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Asiens Wassertürme im Klimawandel

Das Dach der Welt in Tibet ist auch der Wasserturm zumindest der asiatischen Welt. Fünf Megaflüsse, darunter Ganges und Jangtse, entspringen dort. Sie versorgen 1,5 Milliarden Menschen mit Wasser. Niederländische Forscher haben nun untersucht, wie der Klimawandel die Riesenflüsse beeinflusst.

Von Volker Mrasek |
    Deutschland würde fast dreimal hineinpassen - so groß ist das Hochland von Tibet mit seinen angrenzenden Hochgebirgszügen. Mehrere Zehntausend Gletscher gibt es dort, mehr als ein Dutzend der Megaflüsse Asiens entspringt in der Region, die man deshalb auch die Wassertürme des Kontinents nennt.

    Die fünf Ströme mit den größten Abflussmengen haben niederländische Forscher für ihre neue Studie genauer unter die Lupe genommen. Der Geograf Walter Immerzeel von der Universität Utrecht, der seit Jahren in Tibet forscht:

    "Unser Untersuchungsgebiet beginnt im Westen mit dem Indus. Dann kommen der Ganges und der Brahmaputra. Und schließlich im Osten die großen Ströme Chinas: der Jangtse und der Gelbe Fluss."

    Fast 1,5 Milliarden Menschen sind auf das Wasser dieser fünf asiatischen Megaströme angewiesen. Sie alle entspringen auf dem Dach der Welt. Was würde es für die Flüsse tatsächlich bedeuten, wenn Tibets Gletscher eines Tages immer weniger Schmelzwasser nachliefern sollten, weil sie zusammenschrumpfen?

    Die neue Studie gibt eine differenzierte Antwort auf diese oft gestellte Frage:

    "Asiens Wassertürme sind durch den Klimawandel tatsächlich bedroht. Doch die Auswirkungen auf Wasserverfügbarkeit und Ernährungssicherheit in den verschiedenen Flussbecken sind nicht überall gleich, wie man früher oft gehört hat, sondern sehr unterschiedlich. Es gibt sogar Gebiete, in denen sich der Klimawandel positiv auswirken könnte."

    Der Ganges, der Jangtse und der Gelbe Fluss sind demnach kaum in Gefahr. Sie speisen sich überwiegend durch Monsunregen im Unterlauf, der während des Sommers fällt. Gletscherwasser und geschmolzener Schnee aus dem Tibethochland kommen lediglich auf einen Anteil von allenfalls zehn Prozent an der Wasserführung dieser drei Megaströme, so das Ergebnis der Studie.

    Ganz anders sieht es beim Brahmaputra und vor allem beim Indus aus. Marc Bierkens, Professor für Hydrologie an der Universität Utrecht:


    "Beim Indus macht Schmelzwasser aus dem Oberlauf fast 70 Prozent des gesamten Abflusses aus. Das ist zum einen Schnee, der im Frühjahr schmilzt, zum anderen aber auch Wasser von abtauenden Gletschern. Der Anteil, den die Gletscher am Abfluss des Indus haben, liegt bei rund 30 Prozent. Er ist also ziemlich hoch. Beim Brahmaputra ist das Wasser im Oberlauf größtenteils saisonal schmelzender Schnee, und nur ein kleiner Teil stammt aus Gletschern."

    Der Indus ist nun ausgerechnet der Fluss mit der intensivsten Bewässerungslandwirtschaft am Unterlauf. Wenn die Gletscher in seinem Einzugsgebiet irgendwann weniger Schmelzwasser produzieren, könnte das Probleme für Ackerbau und Agrarproduktion mit sich bringen. Berkens empfiehlt, sich darauf einzustellen:

    "Es müssen Wege gefunden werden, um in Zukunft weniger Wasser zu verbrauchen. Zumal die Bevölkerung noch weiter wachsen soll. Man könnte zum Beispiel auf Feldfrucht-Sorten umsteigen, die mit weniger Wasser auskommen. Oder auf sparsamere Bewässerungssysteme."

    Mit einem Computermodell haben Bierkens und seine Kollegen simuliert, wie die Situation in 50 Jahren aussehen mag, wenn die Klimaerwärmung anhält und Tibets Gletscher zunehmend Masse verlieren.

    Der Indus könnte dann acht Prozent weniger Schmelzwasser abbekommen, auf das er viel stärker als die anderen Flüsse angewiesen ist, der Brahmaputra um die 20 Prozent. Auf der anderen Seite zeigt sich ein Trend zu einem verstärkten Monsun: Es fällt mehr Niederschlag. Das lässt den Pegel im Unterlauf von Asiens Megaströmen steigen. Dadurch könnte der Gletscherwasser-Rückgang zum Teil kompensiert oder sogar übertroffen werden, wie im Fall des Gelben Flusses.

    Das Fazit der Forscher: Vom Indus einmal abgesehen, könnten die Folgen einer Gletscherschmelze auf dem Dach der Welt weniger dramatisch sein als bisher befürchtet.