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Arzt per App
Telemedizin auf dem Prüfstand

Das deutsche Fernbehandlungsverbot besagt, dass Ärzte neue Patienten bislang nur nach einem Gespräch behandeln dürfen. Der Deutsche Ärztetag will darüber am Dienstag abstimmen. Sollte das Verbot kippen, könnten Patienten ihre Erstgespräch auch über das Smartphone führen. Viele Mediziner sind skeptisch.

Von Nikolaus Nützel |
    Ein Chirurg zeigt einem Hautarzt am im Rahmen einer elektronischen Visite mit Hilfe einer Webcam und einem Tablet eine Hautveränderung an der Nase einer Patientin
    Ein Chirurg zeigt einem Hautarzt am im Rahmen einer elektronischen Visite mit Hilfe einer Webcam und einem Tablet eine Hautveränderung an der Nase einer Patientin (picture alliance / dpa / Marius Becker)
    "Hallo Frau van Rennings, ich grüße Sie. Wie geht’s Ihnen?"
    "Besser schon, der Fuß tut noch ein bisschen weh, gerade beim schnell laufen, springen - aber es ist schon besser."
    "Sehr schön."
    Es ist eine besondere Sprechstunde, die das Internet-Portal Patientus in einem Werbespot präsentiert: Eine junge Frau, die sich beim Joggen den Fuß verstaucht hat, lässt sich über eine Videoverbindung von einem Arzt beraten. Patientus ist ein noch recht junges Unternehmen: Es wurde vor fünf Jahren gegründet, seit knapp eineinhalb Jahren ist Patientus ein Tochterunternehmen des Ärzte-Bewertungsportals Jameda, das wiederum zum Medienkonzern Burda gehört. Der Geschäftsführer Florian Weiß hofft auf einen neuen starken Impuls für Patientus durch den Deutschen Ärztetag, der ab Dienstag in Erfurt tagt.
    Telemedizinische Behandlungen bisher nur eine Ergänzung
    Das oberste Entscheidungsgremium der deutschen Ärzteschaft berät darüber, ob es Medizinern erlaubt werden soll, Patienten ausschließlich telefonisch, per Video oder Online-Chat zu behandeln – ohne sie vorher persönlich gesehen zu haben. Florian Weiß sieht darin in gewisser Weise eine Zeitenwende: "Wir glauben, dass das eine hohe Signalwirkung haben wird, weil dadurch ein fundamentaler Grundsatz umgestoßen wird: dass telemedizinische Behandlungen immer nur als ergänzend angesehen werden."
    Auch jetzt schon können Ärzte Patienten per Telefon oder auch per Videoschalte beraten - aber nur dann, wenn sie sie vorher persönlich untersucht haben. Seit Jahren gibt es auch Projekte, bei denen Ärzte chronisch Kranke aus der Ferne betreuen, etwa indem beispielsweise Blutdruck- oder Zuckerwerte online in die Arztpraxis oder in ein Krankenhaus übertragen werden - und der jeweilige Behandler dann eine Rückmeldung gibt. Worüber der Deutsche Ärztetag jetzt berät, hat aber eine neue Qualität: Es soll Ärzten in ganz Deutschland erlaubt werden, Patienten aus der Ferne zu behandeln, zu denen sie vorher keinerlei persönlichen Kontakt hatten.
    Patricia Truckenmüller etwa hat damit ihre erste Erfahrung gemacht, als sie während ihres Studiums ein Auslandssemester in Kolumbien einlegte. Sie bekam Magenprobleme und entschied sich, per Smartphone über ein Online-Portal mit einem deutschen Arzt Kontakt aufzunehmen. Der gab ihr Ratschläge, die sie durchaus hilfreich fand, wie sie - ebenfalls über ihr Smartphone - berichtet.
    "Natürlich irgendwie viel Wasser trinken, also gar nicht groß medizinisch, einfach nur so Hausmittel hat er mir erst mal empfohlen. Und dann noch speziell eben Medikamente genannt, wo er glaubte, dass ich die dort in der Apotheke so bekomme. Aber mir eben ganz klar auch empfohlen, wenn es die nächsten zwei oder drei Tage - ich hatte das schon eine Weile - nicht besser wird, dass ich doch einen Arzt aufsuchen sollte, weil man kann ja nie irgendwie ausschließen, das ist dann doch noch mal vielleicht etwas Schlimmeres ist."
