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Asow-Regiment, Stepan Bandera & Co
Rechtsextremisten in der Ukraine und ihr Einfluss im Land

Immer wieder wird über das berüchtigte Asow-Regiment oder den einstigen Partisanenführer Stepan Bandera und dessen Anhänger berichtet. Gerade eben sorgte der ukrainische Botschafter in Deutschland, Melnyk, mit Äußerungen zu Bandera für heftige Kritik. Fest steht: Auch in der Ukraine gibt es rechtsextremistische Gruppierungen. Über deren Bedeutung gibt es jedoch unterschiedliche Ansichten.

01.07.2022
    Ein ukrainischer Soldat macht einem Kameraden gelbes Klebeband an den Arm als Zeichen der Zugehörigkeit zu den regulären Streitkräften.
    Auch das rechtsextreme Asow-Regiment sei inzwischen in die regulären Streitkräfte integriert und spiele darin nur eine kleine Rolle, sagte Alexander Ritzmann im Interview (IMAGO/ZUMA Wire)
    Für den Historiker Götz Aly ist es natürlich völlig unsinnig, wenn Putin behauptet, in Kiew seien Neonazis an der Regierung. Aber, sagte er der Deutschen Presse-Agentur: "Wie in Russland gibt es auch in der Ukraine sehr harte Rechtsradikale. Man sollte dieses Problem gerade in Deutschland nicht ignorieren." Der Extremismusforscher Alexander Ritzmann ist indes überzeugt: "Wenn man sagen würde, es gibt in der Ukraine besonders viele Neonazis, ist das auf jeden Fall Propaganda." In Russland gebe es nämlich viel mehr Neonazis als in der Ukraine, betonte er im Deutschlandfunk.
    Eine Gruppierung, deren Namen in diesem Zusammenhang immer fällt, ist das sogenannte Asow-Regiment. Für die einen sind sie Neonazis, für die anderen ukrainische Nationalhelden. Die Kämpfer der berüchtigten Truppe sind ins Zentrum des Informationskrieges zwischen Moskau und Kiew gerückt. Während Russland die Kampftruppe als "faschistisch" brandmarkt, werden die Mitglieder des Regiments seit Beginn der russischen Ukraine-Invasion von vielen Ukrainern gefeiert. Experten warnen hier vor einem Schwarz-Weiß-Denken.

    Verwurzelt in Mariupol

    Verwurzelt ist das früher als Asow-Bataillon bekannte Regiment in der seit Wochen von russischen Truppen belagerten Hafenstadt Mariupol am Asowschen Meer. Insbesondere im Zusammenhang mit der Verteidigung des dortigen Asow-Stahlwerks als letzte Bastion fiel ihr Name immer wieder. Viele Kämpfer, die sich in den unterirdischen Bereichen des Stahlwerks lange gegen die russischen Angriffe wehrten, sollen zum Asow-Regiment gehören. Als Russland zwei Wochen nach Beginn seines Überfalls auf die Ukraine am 24. Februar eine Geburtsklinik dort bombardierte, begründete der Kreml dies damit, dass sich Mitglieder des Asow-Regiments "und andere Extremisten" in dem Gebäude verschanzt hätten.
    Das Satellitenforo der Firma Planet Labs PBS zeigt das Asow-Stahlwerk im ukrainischen Mariupol am 6. Mail 2022.
    Das Satellitenforo der Firma Planet Labs PBS zeigt das Asow-Stahlwerk im ukrainischen Mariupol am 6. Mail 2022. (AFP / Planet Labs PBC)
    Mariupol ist im Verlauf des Krieges zum Symbol für den ukrainischen Widerstand gegen die Angreifer aus Russland geworden. Den Kämpfern vor Ort wurde von der ukrainischen Propaganda Heldenstatus verliehen. Die ukrainische Regierung, aber auch ausländische Beobachter vergleichen zudem die in Mariupol angerichtete Zerstörung mit der syrischen Stadt Aleppo und der tschetschenischen Hauptstadt Grosny, die die russischen Truppen mehr oder weniger dem Erdboden gleichmachten.

