Archiv

Asienexperte zu Myanmar
"Dieser Putsch ist noch nicht erfolgreich"

Der Schritt des Militärs in Myanmar, die Partei von Oppositionspolitikerin Aung San Suu Kyi aufzulösen, sei zu erwarten gewesen, sagte Frederic Spohr von der Friedrich-Naumann-Stiftung im Dlf. Aber noch hätten die Streitkräfte nicht die komplette Kontrolle über wichtige Teile des Landes.

Frederic Spohr im Gespräch mit Rainer Brandes |
Protestler in London halten Plakate der Oppositionsikone Aung San Suu Kyi in die Höhe
In vielen Ländern protestieren Menschen gegen den Militärputsch der myanmarischen Streitkräfte (picture alliance / ZUMAPRESS.com | May James)
Aung San Suu Kyi, die Ikone der Opposition in Myanmar, ist seit Monaten in Haft. Das Militär hat geputscht, mehr als 800 Demonstrierende wurden bislang getötet, fast 6.000 festgenommen. Nun will die Militärjunta die Partei von Aung San Suu Kyi, die NLD, auflösen lassen. Für Frederic Spohr, den Büroleiter der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung in Bangkok, ist dieser Schritt wenig überraschend. Eine freie Opposition gebe es seit dem 1. Februar in Myanmar nicht mehr und der Druck auf NLD-Mitglieder sei permanent gestiegen, sagte er im Dlf.
8. August 1988: In Myanmar wird gegen die militärischen Machthaber protestiert
Myanmar - Die lange Geschichte von Putsch und Protest
In Myanmar gehen die Kämpfe zwischen Aufständischen und Militär unvermindert weiter. Seit der Unabhängigkeit der ehemaligen britischen Kolonie hat es immer wieder Aufstände gegen die Militärmachthaber gegeben.
Das Militär habe seine Macht aber noch nicht endgültig gefestigt, betonte Spohr. "Die Generäle haben noch nicht wirklich Kontrolle über den Verwaltungsapparat, sie haben nicht die Kontrolle über das Bildungssystem, das Bankensystem ist extrem fragil. Dieser Putsch ist noch nicht erfolgreich."
Um noch eine Chance zu haben, müsse die NLD stärker auf die ethnischen Minderheiten des Landes zugehen. Dies habe sie zwar schon teilweise getan, "aber es ist auch klar, dass die ethnischen Minderheiten oder einige davon sich vielleicht immer noch ein bisschen zu dominiert fühlen von der NLD", so Spohr.

Das Interview in voller Länge:

Rainer Brandes: Ist das jetzt das Ende der freien Opposition in Myanmar?
Frederic Spohr: Na ja, also die freie Opposition, die gibt es eigentlich seit dem 1. Februar nicht mehr, als der Putsch begonnen hat. Seitdem ist eigentlich permanent der Druck auf NLD-Mitglieder erhöht worden, es gab Entführungen von NLD-Mitgliedern, teilweise wurden sie dann anschließend tot vor die Haustüre ihrer Familie gelegt. Das heißt, der Druck auf die NLD ist immer höher geworden, und ja, das ist jetzt sozusagen der krönende Abschluss davon, was in den letzten Wochen eigentlich auch schon fast zu erwarten war, dass dieser Schritt kommt.

"Es gibt keine Anzeichen für einen extremen Wahlbetrug"