    Rezepte per Video in der Schweiz bereits möglich
    Solche allgemeinen Empfehlungen sind auch bislang schon grundsätzlich mit dem deutschen Berufsrecht für Ärzte vereinbar. Verboten war es ihnen allerdings, Rezepte oder Krankschreibungen für Patienten auszustellen, die sie noch nie gesehen haben. Anders ist das bei Ärzten, die etwa in der Schweiz für das Unternehmen Medgate arbeiten. Sie schreiben schon seit Jahren durchaus mal Rezepte aus der Ferne aus oder auch Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen.
    Das wiederum stellte seit einiger Zeit die Landesärztekammer Baden-Württemberg vor ein Problem. Denn für diese schweizerische Firma arbeiten auch deutsche Ärzte, die in Baden-Württemberg leben und an ihren Arbeitsplatz in die Schweiz pendeln. Theoretisch hätte die Kammer gegen diese Kollegen vorgehen müssen. Der Kammerpräsident Ulrich Clever findet allerdings, dass es Unsinn sei, Telemedizin nur mit Verboten regeln zu wollen.
    "Das wollten wir eigentlich nicht bei einer innovativen Methode, die sich - wie man in der ganzen Welt beobachten kann - sowieso nicht verhindern lässt, die auch für Baden-Württemberg von vielen Menschen in Anspruch genommen wird, indem sie einfach im Ausland bei den Portalen anrufen."
    Erste Pilotprojekte in Baden-Württemberg
    Deswegen hat die Ärztekammer Baden-Württemberg als erste Landesärztekammer vor einigen Monaten Pilotprojekte erlaubt, bei denen Ärzte Patienten behandeln dürfen, die sie vorher nie gesehen haben. Kooperationspartner ist die Münchner Firma Teleclinic, die in einem Werbespot einen Fall schildert, den sie typisch findet:
    "Nachdem ich gestern Abend starke Bauchschmerzen hatte und keine Möglichkeit hatte, zum Arzt zu gehen, war es für mich super, mich bei der Teleclinic erkundigen zu können, mitten in der Nacht, vor meinem Meeting heute Morgen."

    Über dieses Modellprojekt konnten sich zunächst nur Privatpatienten behandeln lassen, inzwischen arbeiten auch gesetzliche Krankenkassen mit Teleclinic zusammen. Die Geschäftsführerin Katharina Jünger erzählt, dass aber nicht nur Patienten anrufen, die sich den Fuß verstaucht oder abends Bauchschmerzen bekommen haben.
    "Platz 1 ist bei uns tatsächlich Allgemeinmedizin, also Husten, Schnupfen, Heiserkeit, Kopfschmerz und so weiter. Dann haben wir relativ viele Chroniker gehabt, das war ganz spannend. Wir hatten sogar einen Diabetiker, der seine Insulinpumpe über Teleclinic bestellen wollte. Wir hatten einige Bluthochdruck-Patienten, wo dann eben die Frage ist, ist mein Bluthochdruck richtig eingestellt, kann ich mich da über die Ferne noch mal beraten lassen und gegebenenfalls sogar mein Medikament über die Ferne bestellen. Und die dritte Gruppe waren, wie schon häufig erlebt, Familien."
    Eine Ärztin kommuniziert in ihrer Praxis über Webcam mit einem Patienten.
    Eine Ärztin kommuniziert in ihrer Praxis über Webcam mit einem Patienten (imago/Jochen Tack)
    Familien lassen sich gerne aus der Ferne beraten
    Denn wenn ein Kind abends oder am Wochenende Fieber bekommt oder sich übergeben muss, könnten Ärzte oft aus der Ferne genauso gut Hilfe leisten wie in einer Praxis, glaubt die Teleclinic-Chefin. Sie ist froh, dass die Ärzte, die mit ihrer Firma zusammenarbeiten, seit einigen Wochen auch Rezepte ausstellen dürfen - komplett digital und aus der Ferne.
    "Wenn ich jetzt in der App ein Rezept ausgestellt bekomme, dann finde ich das hier innerhalb meines Gesundheitskontos und kann dann das Rezept einlösen und dafür eben eine Apotheke in der Nähe auswählen, tippe ganz einfach drauf, sage Reservierung und dann wird das eben voll digital an diese Apotheke übertragen."