    Mit Neonazi-Symbolen wie der Wolfsangel

    Umgekehrt wird die Asow-Symbolik auf russischer Seite genutzt. Der Sieg der russischen Streitkräfte in Mariupol verpasste entsprechend dem ursprünglich von Putin ausgegebenem Ziel, mit der "Sonderoperation" die Ukraine zu "entnazifizieren", einen Schub. Der Westen weist das russische Narrativ zur Begründung des Krieg allerdings als grotesk zurück. So steht an der Staatsspitze der Ukraine nicht nur der demokratisch gewählte, jüdische Politiker Wolodymyr Selenskyj - auch in der übrigen politischen Landschaft der Ukraine spielt die äußerste Rechte heute nur noch eine marginale Rolle, wie Anna Colin Lebedev von der Universität Paris-Nanterre feststellt.
    Kurz nach Beginn des Ostukraine-Konflikts 2014 wurde das Asow-Regiment als Freiwilligenbataillon gegründet. Seine Kämpfer sorgten mit Neonazi-Symbolen wie der Wolfsangel für Aufsehen. Zu den Gründern des Bataillons gehörte der bekannte Rechtsextremist Andrij Bilezkyj. Allerdings war er schon ab Oktober 2014 offiziell nicht mehr Mitglied der militärischen Einheit, wie der Forscher Andreas Umland, der in der Ukraine lebt und fürs Stockholm-Zentrum für Osteuropastudien arbeitet, der Neuen Zürcher Zeitung erklärte. 2016 rief Bilezkyj demnach die Partei "Nationales Corps" ins Leben und ein Jahr darauf die "Nationale Miliz", eine uniformierte, aber unbewaffnete Organisation, die durch martialische Fackelmärsche in Kiew auffiel. Beide Organisationen bezeichneten sich als Teil der Asow-Bewegung, hätten aber nur wenig mit dem kämpfenden Regiment zu tun, so Umland.

    "III. Weg" aus Deutschland

    Auch im Ausland fühlen sich manche Rechtsextremisten durch das Asow-Regiment angezogen - so etwa in Deutschland: Gerade bei der rechtsradikalen Kleinstpartei "III. Weg" seien Verbindungen bekannt, sagte die Projektleiterin des Vereins Mobile Beratung in Thüringen (Mobit), Romy Arnold, der Deutschen Presse-Agentur. Asow-Vertreter seien zum Beispiel bei einer Veranstaltung des "III. Wegs" in Kirchheim gewesen. Auch die rechte Partei "Neue Stärke" habe sich klar auf die Seite der Ukraine gestellt. Zudem teilten bekannte Thüringer Rechtsextreme Aufrufe, sich dem bewaffneten Kampf in der Ukraine anzuschließen.
    Mehrere Demonstranten in bedruckten roten T-Shirts tragen die grünen Fahnen des "III.Weg"
    01.05.2018 Sachsen, Chemnitz: Teilnehmer einer Demonstration von Rechtsextremisten gehen durch die Straßen. Anmelder ist die Neonazi-Partei "Der III. Weg". (Jan Woitas / dpa)
    Inzwischen wurde das Asow-Regiment mit seinen aktuell 2.000 bis 3.000 Kämpfern wie andere paramilitärische Verbände in die ukrainische Nationalgarde integriert. Es befindet sich damit unter dem Kommando des ukrainischen Innenministeriums. Trotz der Integration in reguläre staatliche Kommandostrukturen, so schrieb Human Rights Watch 2016 behielten solche Gruppen jedoch teilweise ihre paramilitärischen Strukturen und könnten auch außerhalb der staatlichen Verantwortlichkeit handeln.
    In den Sozialen Medien beteiligt es sich dennoch eigenständig an der Propaganda. So werden Berichte von Triumphen über die russische Truppen geteilt, die sich von unabhängiger Seite nicht bestätigen lassen. Die "wahren Faschisten" seien die Russen, heißt es dabei. Laut Wjatscheslaw Lichatschew von der in Kiew ansässigen Menschenrechtsorganisation Zmina zieht das Regiment besonders viele Kämpfer an. Es könne sich daher "die Besten" aussuchen.

    "Mittlerweile hat sich das Asow-Regiment entideologisiert"