Brandes: Unser Deutschlandfunk-Korrespondenten sprach von einer Demokratieinszenierung, an der das Militär festhalten wolle. Was bedeutet das? Was bedeutet das, dass das Militär sich diesen Anstrich geben möchte?
Spohr: Die Argumentation der Junta ist ja, dass die NLD Wahlbetrug begangen hat, dass die Wahlkommission nicht unabhängig gewesen wäre und dass dieser Wahlsieg im Herbst, den die NLD gefeiert hat, letztendlich auf Betrug gefußt hat. Dafür gibt es nicht wirklich Anhaltspunkte. Die meisten oder eigentlich alle unabhängigen Beobachter sagen, vielleicht ist es bestimmt nicht alles hundertprozentig lupenrein abgelaufen, aber es gibt keine Anzeichen für einen extremen Wahlbetrug. Das Ergebnis, das da im Herbst herauskam mit einem großen Sieg für die NLD, das ist im Großen und Ganzen repräsentativ.
Das heißt, das ist ein Vorwand, dieser Wahlbetrug, um eben die NLD jetzt ausschalten zu können, denn man hat gesehen, dass man sie in Wahlen – und immer, wenn die NLD bei Wahlen angetreten ist, hat sie eben gegen die militärnahe Partei gewonnen –, man hat gesehen, dass man in Wahlen nicht gegen sie gewinnen kann. Und jetzt werden eben diese anderen Schritte aufgefahren.
Diverse Füße von Demonstranten treten auf ein Plakat mit dem Konterfei General Min Aung Hlaing in der Nähe des Rathauses von Rangoon im Februar 2021.
Staatsstreich - Myanmar - was der Putsch des Militärs bedeutet
In dem südostasiatischen Land Myanmar hat wieder das Militär die Macht übernommen. Dabei gab es erst seit zehn Jahren einen zivilen Präsidenten als Staatsoberhaupt. Davor herrschte schon rund 50 Jahre lang eine Militärjunta.
Brandes: Wir haben in letzter Zeit ja nicht mehr so viel aus Myanmar gehört – heißt das, dass das Militär seine Macht nun endgültig gefestigt hat und die Proteste damit eigentlich gescheitert sind?
Spohr: Man kann nicht sagen, dass der Putsch bereits erfolgreich war. Das Land ist momentan in einer extrem instabilen Lage. Die Generäle haben noch nicht wirklich Kontrolle über den Verwaltungsapparat, sie haben nicht die Kontrolle über das Bildungssystem, das Bankensystem ist extrem fragil. Dieser Putsch ist noch nicht erfolgreich.
Was in den letzten Wochen passiert ist, dass friedliche Proteste blutig niedergeschlagen worden sind und dass sich jetzt die Opposition auch nicht mehr auf friedliche Proteste allein zurückzieht, sondern mittlerweile auch militanter wird. Es gibt mittlerweile kleinere Bombenanschläge in Yangon und in anderen Städten, natürlich auch in den Gebieten der ethnischen Minderheiten. Da gab’s schon immer Spannungen, die sind jetzt auch noch mal in mehreren Gebieten stärker geworden.
Das heißt, das Land ist in einer extrem instabilen Lage. Ich würde noch nicht sagen, dass das Militär den Putsch hundertprozentig erfolgreich ausgeführt hat, aber es gibt auch keine Anzeichen daran, dass der Putsch vollkommen scheitern könnte.

"Es gibt Demonstranten, die sich radikalisiert haben"

Brandes: Wenn sich jetzt auch die Opposition radikalisiert, befürchten Sie dann, dass das Land vor einem echten Bürgerkrieg stehen könnte?
Spohr: Seit Jahrzehnten gibt es Bürgerkrieg in einigen Regionen, und es steht absolut zu befürchten, dass in mehreren Gegenden diese Konflikte weiter eskalieren. Und was man in den letzten Wochen gesehen hat, ist, dass dieser Bürgerkrieg auf Guerilla-Art-und-Weise auch in das burmesische Kernland teilweise vordringt.
Es gibt Demonstranten, die sich radikalisiert haben beziehungsweise nun sich mit Waffen zur Wehr setzen, teilweise improvisierte Waffen, und es gibt auch Anzeichen dafür, dass es Verbindungen gibt zwischen diesen Demonstranten und den ethnischen Armeen. Es wird auch von der Schattenregierung, die es ja gibt, die sich sozusagen selbst ausgerufen hat, mehr oder weniger versucht, dass man den Schulterschluss sucht zu diesen ethnischen bewaffneten Armeen und dass man dann wirklich mit Waffengewalt auch sich zur Wehr sitzt.
Brandes: Aung San Suu Kyi, die ist für das Militär ja schon lange ein rotes Tuch. Sollte die Opposition dann vielleicht einen Neuanfang ohne sie wagen, um überhaupt eine Chance zu haben?
Spohr: Die Opposition muss sich auf jeden Fall sehr stark den ethnischen Minderheiten öffnen. Es hat sich in den vergangenen Wochen auch schon abgezeichnet, diese Schattenregierung wird von der NLD kontrolliert, und es gibt auch mittlerweile bessere Verbindungen zu den Führungen der ethnischen Minderheiten.
Win Htet Oo beim Training im Melbourne Aquatic Centre.
Aus Protest gegen die Gewalt in seiner Heimat - Schwimmer aus Myanmar verzichtet auf Olympia-Start
Seit sich in Myanmar das Militär an die Macht putschte, ist der Alltag von Protesten und Gewalt geprägt. Zu den vielen Menschen, die sich gegen das Militärregime stellen, gehören auch Sportlerinnen und Sportler.
Aber es ist auch klar, dass die ethnischen Minderheiten oder einige davon sich vielleicht immer noch ein bisschen zu dominiert fühlen von der NLD und vielleicht auch die Konzentration auf Aung San Suu Kyi für diese ethnischen Minderheiten zu hoch ist. Von daher kann es schon sein, dass ein kompletter Neuanfang für das Land die bessere Wahl wäre, vielleicht auch ohne Aung San Suu Kyi. Es ist aber auch keine Person in Sicht, die die Rolle von Aung San Suu Kyi einnehmen könnte, von daher ist das schwierig.
Was aber klar ist, dass die burmesische Mehrheit und die Führung der burmesischen Mehrheit – das ist hauptsächlich die NLD – stärker auf die ethnischen Minderheiten zugehen muss in Zukunft. Das hat sie in den vergangenen Wochen schon getan, aber wahrscheinlich wird sie das noch ein bisschen stärker tun müssen.

