Archiv

Asean-Gipfel in Laos
"Asien war noch nie wirklich in der Balance"

Der Asien-Experte Eberhard Sandschneider blickt mit Respekt und Sorge auf den Kontinent: Denn ähnlich beeindruckend wie die wirtschaftlichen Leistungen seien in Asien auch die politischen Risiken, sagte er im DLF. China agiere immer mehr als Großmacht - und verhalte sich aus Sicht kleinerer Staaten unverschämt.

Eberhard Sandschneider im Gespräch mit Dirk Müller |
    Eberhard Sandschneider, Direktor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP).
    Eberhard Sandschneider (picture alliance / dpa / Dirk Enters)
    Dirk Müller: Wir haben das eben kurz gehört: Der Gipfel der südostasiatischen Staaten, kurz Asean genannt, hatte bereits seinen Skandal, seinen "Hurensohn"-Skandal, ausgetragen zwischen Rodrigo Duterte und Barack Obama. Die beiden sprechen nicht mehr miteinander, direkt jedenfalls nicht.
    Nun geht es aber im Gastgeberland um die Sache, um die Politik, um die Wirtschaft, um Territorialansprüche im südchinesischen Meer zum Beispiel, weil auch China mit am Tisch sitzt. Aber eben auch Japan, Südkorea, Indien, Russland, Australien, Neuseeland und auch die Vereinigten Staaten, also ein Riesen-Gipfeltreffen, die wichtigsten Staaten des bevölkerungsreichsten Kontinents, plus Vertreter von weiteren Großmächten, von Regionalmächten und auch Supermächten.
    Das ist jetzt unser Thema mit Asien-Kenner Professor Eberhard Sandschneider von der Freien Universität in Berlin. Guten Morgen!
    Eberhard Sandschneider: Schönen guten Morgen.
    Müller: Herr Sandschneider, kommt Asien ein bisschen aus der Balance?
    "Die meisten regionalen, bilateralen Konfliktsituationen gibt es in Asien"
    Sandschneider: Wenn Sie so fragen muss man antworten, Asien war noch nie wirklich in der Balance. Wir waren in den letzten Jahren natürlich immer wieder sehr zurecht beeindruckt von einigen wirklichen Wirtschaftswunderländern - China allen voran, aber auch davor die kleinen Tiger und Japan. Aber wir dürfen nicht vergessen: Asien ist auch ein Kontinent, in dem es mit die meisten regionalen bilateralen Konfliktsituationen gibt, die für globale Sicherheit insbesondere immer wieder von großer Bedeutung sind.
    Müller: Es war nie in der Balance, haben Sie gesagt. Warum hatten wir denn über viele Jahre zumindest den Eindruck, das ist der große Kontinent, der nach vorne kommt, mit vielen Tiger-Staaten, das haben Sie gerade ja noch mal genannt, Thailand und so weiter, auch Vietnam hat sich wirtschaftlich viele Jahre lang ja nach vorne entwickelt, trotz sehr schwieriger Ausgangspositionen, fast nur gute Nachrichten. Haben wir die nur gewollt?
    Sandschneider: Na ja, selektive Wahrnehmung ist manchmal ein Problem, das die Betrachtung der internationalen Politik schon charakterisiert. Und es gibt ja auch nichts kleinzureden. Die wirtschaftliche Entwicklung einiger dieser Länder, wir haben jetzt einige genannt, ist wirklich beeindruckend. Daran gibt es nichts zu deuteln. Man darf nur nicht übersehen: Es gibt auch eine ganze Reihe von Konflikten.
    Nordkorea, China-Taiwan, Südchinesisches Meer, Indien-Pakistan
    Und wenn Sie den Kontinent durchgehen: Das Nordkorea-Problem, China-Taiwan ist ein schlafender Konflikt, das Südchinesische Meer, auch das Verhältnis Indien zu Pakistan, wenn Sie nach Südasien schauen. Konflikte gibt es in dieser Region genug. Um zu sagen: Wirtschaftliche Entwicklung, aber auch hohe sicherheitspolitische Risiken halten sich die Balance.