    Ein Patient lässt sich von zuhause aus per Online-Video-Schalte von einem Arzt untersuchen, den er vorher nie gesehen hat. Der Patient bekommt anschließend online ein Rezept für ein Medikament, das ihm seine Apotheke vielleicht sogar nach Hause bringt – das klingt bequem und verlockend. Wer als Arzt mitmacht, kann pro Behandlung 20 bis 30 Euro als Honorar erhalten. Je nachdem, wie viele Patienten der Arzt pro Stunde online schafft, kann dabei ein ganz ordentlicher Stundensatz herauskommen.
    Dennoch ist die Zahl der Mediziner und Patienten, die das Münchner Unternehmen Teleclinic bislang gewinnen konnte, noch überschaubar. Rund 200 Ärzte sind dabei und etwa 15.000 Patienten. Teleclinic gilt damit immer noch als "Startup", also als kleines, aber innovatives Unternehmen. Das gleiche gilt für die Firma Ottonova, die ebenfalls in München ihren Sitz hat. Als "erste digitale Krankenversicherung" bezeichnet sich der Privatversicherer selbst. Eine der Besonderheiten, mit denen der Vorstandschef Roman Rittweger um Kunden wirbt, ist das Angebot, sich komplett von zu Hause aus behandeln zu lassen.
    "Sie sind weiter im Bett, sagen, ich habe starkes Fieber, bisher noch nicht, gestern ging’s mir gut, sonst keine Probleme, bisschen Halsschmerzen, und dann wird, wenn das sozusagen ein klarer Fall ist, wird dieser Arzt sagen: Ja, dann bekommen Sie eine Krankschreibung für die Woche. Wenn es schlimmer wird, rufen Sie noch einmal an, oder dann gehen Sie zum Arzt. Und ansonsten kann er Ihnen auch noch ein Rezept geben für - in diesem Fall nicht verschreibungspflichtige - Medikamente, dann ist das ganz trivial. Und wir können auch organisieren, dass dieses Rezept dann online eingelöst wird bei einer Online-Apotheke, dann können Sie das direkt nach Hause kriegen."
    Nach Pizza und Urlaub kommt der Arztbesuch via Smartphone
    Zum Ende des vergangenen Jahres lag die Zahl der Kunden, die bei Ottonova eine private Vollversicherung abgeschlossen haben, noch unter Tausend, dieses Jahr soll diese Schwelle dauerhaft überschritten werden. Das sind trotzdem immer noch sehr überschaubare Zahlen - aber der Firmenchef Roman Rittweger ist sicher, dass sich langfristig deutlich mehr Kunden für die Idee begeistern lassen, möglichst viel über den Computer und oder das Smartphone abzuwickeln: Also nicht nur Pizza bestellen oder Zugticket buchen, sondern eben auch Krankenversicherung und Arztbesuch.
    "Es ist eine zusätzliche Bequemlichkeit, sag ich mal, Annehmlichkeit, wenn ich unterwegs bin, oder wenn ich erkältet zu Hause liege. Und es eigentlich keinen Grund gibt außer der Krankschreibung, dass ich zum Arzt muss."
    Bislang arbeitet Ottonova mit einer Schweizer Firma zusammen, weil das ärztliche Berufsrecht in der Schweiz schon seit etlichen Jahren so großzügig ist, wie es in Deutschland durch Entscheidungen des Deutschen Ärztetages erst werden könnte. Roman Rittweger hofft darauf, dass die Delegierten die ärztlichen Berufsregeln mindestens so liberal umgestalten, wie sie in der Schweiz schon sind. Allerdings werde die Behandlung aus der Ferne, etwa per Videoschalte, immer ihre Grenzen haben, betont er.
    "Natürlich kann das nicht für alle Fälle funktionieren, das ist auch klar, wenn man etwas Größeres hat, dann ist das vielleicht auch nur ein erster Anlaufpunkt, der einen dann zu einem richtigeren Anlaufpunkt, zu einem spezialisierten Arzt bringt. Und es ist auch kein Ersatz für den Hausarzt, den man bei sich um die Ecke hat, der einen über die Jahre führt."
    Ein Teil der Behandlung und Betreuung muss nicht in der Praxis stattfinden
    Die Computertechnik macht vieles möglich, wenn es darum geht, Patienten aus der Ferne zu behandeln. Florian Weiß, der als Chef des Ärztebewertungsportals Jameda auch für das Tochterunternehmen Patientus verantwortlich ist, glaubt dabei fest an eines: Bald schon werden weit mehr Ärzte und Patienten die Vorteile erkennen, die es haben kann, wenn zumindest ein Teil der Behandlung und Betreuung nicht in der Praxis stattfindet. Als Beispiel nennt er einen Patienten, der sich vom Hautarzt einen dunklen Fleck entfernen lässt.
