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Arzneimittelrecht
Der vorletzte Wille

Die Bundesregierung plant eine Änderung des Arzneimittelgesetzes. Laut Entwurf könnten Medikamententests an Demenzpatienten erlaubt werden, obwohl diese Probanden nicht einwilligungsfähig sind. Wissenschaftler hoffen auf neue Erkenntnisse. Doch es gibt ethische Bedenken - nicht nur in den Kirchen.

Von Burkhard Schäfers |
    Demenz, geschrieben auf einem Scrabble-Brett mit Buchstabensteinen.
    Demenz geschrieben auf einem Scrabble Brett mit Buchstabensteinen. (imago stock&people)
    Die Betroffenen schreien, werden aggressiv, sie leiden unter Ängsten und Depressionen. Demenz ist bisher nicht heilbar, umso intensiver suchen Forscher nach geeigneten Therapien. Nun gibt es Streit um die Frage, welche Arten von Medikamentenstudien angemessen sind - und wo die Politik der Wissenschaft ihre Grenzen aufzeigen sollte. Wolfgang Maier, Psychiater an der Uniklinik Bonn, plädiert dafür, das Arzneimittelgesetz zu liberalisieren:
    "Weil eine solche Forschung notwendig ist, um überhaupt für diese Personengruppe Medikamente und Behandlungsstrategien zu entwickeln, die ihre Lebensqualität verbessern."
    "Diese Personengruppe" - das sind insbesondere Menschen mit fortgeschrittener Demenz. Professor Maier will erreichen, dass auch sie künftig an Arzneimittel-Studien teilnehmen dürfen - selbst dann, wenn die Betroffenen keinen direkten Nutzen daraus ziehen. Die Schwierigkeit: Es geht um Menschen, die so krank sind, dass sie selbst nicht mehr bewusst in die Teilnahme an einer Studie einwilligen können. Die Zustimmung müsste ein Betreuer geben. Bisher ist diese so genannte gruppennützige Forschung an Nichteinwilligungsfähigen in Deutschland verboten.
    Kritik von Ex-Gesundheitsministerin Schmidt
    Jetzt gibt es folgenden Vorschlag: Wer will, kann - nach dem Vorbild einer Patientenverfügung - in einer so genannten Probandenverfügung vorausblickend einwilligen, künftig an Studien teilzunehmen. Auch wenn man später einmal krank ist und nicht mehr selbst entscheiden kann.
    Maier sagt: "Der Betreuer prüft dies auf der Grundlage der Wertevorstellungen und der ihm bekannten Weltanschauungen und Interessen des Verfügenden. Man sollte möglichst präzise festlegen, an welchen Studien man teilnehmen möchte. Und danach bestimmt der vom Verfügenden einzusetzende Betreuer, inwieweit eine Passfähigkeit vorhanden ist zwischen dem vormals voraus Verfügten und der konkreten Studiensituation um die es geht."
    Das heißt: Nur wer irgendwann in die Studien eingewilligt hat, kann zum Probanden werden. Wer nie einer solchen Verfügung zustimmte, nicht. So steht es in einem Gesetzentwurf von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe. Diesen aber sehen etliche Fachleute kritisch, auch die ehemalige Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt:
    "Unser Grundgesetz sagt, wir garantieren die körperliche Unversehrtheit und die Würde eines jeden Menschen. Und deshalb hat der Gesetzgeber immer sehr hohe Anforderungen überhaupt an Eingriffe, an Forschung gelegt. Indem man sagt, der Betroffene muss wissen, worum es geht. Der muss aufgeklärt sein, der muss die Risiken kennen, notfalls auch, was könnte schädigend sein. Und er muss das Recht haben, jederzeit aus einer Therapie auszusteigen. Das alles ist bei Nichteinwilligungsfähigen so nicht möglich."
