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Arzt ohne Zukunft?

Zwei Jahrzehnte lang wurde über eine Ärzteschwemme geklagt, von arbeitslosen Ärzten gesprochen und das Studium als wenig zukunftsorientiert bezeichnet. Die goldenen Zeiten für Ärzte schienen vorbei. Das ist jetzt anders: Experten beurteilen die Berufschancen als gut, es werden wieder mehr Mediziner gebraucht. Davon kann man sich auf dem Kongress überzeugen, der Freitag und Samstag in Bochum stattfindet und als die Jobbörse für Mediziner gilt.

    80 Aussteller werben in Bochum um den medizinischen Nachwuchs. Versicherungen, öffentliche Einrichtungen und Kliniken, aber auch Pharmaunternehmen. Gerade in der Industrie kamen in den vergangenen Jahrzehnten zahlreiche Mediziner unter, die keine Chance sahen, in der kassenärztlichen Versorgung oder im Krankenhaus tätig zu werden. Die Perspektiven hier sind vielfältig, erläutert die Ärztin Ulrike Hennig vom Pharmaunternehmen Grünenthal.

    Vor allem im Bereich der Entwicklung brauchen wir Ärzte, die daran interessiert sind, die Geschäftsfelder der Firma mitzugestalten. Dazu gehört es, medizinisches Fachwissen einzubringen, sie müssen aber gleichzeitig bereit sein, im Team das Unternehmen nach vorn zu bringen. Wir haben Ärzte natürlich auch in allen Managementbereichen und Leitungsfunktionen, die dann neben der medizinischen Expertise Führungsqualifikationen entwickeln sollten und damit das Unternehmen gestalten. Das hat zugenommen in den letzten Jahren und das wird weiter zunehmen.

    Dagegen ist bei bestimmten Kassenarztausbildungen längst ein Mangeln an Ärzten abzusehen. Etwa bei Kinderärzten konstatiert dies Dr. Gunhild Kilian-Kornell, die Sprecherin des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte.

    Es wird in den nächsten Jahren dahin gehen, dass wir zu wenig Nachwuchs haben, um die ausscheidenden Kolleginnen und Kollegen in den Praxen zu ersetzen. Es ist so, dass wahrscheinlich nicht genügend Ausbildungsplätze da sind. Es werden immer mehr Kliniken geschlossen, vor allem kleinere Kinder- und Jugendkliniken, die nicht mehr rentabel. Dadurch haben wir nicht mehr genügend Ausbildungsplätze und dadurch wächst uns nicht genügend Nachwuchs nach.

    In den Krankenhäusern trifft es besonders die Chirurgen. Viel unbezahlte Überstunden und ein schlechtes Arbeitsklima führen zu freien Stellen wie zuletzt vor 40 Jahren. Volker Sänger, Sprecher der deutschen Krankenhauschirurgen:

    In der Chirurgie ist es so, dass die Ärzte allmählich knapp werden, zwischenzeitlich ist es so, dass in der Chirurgie in Ostdeutschland etwa 35 Prozent aller Stellen nicht besetzt werden können. Natürlich muss man zugeben, dass wir als Chefärzte früher sicherlich Fehler gemacht haben und uns nicht ausreichend um einen vernünftigen Umgang mit unseren Assistenten bemüht haben. Wir mussten auch das erst mal lernen, sind aber seit Jahren da dran.

    Und so fand der Präsident der nordrhein-westfälischen Ärztekammer, Ingo Flenker, bei der Eröffnung der Tagung tosenden Applaus von den anwesenden Studenten und Ärzten, als er einen Abbau der Überstunden in den Kliniken und vor allem das Bezahlen der Bereitschaftszeit forderte - seit Jahren ein Streitpunkt zwischen Kassen, Ärzteverbänden und Krankenhäusern. Wo die dafür notwendigen Ärzte herkommen sollen, ist kaum ersichtlich. Der Bedarf steigt weiter, die Ausbildungszahlen gehen zurück. Früher hat die Bundeswehr vielen Abiturienten ein Medizinstudium finanziert, damit sie anschließend bei ihr Dienst taten. Heute reicht dieser Weg nicht mehr aus, den Bedarf zu decken, so Juliane Reder vom Personalamt der Bundeswehr:

    Die Maxime des zentralen Sanitätsdienstes der Bundeswehr ist, dass wir dem Soldaten, egal wo er ist, eine medizinische Versorgung zukommen lassen, die deutschem Standart entspricht. Selbstverständlich gehen wir auch mit den Soldaten in den Auslandseinsatz. Da hat die Sanität derzeit etwa 1000 Soldaten im Einsatz. Im Rahmen der Strukturreform der Bundeswehr hat zwar die Armee selber eine ganz große Reduzierung erfahren. Der zentrale Sanitätsdienst ist allerdings sehr viel größer geworden. Wir haben im Moment ein Problem, das zu decken, weil wir in der neuen Struktur etwa 400 Sanitätsoffiziere mehr haben und deshalb stehen wir vor allem hier auf dem Karriereforum, um darüber zu informieren, was wir zu bieten haben.

    Manchen Arzt zieht es auch ohne Bundeswehr ins Ausland. Skandinavien, Holland, oder die USA, deutsche Ärzte werden gesucht. Gerade auch in Groß-Britannien und der Schweiz, schildert Peter Karle von der Allianz-Versicherung.

    Groß-Britannien ist beispielsweise herangegangen an die Sache und hat gesagt, wir müssen die Arbeitszeiten herunterführen, und deshalb brauchen sie mehr Mediziner, die dort arbeiten. Und dann haben sie geguckt, was gibt der europäische Arbeitsmarkt her.

    Etwa 1700 deutsche Mediziner arbeiten derzeit in der Schweiz, fast doppelt so viel in Groß-Britannien. Es hat wieder Sinn, Medizin zu studieren, die Arbeitsplätze scheinen auf absehbare Zeit sicher zu sein.