"Aung San Suu Kyi wird weiterhin gefeiert"

Brandes: Glauben Sie, dass es in Zukunft so eine Absatzbewegung dann auch von dieser Führungsfigur Aung San Suu Kyi geben wird, oder ist sie einfach so wichtig für die Menschen, dass sie sagen, nein, wir halten an ihr fest.
Spohr: Das gibt es momentan noch nicht, zumindest innerhalb der NLD-Führung gibt es keine Anzeichen davon, und man muss auch sagen, dass sie in ihrem Volk immer noch extrem populär ist. Auf jeder Demonstration, die man jetzt sieht, werden ja Schilder von Aung San Suu Kyi hochgehoben und sie wird weiterhin gefeiert, das heißt, sie ist weiterhin extrem populär. Einige würden sich vielleicht einen Neuanfang ohne sie wünschen, auch innerhalb der Opposition, ob das möglich ist, das wäre schwierig, denke ich.
Brandes: Die Militärregierung hatte ja ursprünglich im Februar angekündigt, innerhalb eines Jahres werde es dann wieder zu Neuwahlen kommen und das Militär werde die Macht abgeben. Inzwischen sagt das Militär, na ja, es könnten vielleicht auch zwei Jahre daraus werden. Was glauben Sie, ist das Militär gerade dabei, wieder eine jahrelange Militärdiktatur aufzubauen?
Spohr: Es besteht schon die Gefahr, dass die Wahlen immer weiter hinausgezögert werden jetzt, und selbst wenn Wahlen stattfinden, ist natürlich fraglich, ob faire und freie Wahlen das sein werden. Wenn man jetzt schon sieht, dass die wichtigste Oppositionspartei oder eigentlich die ehemalige Regierungspartei jetzt aufgelöst wird, wie mit freier Presse umgegangen wird – es werden ja Journalisten verhaftet und verfolgt –, von daher sind momentan keine freien Wahlen in Sicht.

Spohr: Einfluss des Westens ist begrenzt

Brandes: Hat der Westen, haben wir irgendeine Möglichkeit, auf das Militärregime einzuwirken?
Spohr: Der Westen hat ja schon reagiert, es gibt mehrere Sanktionen gegen Führungen des Militärs, es gibt auch Sanktionen gegen die zwei großen Militärkonglomerate, die große Teile der Wirtschaft dominieren – von der Getränkeindustrie oder Erfrischungsindustrie bis hin zur Schwerindustrie.
Da gab es schon Sanktionen, die Wirksamkeit ist aber fraglich. Das liegt einfach daran, dass die wirtschaftlichen Verbindungen zwischen dem Westen und Myanmar ohnehin nicht so stark sind, und die Militärführung hat gezeigt, dass sie auch ohne den Westen gut leben kann und existieren kann, das hat sie ja vor der Öffnung bis 2011/2010 lange gemacht.
Brandes: Das heißt, wir müssen einfach zugucken.
Spohr: Na ja, man kann natürlich schon versuchen, zum Beispiel auf die südostasiatischen Länder einzuwirken, dass die vielleicht diplomatische Initiativen starten. Es gibt schon Einflussmöglichkeiten, aber ich denke, sie sind begrenzt. Und man muss auch sehen, dass wenn man sieht, dass der Westen sich mittlerweile aus Myanmar zurückzieht, und man sieht eben auch, dass China sofort in die Bresche gesprungen ist, die Investitionen. Es gab zuletzt mehrere größere Investitionsvorhaben von China, die genehmigt worden sind, Infrastrukturprojekte und so weiter, und China ist sozusagen in der Lage und hat den Willen, diese Lücke schnell auszufüllen, die der Westen da hinterlässt.
Brandes: Können Sie als politische Stiftung aus dem Ausland im Moment eigentlich überhaupt noch in Myanmar arbeiten, und wie geht es Ihren örtlichen Mitarbeitenden dort?
Spohr: Wir arbeiten noch weiter, wir haben ein Team vor Ort, das ist natürlich angespannt und ist unter Anspannung, und es macht sich große Sorgen um die Zukunft des Landes. Aber wir sind gewillt, unsere Arbeit weiter fortzusetzen, und wollen mit der Zivilgesellschaft zusammenarbeiten und hoffen, dass es Myanmar in Zukunft wieder besser geht, und arbeiten mit der Zivilgesellschaft und allen Demokraten dort zusammen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.