weiße Zelle, kein White Cube, sondern eine White Cell. Aber ich habe das jetzt nicht als Gefängnis wahrgenommen, sondern als Projekt."
Künstler unter Beobachtung
Acht Stunden am Tag lässt sich der Künstler per Livestream bei der Arbeit, beim Schlafen oder Essen beobachten. Alexander Iskin sieht schon etwas verwildert aus - in Hausschuhen, die Hose bekleckst, die schulterlangen Haare verwuschelt - eine Seite ist dunkel, die andere Seite blond gefärbt. Überall im Raum sind Ölbilder an die Wände gelehnt. Leinwände voller dynamischer und bunter Formen, die sich an der Grenze von abstrakt und figurativ bewegen. Farbenfrohe Bilder. Oft überlegt Iskin minutenlang bevor er den Pinsel ansetzt. Zu Beginn der Performance hatte der Künstler diese Ruhe noch nicht gefunden.
"Ich hab da ehrlich gesagt gar nicht so richtig daran gedacht. Aber natürlich, wenn man dann in der Performance drin ist, dann wirken die Kameras, und dann wirkt dieses Gefühl des Beobachtetseins sehr stark auf die Bilder, was ich dann ja auch nicht ausgehalten habe, weil die Ergebnisse einfach so unsensibel waren und auf Aktionismus beruhten. Das kennt man ja von den ganzen Streams - von Tictoc oder von Snapchat. Da ist ein ständiger Aktionismus, der gefordert wird, um Zuschauer zu generieren, um einfach die Likes zu steigern. Und ich musste mich hier davon entfernen, weil ich sonst die acht Wochen nicht ausgehalten hätte."
Isolation Light
Weil er mit seinen ersten Arbeiten unzufrieden war, hat Alexander Iskin zeitweise nur mit Buntstiften auf Papier gezeichnet und dann die Leinwände abgespannt und auf die Rückseiten gemalt. Bis vor Kurzem bekam der Künstler jeden Tag Besuch. Wer wollte, konnte ihm Essen und Trinken vorbeibringen und damit dafür sorgen, dass Iskin am Leben bleibt und arbeiten kann. Interrealismus nennt er diese künstlerische Idee, verschiedene Wirklichkeiten miteinander zu vermischen.
"Die Leute haben mir meistens was Süßes mitgebracht oder so Trash Food. Aber das ist ja auch okay. Ich wollte ja die digitale Welt mit der haptischen Welt damit in Verbindung bringen und verschmelzen."
Wegen des Corona-Virus ist diese Vermischung jetzt nicht mehr möglich - aber per Chat können sich Besucherinnen und Besucher weiter mit ihm unterhalten und sogar direkt Einfluss auf die Bilder nehmen, das steckt für Iskin schon im Namen der Performance "Arturbating" drin.
"Das ist tatsächlich ganz ungeschönt eine Mischung aus Art Kunst, Masturbation - weil es am Ende eine totale Selbstinszenierung ist - und Debating! weil wir da durch diese Chat-Funktion und durch die Konfrontation direkt mit den Arbeiten, eine Debatte stattfinden lassen kann und der Betrachter sozusagen auch online Einfluss nehmen kann auf die Bilder."
Darf ich mitmalen?
Manche fragen über Chatfunktion einfach wie es ihm geht, aber manche mischen sich auch in die Komposition seiner Ölgemälde ein.
"Die sagen, dass sie zum Beispiel einen Gelbton irgendwie ganz gerne in der rechten oberen Ecke sehen würden. Ich frage, ob sie mir das irgendwie begründen können. Dann spricht man ein bisschen über die Komposition und den Bildaufbau."
Ursprünglich hatte Alexander Iskin vor, seine Performance am Freitag nach acht Wochen zu beenden. Doch in Zeiten der Corona-Gefahr hatte er das Gefühl, dass es falsch wäre, das Experiment ausgerechnet jetzt abzubrechen, wo es so sinnvoll ist, drinnen zu bleiben, damit sich das Virus nicht unnötig ausbreitet. Iskin selbst hat die Zeit der Isolation als kreativitätsfördernd empfunden und rät allen, die jetzt auch zu Hause bleiben müssen, sich auf den Ausnahmezustand einzulassen.
"Es ist jetzt gut, ein bisschen ruhig zu halten und die Menschen mit gesundheitlichen Schwächen zu respektieren und diesem ganzen Aktionismus, der uns tagtäglich umgibt, zu entgehen und versuchen diese Zeit, die man hat, das ist ja auch ein sehr, sehr kostbares Gut, auch mal zu genießen.