    Müller: Versuchen wir, böse Schafe zu finden, das ist in der Politik manchmal ganz einfach, um ein bisschen zu sortieren, ein bisschen zu ordnen, falls Sie da mitspielen. Ist China ein großes Problem für alle anderen?
    Sandschneider: Selbstverständlich, und zwar im positiven wie im negativen Sinne. China ist ein großes Problem zunächst einmal. Wenn Sie sich die Karte Ost- und Südostasiens anschauen, egal aus welcher Perspektive Sie schauen: Wenn Sie nach Norden oder nach Nordwesten schauen, dann haben Sie da ein riesiges Land mit einer riesigen Bevölkerung, mit einer riesigen Wirtschaftsleistung, von dem Sie zum Teil abhängig sind, mit dem Sie tolle Geschäfte machen, das allerdings auch in der Lage ist, seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit in politischen Druck umzusetzen.
    China benimmt sich aus der Sicht der kleineren Staaten unverschämt
    Und der jetzige Asean-Gipfel zeigt noch einmal, wie dieser Druck funktioniert. Asean ist ähnlich gespalten gegenüber China und der Frage, Verurteilung wegen des südchinesischen Meeres oder nicht, wie es Europa manchmal ist, wenn es an Fragen der Beurteilung Chinas geht. China setzt sein politisches Gewicht, sein wirtschaftliches Gewicht da schon sehr massiv ein.
    Müller: Vielleicht, um keine politikwissenschaftliche Vokabel zu benutzen, in dem Punkt. Kann man das so sagen, oder ich frage Sie das jetzt so: Ist China außen-, sicherheitspolitisch in der Region unverschämt?
    Sandschneider: Aus chinesischer Sicht sicherlich nicht. Aus der Sicht von den Philippinen und Vietnams sicherlich schon. Es kommt auf die Perspektive an wie immer in der internationalen Politik oder wenn Sie so weit gehen wollen generell im Leben: China benimmt sich aus der Sicht der kleineren Staaten unverschämt. Aus seiner eigenen Sicht tut China das, was Chinas angestammtes Recht ist. Auch das ist nicht spezifisch chinesisch im Übrigen. Die Vereinigten Staaten oder früher Großbritannien und Frankreich hatten durchaus ähnliche Verhaltensweisen.
    Japan ist nach wie vor eine beachtliche Wirtschaftsmacht
    Müller: Jetzt haben wir auch häufig über andere Inselstreitigkeiten gesprochen. Wir haben jetzt konkret, das ist auch auf dem Tableau beziehungsweise auf dem Tisch liegend beim Gipfel in Laos, ja die Auseinandersetzung mit Vietnam und mit den Philippinen. Wir haben das angedeutet. China und Japan auch immer noch ein ganz, ganz großes Problem. Das sind zwei große Mächte. Die eine Macht ist jetzt noch viel, viel, viel größer geworden. Spielt Japan kaum noch eine Rolle?
    Sandschneider: Das ist manchmal so aus unserer Wahrnehmung. Wir haben Japan so ein bisschen nach hinten gerückt, was de facto natürlich falsch ist. Japan ist nach wie vor eine beachtliche Wirtschaftsmacht und gerade in diesem Wechselverhältnis zwischen China und Japan kann man die Problematik solcher Situationen ganz gut abbilden.
    Einerseits stehen sich beide mit einer belasteten Vergangenheit gegenüber. Zum zweiten haben sie regionale Konflikte im Ostchinesischen Meer, wo es um die berühmten Senkaku-Inseln, wie Japan das nennt, oder die Diaoyu(tai)-Inseln, wie die Chinesen das nennen, geht. Gleichzeitig aber ist Japan einer der größten Investoren in China und die wirtschaftliche Zusammenarbeit floriert und funktioniert. Es ist also nie eindimensional in all diesen Konfliktsituationen, sondern wirtschaftliche Zusammenarbeit paart sich mit sicherheitspolitischen Konfrontationen und daraus wird ein Gemisch, das sich hoffentlich politisch am Ende friedlich lösen lässt.
