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Aserbaidschan
Die schwierige Lage der Zivilgesellschaft

In vier Wochen stehen in Aserbaidschan Präsidentschaftswahlen an. Am Wahlsieg von Präsident Ilham Aliyev zweifelt kaum jemand - gerade offizielle Stellen präsentieren gerne ein glänzendes Bild des Landes. Doch wer daran zweifelt, bekommt es nicht selten mit der geballten Staatsmacht zu tun.

Von Daniel Heinrich |
    Der Präsident von Aserbaidschan, Ilham Aliyev, besucht die EU-Kommission und nimmt an einer Pressekonferenz teil. Es ging bei dem Treffen um die Partnerschaft von EU und Aserbaidschan und um mögliche Gaslieferungen aus dem Land am Kaspischen Meer.
    Ilham Aliyev, Präsident von Aserbaidschan (dpa / picture alliance / Olivier Hoslet)
    Ein abgedunkeltes Hinterhofbüro in der Innenstadt von Baku, der Hauptstadt Aserbaidschans. Rena Safaralieva sieht müde aus, wirkt frustriert. Die 58-Jährige ist die Direktorin von Transparency International in Aserbaidschan, einer Organisation, die sich insbesondere den Kampf gegen die grassierende Korruption auf die Fahnen geschrieben hat. Eigentlich gibt es viel zu tun. Seit mehr als acht Monaten sind Safaralieva und ihre Kollegen allerdings zum Nichtstun verdammt.
    "Wir haben von USAID weitere Zuschüsse bewilligt bekommen. Wir haben beim Justizministerium die Freigabe dieser Gelder beantragt. Bis jetzt haben wir weder eine positive, noch eine negative Antwort erhalten – wir sind also in einer Art Schwebezustand. Diese Situation betrifft nicht nur Transparency International. Es ist dasselbe für alle anderen Nichtregierungsorganisationen in diesem Land. Natürlich werden der Arbeit von zivilgesellschaftlichen Organisationen dadurch Steine in den Weg gelegt."
    Keine Zuschüsse bedeutet für Safaralieva auch: Keine Möglichkeit ihre Mitarbeiter zu bezahlen. Von ursprünglich 30 sind nur noch fünf übrig – alle arbeiten auf freiwilliger Basis.
    Zivilgesellschaft ausgeschlossen vom Modernisierungsprozess
    Nur knapp drei Kilometer entfernt vom Hinterhofbüro von Transparency International empfängt Kestutis Jankauskas in einem modernen Hochhaus im Geschäftsviertel von Baku. Jankauskas ist der EU-Botschafter in Aserbaidschan. Diplomatisch geschult gibt auch er zu: Es steht schlecht um die Zivilgesellschaft im Land.
    "Es wäre wünschenswert, wenn wir eine viel entwickeltere, vibrierendere, dynamischere Zivilgesellschaft in diesem Land hätten. Wenn es darum geht, eine moderne Gesellschaft zu entwickeln, bedeutet das für mich nicht nur, dass man in einzelnen Wirtschaftsbereichen hochentwickelte Technologien verwendet. Es bedeutet auch, dass man die Zivilgesellschaft am Modernisierungsprozess teilhaben lässt."
    Kestutis Jankauskas, EU-Botschafter in Aserbaidschan
    Kestutis Jankauskas, EU-Botschafter in Aserbaidschan (Deutschlandradio / Daniel Heinrich)
    Jankauskas setzt in diesem Zusammenhang insbesondere auf den positiven Einfluss ausländischer Institutionen, um die Modernisierung des Landes voranzutreiben.
    Keine deutsche politische Stiftung im Land vertreten
    Gerade aber das erscheint derzeit wie ein Ding der Unmöglichkeit: Die aserbaidschanische Gesetzeslage ähnelt der in Russland, China oder Ägypten und ist geprägt vom tiefen Misstrauen gegenüber ausländischen Einflüssen. Keine einzige der deutschen politischen Stiftungen betreibt noch ein Büro in Aserbaidschan.