    "Man wird operiert ambulant, man muss ich ein Muttermal rausmachen lassen. In der Regel sagt der Dermatologe dann, kommen Sie in einer Woche wieder, zu einem Kontrolltermin, ich will sehen wie die Wundheilung verläuft, ob die Fäden sich vielleicht entzündet haben. Dafür muss man nicht in die Praxis kommen. Ich kann mein Handy draufhalten, ich zeige dem Arzt das, die Kameras sind heute hochauflösend genug, um ein Bild vom Wundheilungsverlauf mir zu machen. Dann sagt der Arzt vielleicht, sieht prima aus, kommen Sie nächste Woche zum Fäden ziehen."
    Eine Lösung für ländliche Gebiete?
    Und Ärzte haben auch schon andere Ideen entwickelt, wie sie über den Computerbildschirm aus der Ferne herausbekommen können, was einem Patienten fehlt. Eine Videokamera kann zwar das Auge des Arztes nicht ganz ersetzen, aber zum Teil – wenn er dem Patienten die richtigen Anweisungen gibt.
    "Kann ich bestimmte Bewegungen machen? Kann ich dem Patienten zeigen, wo er drauf drücken muss im Bauch und wo es dann weh tun sollte? Kann er bestimmte körperliche Bewegungen noch durchführen? Vielleicht etwas, was der Orthopäde auch machen würde: Verschränken Sie die Arme hinter dem Kopf oder stehen Sie auf einem Bein. Das sind immer mehr Ideen, wie Diagnosen unter Anleitung des Arztes aus der Ferne erstellt werden können."
    Die Geschäftsführerin von Teleclinic, Katharina Jünger, hält Telemedizin auch für eine gute Lösung, wenn in ländlichen Regionen Ärzte ihre Praxen dichtmachen, weil sie keine Nachfolger finden.
    "Zum Beispiel für Leute auf dem Land ist das sehr praktisch, wo nicht alle Fachärzte vorhanden sind, für Leute, die nicht so mobil sind. Das können ältere Leute sein, das können behinderte Leute sein, das können aber auch Leute sein, die vielleicht kleine Kinder haben und deswegen nicht ganz so schnell loskommen."

    Telemedizin könne aber auch auf andere Weise dabei helfen, die Arbeitskraft von Ärzten mit den Gesundheitsproblemen von Patienten zusammenzubringen, ergänzt Jünger. Der Anteil der Frauen in der Ärzteschaft wird immer größer. Von den jungen Leuten, die ein Medizinstudium beginnen, sind inzwischen rund 60 Prozent Frauen. Damit steigt auch die Zahl der Ärztinnen, die Familie und Beruf auf einen Nenner bringen wollen.
    "Und die Frage ist, welches familienkompatible Arbeitsumfeld gibt es eigentlich als Ärztin? Krankenhaus ist schwierig, da habe ich extrem viele Nachtdienste, Wochenenddienste, wirklich schwierig zu vereinbaren mit einer Familie, auch Halbtagsplätze sind da rar gesät. Und eine Praxis ist natürlich auch in der Regel ein Vollzeitjob und ein enormes wirtschaftliches Risiko auch. Und insofern suchen immer mehr Ärzte ein klassisches Anstellungsverhältnis, wo sie eben geringe Risiken haben, und eine wesentlich bessere Work-Life-Balance als in einer eigenen Praxis oder im Krankenhaus. Und da ist natürlich Telemedizin ein ganz neues Arbeitsumfeld für Ärzte, was sehr starken Anklang findet."
    Die Vorbehalte sind groß
    Allerdings weiß die Chefin des Telemedizin-Startups Teleclinic auch, dass es bei vielen Ärzten - gerade aus der älteren Generation - Vorbehalte dagegen gibt, Patienten teilweise oder sogar komplett über Computer und Smartphone zu behandeln. Der Ärzteverband Hartmannbund hat Ende März eine Umfrage veröffentlicht, wonach 62 Prozent der befragten Mediziner nichts davon halten, die Regeln für die Fernbehandlung weiter zu lockern. Doch Katharina Jünger glaubt, bei vielen Medizinern gebe es noch Missverständnisse darüber, was Telemedizin ist:
    "Für viele Ärzte bedeutet Telemedizin noch: Ich werde ersetzt und der Patient kommt nicht mehr zu mir in die Praxis, sondern Medizin wird jetzt telemedizinisch, das heißt, irgendwie durch den Computer gemacht."