    Müller: Ist das für Sie ein Automatismus, wenn China immer noch mächtiger wird? Es gab ja jetzt auch zum ersten Mal wirtschaftliche Probleme, Konjunktureinbrüche, über die wir eigentlich nur lachen können, aber wir nehmen sie ja trotzdem ernst, wenn die Chinesen plötzlich nur noch mit sieben Prozent Wachstum oder so was aufwarten.
    Sandschneider: Schrecklich, oder?
    Müller: Wenn China noch stärker wird, wollen sie auch mehr politische Macht, beziehungsweise sind sie auch bereit, tatsächlich, das was oft vorgeworfen wird, den Chinesen, der Führung in Peking, einen Expansionskurs zu fahren?
    "Keine Beispiele für militärische Eroberungsaggressionen von China"
    Sandschneider: Expansionskurs in unserem Sinne wird China nicht fahren, hat China auch eigentlich in der Vergangenheit nie getan. Es gibt keine Beispiele für militärische Eroberungsaggressionen von China. Selbst die Kriege, die China geführt hat gegen Indien und Vietnam, '62 und '79, waren sogenannte Erziehungsfeldzüge und China hat sich sehr schnell wieder auf seine ursprünglichen Positionen zurückgezogen.
    Dennoch: Ein wachsendes ökonomisches Gewicht bedeutet natürlich auch ein wachsendes politisches Gewicht, und wir werden damit rechnen müssen, dass China nicht nur regional in Südostasien, sondern auch global immer stärker mit großem Selbstbewusstsein und mit dem Ziel der Wahrung seiner eigenen Interessen auftritt. Insofern muss man aus westlicher Sicht vorsichtig sein, China einzuladen, wie das der amerikanische Politiker Robert Zoellick mal getan hat, ein Responsible Stakeholder zu werden. China ist das, aber definiert Verantwortlichkeit auf Chinesisch und nicht auf Westlich.
    Müller: Und das ist immer noch eine ganz große Diskrepanz?
    Sandschneider: Aber natürlich! Diese Diskrepanz wird immer stärker sichtbar in dem Maße, wie China Klartext spricht und in bilateralen Treffen, aber auch auf solchen internationalen Konferenzen Kritik an sich abperlen lässt und gleichzeitig versucht, seine machtpolitischen Möglichkeiten zu nutzen, um sich auch spalterisch zu betätigen. Auch die Asean sind nicht in der Lage, mit einer Stimme gegenüber China zu sprechen.
    "China wird zu einer solchen Großmacht"
    Müller: Das werfen andere den Amerikanern vor.
    Sandschneider: Ja, das ist Großmachtverhalten, und China wird zu einer solchen Großmacht, wenn es sie nicht schon ist. Und wir werden uns nicht wundern, dass das Verhalten Chinas im eigenen Interesse uns vielleicht genauso ärgert wie uns gelegentlich das Verhalten der Vereinigten Staaten geärgert hat.
    Müller: Herr Sandschneider, nehmen wir uns noch einmal Thailand vielleicht, auch aus aktuellem Anlass, aktueller Entwicklung zur Brust, jetzt hier im Interview. Das war einer der leuchtenden Tiger-Staaten mit einem enormen Wirtschaftspotenzial und Wirtschaftswachstum. Millionen von Touristen weltweit, die jedes Jahr da hingekommen sind, sich auch wohl gefühlt haben, die meisten jedenfalls. Und auf einmal bricht dieses Land mit einer jungen politischen Tradition, wird zur Militärdiktatur, zum autoritären Regime. Kann das auch anderen Ländern so gehen in Südostasien?
