Als die vier Minuten der Nachspielzeit abgelaufen sind, kann den Pfiff des Schiedsrichters niemand im Stadion mehr hören. Dass Schluss ist, erkennt die Menge nur noch daran, dass der Unparteiische seine Hände gen Mittelpunkt deutet. Und dann wird es noch etwas lauter.
Fast das gesamte Stadion bejubelt die Sieger: Die Urawa Red Diamonds haben zuhause das Finalrückspiel der Asian Champions League mit 1:0 gewonnen. Sie sind jetzt offiziell die beste Vereinsmannschaft Asiens.
Auch wenn dies in Europa kaum jemanden interessieren mag: Mitgefiebert wurde bei diesem Spiel längst nicht nur im kochenden Saitama Stadium nördlich von Tokio. Ein ganzer Kontinent hat zugesehen, und zwar der größte der Welt.
Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung im Einzugsgebiet
Die Asiatische Fußballkonföderation reicht mit ihren 47 nationalen Mitgliedsverbänden von Libanon im Westen bis nach Australien im Südosten – in ihren Ländern lebt deutlich mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung. Und vielerorts ist der wichtigste Sport Fußball.
So waren die Gäste aus Al Hilal nicht alleine nach Japan gekommen. Aus Saudi-Arabien waren rund 1.000 Fans angereist, sagt Mohamed, der selbst eine Reise um die halbe Welt angetreten ist:
"Ich bin hergereist, um meinen Klub Al Hilal anzufeuern. Ich war schon 2019 hier, da waren wir hier auch im Finale, gegen denselben Gegner, und haben gewonnen. 2017 gab es dasselbe Duell auch schon, da haben wir aber verloren. Und 2021 haben wir das Turnier auch gewonnen, aber gegen einen koreanischen Finalgegner, die Pohang Steelers. Zuhause in Saudi-Arabien haben sie vorm Spiel gebetet, dass Al Hilal diesmal wieder gewinnt."
Weite Reisen nur im Finale
Die Asian Champions League ist nicht nur deshalb das größte Kontinentalturnier der Welt, weil hier indirekt die meisten Menschen der Welt vertreten werden. Es werden auch die mit Abstand längsten Distanzen zurückgelegt, um zu einem Auswärtsspiel anzureisen. Musaed Al Mahmoud vom saudi-arabischen Fernsehsender SSC erklärt:
"Die Reise von Riyad nach Tokio hat ungefähr elf Stunden gedauert. Die Mannschaft ist schon vor fünf Tagen angereist, damit die Spieler ihren Jetlag rechtzeitig ausgeschlafen haben. Denn das Turnier hat sehr große Bedeutung in Saudi-Arabien. Ich bin sicher, zuhause hat sich fast jeder, der kann, die Zeit genommen, um dieses Spiel zu sehen."
Etwas Ähnliches sagt Al Mahmouds japanischer Kollege Takayuki Watanabe von der Zeitung Tokyo Sports: "Auf Klubebene muss in diese langen Reisen viel Know-How investiert werden, damit die Reisestrapazen nicht so groß sind. Vor einer Woche mussten die Spieler der Urawa Reds ja für das Hinspiel nach Saudi-Arabien reisen. Und dann hier in Japan das Rückspiel. Immerhin gibt es diese sehr weiten Reisen nur im Finale."
Turnier über sieben Zeitzonen
In Europa sind solche Entfernungen kaum vorstellbar. Wenn zum Beispiel eine Mannschaft aus Lissabon auf eine aus Istanbul trifft, dauert eine Flugreise rund viereinhalb Stunden; ein Jetlagproblem besteht bei den zwei Stunden Zeitunterschied kaum. Aber der asiatische Verband deckt ganze sieben Zeitzonen ab.
Und das hat Einfluss auf fast alles: Um allzu viel Reiserei zu verhindern, wird das Turnier in zwei Hälften unterteilt: Im Westen spielen die Klubs der arabischen Länder und Zentralasiens, im Osten jene aus Ost- und Südostasien. Erst im Finale treffen die beiden Hälften aufeinander.
Wohl um einen Auswärtsnachteil wegen einer zu langen Anreise zu vermeiden, wird das Finale mit Hin- und Rückspiel ausgetragen. Und weil die Anreise dann sehr lang ist, kann man sich Spielverschiebungen offenbar auch nicht erlauben.
Finale mit heftigem Wind
Am Samstagabend ist der Wind in der Region Tokio so stark, dass die Begegnung zwischen den Urawa Reds und Al Hilal teilweise dem Zufall überlassen ist. Befreiungsschläge aus der Abwehr werden in der Luft zurückgeblasen. In der 48. Minute macht der Wind praktisch auch das entscheidende Tor:
Nach einer langen Flanke köpft Marius Höibraten einen eigentlich kaum gefährlichen Ball in die Mitte, dessen Flugbahn sich aber plötzlich unberechenbar ändert und ins Tor segelt.
Der Stimmung tut der Wind aber keinen Abbruch. Mit gut 53.000 Zuschauern ist das Stadion fast ausverkauft, nur in der Gästekurve sind einige Plätze freigeblieben. Und die Fans haben selbst in der Pause keine Pause gemacht: Die großen Fahnen werden in jedem Moment geschwenkt.
So sagt Hiroki Sakai, Kapitän der siegreichen Urawa Reds, nach dem Spiel: "Das war heute ein sehr besonderes Erlebnis. Die Atmosphäre im Stadion war unglaublich. Vor einigen Tagen hatten uns die Fans ja auch schon zum Flug nach Riyad begleitet, wo wir immerhin 1:1 gespielt haben. Ein asiatisches Turnier zu gewinnen, war immer mein Ziel und das jetzt geschafft zu haben, ist was ganz Großes für mich. Es ist ein Riesenerfolg für unseren Klub. Jetzt müssen wir natürlich weitermachen. Wir müssen an der bestandenen Aufgabe von heute wachsen."
Messi gegen Ronaldo in Asien?
In Asien sieht man die kontinentale Champions League auch als Chance, den heimischen Fußball in anderen Ländern zu beliebter zu machen. So sagt der Urawa Reds-Fan Keiti: "Dieses Finale ist wirklich nicht nur für die Reds wichtig, sondern für ganz Japan, glaube ich. Ein Titel ist nämlich auch eine Gelegenheit, dass die ganze J-League international bekannter wird."
Mohammed, der aus Saudi-Arabien angereiste Fan von Al Hilal, will sich um die internationale Beliebtheit seines Klubs nicht sorgen. Der werde in Kürze sowieso für große Schlagzeilen sorgen: "Bald werden unseren Verein alle kennen. Denn Messi kommt anscheinend zu uns. Nachdem Cristiano Ronaldo zu unserem Stadtrivalen in Riad, Al Nassr, gegangen ist, wurde der Klub ja auch weltberühmt. Die Beziehung zwischen uns ist wie Real Madrid und Barcelona."
Dann würde das Duell „Messi gegen Ronaldo“, das ein Jahrzehnt lang Europa unterhalten hat, in Asien stattfinden. Auch wenn die beiden gealterten Weltstars dann nicht im Champions League-Finale aufeinandertreffen könnten – denn dafür müsste Messi weiter in den Osten Asiens wechseln.