    Medizin, die durch den Computer gemacht wird, das ist zwar nicht der Kerngedanke, der hinter den Änderungen bei den Regeln zur Telemedizin steht, über die der Deutsche Ärztetag jetzt entscheidet. Das Ärzteparlament redet vor allem über die Frage, ob Mediziner Patienten aus der Ferne behandeln können sollen, die sie ansonsten niemals sehen.
    Doch auch die Unterstützung durch Computer-Algorithmen, wenn Ärzte Diagnosen erstellen, ist ein wichtiger Teil der Zukunfts-Szenarien, wenn es um die Behandlung aus der Ferne geht. Dabei werden digital erfasste Daten wie etwa Blutdruck, Blutzucker oder andere Messwerte vom Computer verarbeitet. Es gibt bereits Projekte, in denen ein Computer-Algorithmus aus solchen Daten einen Vorschlag für eine Diagnose erarbeitet. Der Präsident der Bayerischen Landesärztekammer, Gerald Quitterer, gehört zu den Medizinern, die solche Entwicklungen zurückhaltend bewerten:
    "Weil auch der Arzt in eine gewisse Verantwortung kommt, wenn er den Patienten über die Ferne behandelt, und sich nur auf Schilderungen oder Algorithmen verlassen muss, der er dann an den Patienten abarbeitet."
    "Wir geben damit den persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt auf"
    Wenn der Deutsche Ärztetag darüber berät, ob Modellprojekte aus Baden-Württemberg, bei denen Ärzte Patienten komplett online behandeln können, auf ganz Deutschland übertragen werden sollen, dann wird Quitterer zu denen gehören, die sich kritisch zu Wort melden. Die Idee einer kompletten Fernbehandlung - von der Untersuchung bis zu Krankschreibung und Rezept - passt seiner Ansicht nach nicht zum Bild des Arztberufs, wie er es in rund 30 Jahren als Hausarzt im niederbayerischen Eggenfelden entwickelt hat.
    "Ich stehe dem Ganzen dann ein bisschen skeptisch gegenüber, wenn ich mir überlege, wir geben damit mit den persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt auf. Und ich habe da eben Bedenken, dass wir einen Teil der Kommunikation mit den Patienten, die ich im direkten Kontakt darstellen kann, verlieren."

    Allerdings glaubt der bayerische Landesärztepräsident nicht, dass sich die Entwicklung in Richtung mehr Telemedizin aufhalten lässt. Deswegen wünscht er sich vor allem eines: Die Lockerung der Regeln dürfe nicht dazu führen, dass es am Ende gar keine Regeln mehr gibt. Firmen wie Teleclinic oder Patientus, die einen Online-Kontakt zwischen Ärzten und Patienten herstellen, müssten seiner Ansicht nach garantieren, dass Patienten wirklich von Medizinern behandelt werden, die eine Ausbildung nach den deutschen Standards haben.
    "Wenn solche Modelle kommen, muss gewährleistet sein, dass tatsächlich auch ein approbierter Arzt am anderen Ende der Leitung sitzt und damit die Patientensicherheit wieder gegeben ist."
    Das ist auch das, was sein baden-württembergischer Kollege Ulrich Clever durchsetzen will:
    "Das wollen wir sichern und nicht die Leute eben anderswo anrufen lassen müssen im Ausland, ohne zu wissen, wer dahinter sitzt. Hat der Facharztstatus? Sind es am Ende Heilpraktiker? Oder Leute, wo wir das nicht wollen."
    "Hausarzt" steht vor einem Laptop im Medizinisch-Theoretischen Zentrum (MTZ) in Dresden.
    Vorbild für die Zukunft`? Der Hausarzt ohne persönlichen Kontakt (picture alliance / dpa / Jens Kalaene)
    Was geschieht mit den Daten?