    Was sind die Gründe für so eine rigide Haltung des Staates? Farhad Mammadov, Direktor des halbstaatlichen und einflussreichen Forschungsinstituts SAM, erklärt die Haltung der Behörden:
    "Wir sehen am Beispiel von Syrien, der Ukraine und anderen, dass schwache, kleine Staaten zum Spielball von Großmächten werden. Wenn sich solche Staaten ausländischen Einflüssen zu sehr öffnen, wird die gesamte territoriale Integrität eines Staates geschwächt. Dies wirkt sich dann wiederum zum Beispiel negativ auf die Wirtschaftsleistung eines Landes aus. Im schlimmsten Fall kann dies vielleicht sogar zu einem Kollaps des gesamten Staatsapparates führen".
    Argumentiert wird mit der "Bedrohungslage von außen"
    Die Argumentation Mammadovs ist keine Ausnahme. Gerade offizielle Stellen betonen immer wieder den "Sicherheitsaspekt", skizzieren eine "Bedrohungslage von außen". Auch der militärische Konflikt mit dem benachbarten Armenien um die Region Berg Karabach fließt in die Argumentation ein.
    Hikmat Hajiyev, Sprecher des aserbaidschanischen Außenministeriums
    Hikmat Hajiyev, Sprecher des aserbaidschanischen Außenministeriums (Deutschlandradio / Daniel Heinrich)
    Hikmat Hajiyev, Sprecher des aserbaidschanischen Außenministeriums:
    "Lassen Sie uns versuchen, Aserbaidschan in einer vergleichenden Perspektive zu betrachten. Bei all den Erwägungen zu Aserbaidschan ist es wichtig, die Bedrohungslage miteinzubeziehen, der die gesamte Gesellschaft dieses Landes ausgesetzt ist. Aserbaidschan droht in unmittelbarer Nachbarschaft beispielsweise ein Krieg mit seinem Nachbarn Armenien. Trotz dieser bedrohlichen Sicherheitslage ist es Aserbaidschan gelungen, sich zu einer Erfolgsgeschichte zu wandeln."
    Kritiker zu langen Haftstrafen verurteilt
    Bedrohung von außen. Erfolgsgeschichte im Inneren. Wer an diesem offiziellen Erzählstrang öffentlich zweifelt, der bekommt es nicht selten mit der geballten Staatsmacht zu tun. Das offenbart unter anderem die jährliche Bestandsaufnahme von Human Rights Watch: Laut der Nichtregierungsorganisation sind alleine im Jahr 2017 mindestens 25 Journalisten, Jugend- und Politaktivisten zu langen Haftstrafen verurteilt worden. Im Gefängnis drohen Misshandlungen und Folter.
    Von solch drastischen Maßnahmen sind Rena Safaralieva und ihre Kollegen von Transparency International bislang verschont geblieben. Dass die Behörden ihr überhaupt Steine in den Weg legen, das kann sie nicht nachvollziehen. Schließlich bringe die Bekämpfung von Korruption doch die gesamte Gesellschaft voran:
    "Menschen in diesem Land, die mit Korruption in Berührung kommen, wissen überhaupt nicht, an wen sie sich wenden sollen. Deswegen wenden sie sich an die zivilgesellschaftlichen Organisationen, um Unterstützung in rechtlichen Fragen zu bekommen. Viele Menschen sind regelrechte Analphabeten, wenn es um ihre rechtlichen Ansprüche geht. Sie sind schlicht und ergreifend nicht in der Lage, Gesetzestexte zu lesen und den Machtmissbrauch durch offizielle Stellen zu verstehen."
    Transparency International listet Aserbaidschan im weltweiten Korruptionswahrnehmungsindex auf Rang 122 von 180 Ländern. Wie wichtig die Arbeit der Organisation auch für breite Teile der Gesellschaft ist, zeigt ein Blick auf die Zahlen: Seit Öffnung des Büros im Jahr 2005 hat es – laut Direktorin Safaralieva - über 40.000 Anfragen gegeben. Vor allem von Bürgern, die sich eine Rechtsberatung andernfalls nicht hätten leisten können.