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Asbest-Prozess in Italien
Unverständnis für Freispruch des Eternit-Unternehmers Schmidheiny

Von Tilmann Kleinjung |
    Casale Monferrato liegt im Piemont – auf halbem Weg zwischen Turin und Mailand. Hier stand die älteste und größte Firma der italienischen Eternit AG, hier starben bisher fast 2.000 Menschen am Asbest. Und sie sterben bis heute, sagt Bürgermeisterin Concetta Palazzetti:
    "Wir haben ungefähr 50 neue Krankheitsfälle pro Jahr. Hier tötet Asbest also weiter. Auch wenn die Straftat von Schmidheiny verjährt ist, hier verjährt sie nicht. Mit Vorsatz und unaufhörlich."
    Die Stadt Casale Monferrato ist als Nebenklägerin in dem Prozess gegen den Schweizer Unternehmer Stephan Schmidheiny aufgetreten. Ihm wurde vorgeworfen, mit Vorsatz eine Umweltkatastrophe mitverursacht zu haben. In den ersten beiden Instanzen wurde er für schuldig befunden und zu einer langjährigen Gefängnisstrafe und Schadenersatz in Millionenhöhe verurteilt. Einer der Hauptzeugen der Anklage war Nicola Pondrano, ein ehemaliger Arbeiter im Eternit-Werk von Casale Monferrato. Vor Gericht berichtete er, wie verantwortungslos man vor Jahrzehnten mit dem Wunderbaustoff Eternit umgegangen war:
    "Als ich 24 Jahre alt war, hatte ich noch viele Haare und eine kleine Tochter. Und wenn ich heimkam, hat meine Tochter mich immer gefragt: Papa, darf ich diese weißen Kügelchen aus den Deinen Haaren holen?"
    Die giftigen weißen Asbestfasern waren überall: in den Haaren, in den Häusern und in den Lungen der Menschen. Asbest kann Lungenkrebs fördern und vor allem jene Krankheit, an der in Casale die Menschen reihenweise sterben: einen Tumor des Bauch- und Rippenfells. Er bleibt jahrzehntelang unbemerkt, ist nicht kurierbar und führt unvermeidbar zum Tod. Wie beim Ehemann von Assunta Prato. Er starb mit 49 Jahren.
    "Mein Mann hat nie bei Eternit gearbeitet, er war nie in der Fabrik. Er war ganz normaler Bürger und hat einfach den Asbeststaub eingeatmet, der von der Fabrik kam."
    Kein Anspruch auf Entschädigung mehr
    Mit dem überraschenden Freispruch für Stephan Schmidheiny haben nun Assunta Prato und all die anderen Angehörigen keinen Anspruch auf Entschädigung. Die Tat ist nach Ansicht der Richter verjährt. Dieses höchstrichterliche Urteil könnte Auswirkungen auf andere Prozesse haben, die in Italien gegen Schmidheiny vorbereitet werden. Staatsanwalt Raffaele Guariniello will den Schweizer Unternehmer nun in Turin vor Gericht bringen. Anklagepunkt: Totschlag in 256 Fällen.
    "Es ist sehr wichtig, nicht nur in unserem Land, sondern überall, schnellst möglich auf die Forderung nach Gerechtigkeit zu reagieren. Die Verjährung hat uns da nicht sehr geholfen. Aber das ist kein Problem des Staatsanwalts, sondern der Regierung."
    Und so steht nach dem Urteil vor allem das italienische Justizsystem am Pranger, Prozesse dauern zu lange, Verjährungsfristen werden beim jahrelangen Gang durch die Instanzen nicht ausgesetzt. Ein Justizskandal für Bürgermeisterin Concetta Palazzetti:
    "Wir wollen, dass das Parlament endlich die Justizreform angeht. In diesem Fall sind all seine Defizite ans Licht gekommen. Im Strafgesetz buch muss es Artikel zu diesen Straftaten geben. Sie dürfen nicht mehr verjähren."
    Stephan Schmidheiny äußerte sich nach dem Freispruch nicht persönlich. Eine Sprecherin teilte mit: Schmidheiny sei ein Pionier, der Jahre vor staatlichen Verboten sichere Methoden der Asbestverarbeitung umgesetzt habe. Personen, die von einer Asbesterkrankung betroffen seien, habe er eine Entschädigung angeboten und bereits über 50 Millionen Franken ausbezahlt.