    Wenn der Ärztetag die Regeln lockert, muss aber auch ein anderes Problem gelöst werden: Je öfter Behandlungen mit Hilfe von Online-Anwendungen abgewickelt werden, desto mehr Daten werden nicht mehr in den einzelnen Arztpraxen in Karteikästen oder auch auf Computer-Festplatten abgelegt – sondern sie wandern durch Datenkanäle und Datenspeicher, die irgendwo auf der Welt sein können. Das Risiko, dass Patientendaten in die falschen Hände geraten, wächst damit von Tag zu Tag. Florian Weiß, der bei dem Telemedizin-Spezialisten Patientus und dem Arztbewertungsportal Jameda die Geschäfte führt, wird nicht müde zu betonen, dass seine Firma sich einer Gefahr bewusst sei, dass Daten missbraucht werden können.
    "Also da besteht sicher immer eine Gefahr, und immer wenn es ein geschäftliches Interesse daran gibt, dann muss man sehr vorsichtig sein, dass dieses Interesse nicht dem langfristigen Interesse des Patienten widerspricht. Aber wir tun derzeit alles dafür, um genau das nicht möglich zu machen und dem Patienten die absolute Sicherheit zu geben, dass seine Daten bei uns nicht gespeichert werden und keinerlei Aufschluss über das möglich ist, was er auf unserer Plattform tut. Und das wird auch immer die Maxime für die Zukunft sein."
    IBM arbeitet bereits mit der Techniker Krankenkasse zusammen
    Und Weiß kennt auch Befürchtungen, dass bald schon internationale Großkonzerne die Spielregeln für die digitale Medizin in Deutschland festlegen werden. So hat der amerikanische Computerkonzern IBM mit der größten bundesweiten Krankenkasse, der Techniker Krankenkasse, eine Partnerschaft geschlossen, um eine digitale Patientenakte zu entwickeln. Der weltgrößte Versandhändler Amazon hat erste Pilotprojekte gestartet, bei denen er auch Medikamente liefert – und dabei die Bestelldaten der Patienten speichert.
    Insgesamt aber sei noch nicht viel davon zu spüren, dass Amazon, Google oder Apple den deutschen Gesundheitsmarkt im großen Stil aufrollen, sagt Florian Weiß. Das deutsche Gesundheitswesen sei mit all seinen Verbänden, Kassen und regionalen Besonderheiten so komplex, dass sich kleine deutsche Firmen hier besser zurechtfinden würden als amerikanische Großkonzerne, glaubt er – das gelte auch für die Digitalisierung.
    "Meine Erfahrung zeigt, dass in der Regel in einem Markt, in dem es darum geht, dem Konsumenten neueste Technologie zu liefern, auch ein Produkt, mit dem er gerne zu tun hat, das das dann meistens nicht die großen Konzerne sind, die in der Vergangenheit große Lösungen gebaut haben, sondern auch kleine Unternehmen, die intelligente Lösungen bauen."
    Aber er ist auch sicher: So wie es sich nicht aufhalten ließ, dass die Menschen heute um ein Vielfaches mehr im Versandhandel bestellen als noch vor 20 Jahren, so wird es sich nicht aufhalten lassen, dass die Medizin digitaler wird.
    "Der Patient ist es heute gewohnt, dass er alle Dinge des täglichen Bedarfs mit seinem Smartphone regeln kann, dass er viele Dinge online erledigen kann. Und so glauben wir, dass auch der Kontakt zum Arzt eigentlich ein Bereich ist, der stark von der Digitalisierung profitieren kann."
    "Das ist der Lauf der Dinge"
    Die Stimme derjenigen, die Bedenken vortragen, werde immer leiser im Vergleich zur Stimme derjenigen, die vor allem die Vorteile der Digitalisierung sehen. Diese Einschätzung teilt auch Katharina Jünger, die Geschäftsführerin des Onlinemedizin-Spezialisten Teleclinic.
    "Zu allererst ist es, glaube ich, so, dass es der natürliche Lauf der Dinge ist, dass ich nicht nur meine Socken, meine Schuhe, meinen Fernseher online kaufen kann, sondern eben auch ärztliche Leistungen online wahrnehmen kann. Darüber brauchen wir eigentlich gar nicht diskutieren, ob es das geben soll, sondern das wird es geben. Das ist der Lauf der Dinge."
    Dennoch setzt sie auch auf die Arbeit einer althergebrachten Institution: Die Bundesärztekammer, die in diesen Tagen den jährlichen Ärztetag in Erfurt abhält.
    "Also ich glaube, dass ich die Entwicklung gar nicht mehr aufhalten lässt. Trotzdem ist der deutsche Ärztetag extrem wichtig, weil wir glauben, dass es richtig ist, dass die deutsche Ärzteschaft diese Entwicklung mitgestaltet."