    Marx: "Erhebliche Gefahren und Belastungen"
    Auch die Kirchen sind skeptisch, was die geplante Gesetzesänderung angeht. Sie warnen, der Mensch werde zum Nutzen anderer instrumentalisiert und verzweckt. Reinhard Marx, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, befürchtet "erhebliche Gefahren und Belastungen für extrem schutzbedürftige Menschen". Dem widerspricht Wolfgang Maier, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Bonn. Er erhofft sich von künftigen Studien Hilfe für schwer Demenzkranke, etwa durch Antikörper-Therapien. Diese Behandlung zeige Erfolge bei Demenzkranken im Anfangsstadium. Die Erkenntnisse ließen sich allerdings nicht auf Schwerdemente übertragen, weil sich im Laufe der Krankheit Hirnstrukturen und -Funktionen veränderten, so Maier:
    "Nun wird sich die Frage stellen, inwieweit solche Therapien auch in einem späteren Zustand der Demenz - also im nicht mehr einwilligungsfähigen Zustand - hilfreich sein können. Etwa indem sie die Lebensqualität deutlich verbessern, vielleicht auch die Alltagsfunktionen, vielleicht auch die Lebensfreude. Diese Frage erfordert eine kontrollierte, randomisierte Studie."
    Käme das neue Gesetz, dann könnten Menschen für eine spätere Phase ihres Lebens vorab die Entscheidungshoheit aus der Hand geben. Umso größer müsste das Vertrauen in Ärzte, Wissenschaftler und Betreuer sein. Das Problem dabei: Wenn jemand im Voraus seinen Willen verfügt, weiß er nicht, wer der künftige Betreuer sein wird, der entscheidet, sagt die frühere Gesundheitsministerin Schmidt: "Man kann ja in der Vorsorgevollmacht sagen, ich hätte gern meine Tochter oder meinen Ehepartner. Aber die können auch dann vielleicht nicht mehr da sein oder das wahrnehmen können. Und dann bekomme ich einen gesetzlichen Betreuer. Da gibt man einem Betreuer eine Verantwortung, die der eigentlich schwer tragen kann, wenn der gar nicht weiß vielleicht, wie war denn eigentlich die Haltung des Einzelnen, als er diese Vollmacht abgegeben hat."
    Wie weit geht der freie Wille angesichts von Medikamentenstudien?
    Eine weitere heikle Frage: Was, wenn ein Nichteinwilligungsfähiger die Teilnahme an einer Medikamentenstudie abbrechen will? Kritiker des geplanten Gesetzes sagen, hier komme der Patientenwille zu kurz. Psychiater Wolfgang Maier sieht das anders. Auch schwer Demenzkranke könnten Zeichen geben.
    Maier: "Eine entsprechende abwehrende Handbewegung, ein Zurückweisen oder Zurückstoßen des Arztes oder Pflegers, der diese Therapie appliziert, muss als Signal gewertet werden, dass hier eine Zustimmung nicht vorherrscht. Und dann muss diese Studie abgebrochen werden."
    Wie weit geht der freie Wille angesichts von Medikamentenstudien? Auf diese Frage müssen nun die Bundestagsabgeordneten eine Antwort finden. Die Befürworter des neuen Gesetzes halten gruppennützige Studien an Nichteinwilligungsfähigen für notwendig, um neue Therapien zu entwickeln. Gegner wie Ulla Schmidt hingegen fürchten einen Dammbruch:
    "Ich bin davon überzeugt, wenn wir diese ersten Schritte tun, dann kommt der nächste und sagt, wir brauchen aber mehr. Ich habe das Gefühl, dass mit diesem Schritt eine Tür geöffnet werden soll. Und da fängt die Diskussion an, dass ich sage: Aufpassen, ich will das nicht."
    Am kommenden Mittwoch äußern sich im Gesundheitsausschuss Experten aus Wissenschaft und Gesellschaft zum Thema. Für die Abstimmung im Bundestag ist der Fraktionszwang aufgehoben. Die Abgeordneten sollen auf ihr Gewissen hören.