    Thailand: "Wo innenpolitische Stabilität fehlt, bleiben die Touristen weg"
    Sandschneider: Selbstverständlich. Die Unsicherheit in den politischen Strukturen dieser Länder ist zunächst einmal da. Wenn dann aus politischen Gründen, wie Sie es eben schon angedeutet haben, innenpolitische Stabilität fehlt, dann bleiben beispielsweise plötzlich auch die Touristen weg wie im Falle Thailands. Dann funktionieren auch wirtschaftliche Strukturen nicht mehr, dann bleiben Investoren weg und dann ist ein aufstrebendes Land ohne Weiteres wieder auch ein Stückchen weit zurückzudrängen. Dafür ist Südostasien nicht das einzige Beispiel. Denken Sie an Brasilien.
    Unter dem Strich heißt das, es gibt keine Garantie, dass diese jungen Tiger-Staaten, wie Sie sie einmal genannt habe, zwangsläufig gradlinig über die nächsten Jahrzehnte aufsteigen. Die politischen Risiken - und das ist, glaube ich, die Kernbotschaft - in Asien sind ähnlich groß wie die wirtschaftlichen Leistungen beeindruckend sind.
    Müller: Können Sie uns denn noch ein paar Wackelkandidaten aus dem Hut zaubern?
    Sandschneider: In Südostasien meinen Sie?
    Müller: Ja, in Südostasien.
    Sandschneider: Im Prinzip würde ich fast alle Staaten als Wackelkandidaten bezeichnen.
    Philippinen: "Erschüttert von Problemen mit Terrorismus"
    Müller: Also auch Vietnam?
    Sandschneider: Auch Vietnam. Das ist ein kommunistisches System. Das muss erst beweisen, dass es in der Lage ist, das große Erfolgsmodell des nördlichen Nachbarn China nachzuahmen. Denken Sie an Indonesien mit der größten islamischen Bevölkerung weltweit. Auch da schlummern Risiken. Die Philippinen sind erschüttert von innenpolitischen Problemen mit Terrorismus, aber auch gesegnet mit einem Präsidenten, der nicht immer seine diplomatische Sprache im Griff hat, wie wir jetzt gesehen haben.
    All solche Dinge und die sozialen Veränderungen, die in diesen Ländern natürlich auch vor sich gehen, sind Sprengstoff für politische Stabilität, und wo politische Stabilität fehlt, ist es schwierig, dauerhaft ökonomisches Wachstum zu generieren.
    "Taiwan ist eine außerordentlich lebenswerte Insel"
    Müller: Wenn ich jetzt wählen könnte, beziehungsweise müsste, nach Asien ziehen müsste, und mein Kriterium wäre, ich gehe ins sicherste, ins "beste" Land, da wo ich mir keine großen Sorgen machen muss, dann gehe ich nach Taiwan nach wie vor?
    Sandschneider: Ach ja. Das wäre ohne Weiteres eine Wahl. Ich glaube, der Konflikt zwischen China und Taiwan - ich habe ihn eben schon mal als schlummernd bezeichnet - wird vermutlich nicht ausbrechen in dem Sinne, wie wir es immer wieder einmal befürchtet haben in den letzten Jahren.
    Auch da zeigt sich, dass die Enge der Zusammenarbeit verhindert, dass die Konfrontation im politisch-militärischen Bereich überhandnimmt. Taiwan ist eine außerordentlich lebenswerte Insel. Ich habe selbst da gelebt. Was Lebensstandard, was Sicherheit angeht, mittlerweile sogar, was Umwelt angeht, würde man Taiwan sicherlich manch einem anderen Land in Südostasien vorziehen, ja.
    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk Asien-Experte Professor Eberhard Sandschneider von der FU in Berlin. Danke für das Gespräch, Ihnen noch einen schönen Tag.
    Sandschneider: Ihnen auch. Danke schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.