    Zum Zeitpunkt seiner Gründung 2014 habe das Asow-Bataillon tatsächlich einen "rechtsextremen Hintergrund" gehabt, sagte Andreas Umland der Nachrichtenagentur AFP. Mittlerweile habe sich das Regiment aber "entideologisiert" und zu einer normalen Kampfeinheit entwickelt. Auch das nach wie vor vom Asow-Regiment verwendete Wolfsangel-Symbol habe in der Ukraine keine faschistische "Konnotation" mehr. Viele Rekruten würden sich der Einheit wegen ihres Rufs anschließen, "besonders hart" zu kämpfen, bestätigte Umland.
    Und auch Lichatschew betonte, das Asow-Regiment unterscheide sich kaum noch von anderen ukrainischen Kampfeinheiten. Ähnlich sieht es Alexander Ritzmann, selbstverständlich gebe es überall im Land Rechtsextreme und Neonazis und das Asow-Bataillon war anfangs ein Sammelbecken für sie. Deswegen sei es jetzt so ein einfaches Ziel, um daran aufzuhängen, so Ritzmann. Dass sich die russische Propaganda gegen die Ukraine nach wie vor in hohem Maße auf das Asow-Regiment und seinen angeblich rechtsextremen Charakter konzentriert, hat nach Experten-Angaben mit der kollektiven russischen Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg zu tun, die sich damit beschwören lasse.
    Ein Demonstrant hält ein Schwarz-weiß-Bild von Stepan Bandera in der Hand, dessen Gesicht darauf durchgestrichen ist, im Hintergrund weitere Demonstranten und rote Fahnen
    Ein Demonstrant mit Bandera-Foto in St. Petersburg: Russland nutzt Bandera zu Propaganda-Zwecken (dpa/picture alliance/Anatoly Maltsev)
    In Russland haben die Begriffe "Nazismus" und "Faschismus" nach den Worten des Politikwissenschaftler Sergei Fediunin vom französischen Nationalinstitut für orientalische Sprachen und Gesellschaften "eine besondere Bedeutung". Sie meinten im russischen Kontext das absolut Böse, mit dem sich nicht verhandeln lasse, erklärte er: Man könne es nur bekämpfen und versuchen, es auszurotten.

    Aly über Bandera: "Größter ukrainischer Nazi-Kollaborateur und Antisemit"

    Erinnert wird in der russischen und prorussischen Propaganda derzeit auch immer wieder an den, wie der Historiker Götz Aly sagt: "größten ukrainischen Nazi-Kollaborateur und Antisemiten" Stepan Bandera sowie an dessen noch nach 1945 aktive Anhänger. Bandera führte in den 1930er und 1940er Jahren eine nationalistische Bewegung an. Teil davon war eine Rebellenarmee, die an der Seite der deutschen Nationalsozialisten kämpfte. Der Ukrainischen Aufstandsarmee werden unter anderem Massaker angelastet, denen in der Westukraine zigtausende polnische Zivilisten zum Opfer fielen. Sie habe sich auf die Seite der Nazis gegen die Sowjetarmee gestellt, behaupten Banderas Anhänger, weil sie geglaubt hätten, Adolf Hitler würde der Ukraine die Unabhängigkeit gewähren.
    Inzwischen habe Bandera 40 Denkmäler in der Ukraine, erklärt Aly. Nachdem die Deutschen 1941 in der Ukraine einmarschiert seien, sei die Kollaboration dort sehr weit verbreitet gewesen. Die Deutschen hatten laut Aly 200.000 ukrainische Hilfspolizisten, von denen mindestens 40.000 unmittelbar an der Erschießungen jüdischen Menschen teilgenommen haben. Diese Kollaboration habe gen Osten hin immer weiter abgenommen. "In der Ostukraine war sie schon sehr gering, im heutigen Russland hat es sie kaum noch gegeben", führte Aly aus, "es existierte keine russische Hilfspolizei der deutschen Besatzer. Diesen historischen Hintergrund dürfe man nicht leugnen, mahnt er.

    Bandera-Straßen in Lemberg und Fackelmärsche in Kiew

    Der polnische Parlamentsabgeordnete, Marek Jakubiak, von rechtspopulistische Kukiz 15 hält Bandera für einen Banditen. Ein großer Teil der Ukrainer hänge leider dem Bandera-Kult an. Allein in Lemberg gebe es schon zwei Bandera-Straßen, betonte er. Dabei sei er in Polen in den 1930er-Jahren zum Tod verurteilt worden, weil er an der Ermordung eines Ministers beteiligt gewesen sei.
    Zu Jahresbeginn veranstalteten hunderte von ukrainischen Nationalisten in Kiew einen Fackelmarsch anlässlich des Geburtstags von Bandera. Der Chef der nationalistischen Gruppierung "Prawyj Sektor" (Rechter Sektor), Andrij Tarasenko, sagte: "Nun, da an der Front ein Krieg mit dem Besatzer geführt wird und im Hintergrund der Kampf gegen die 'Fünfte Kolonne' weitergeht, gedenken wir Stepan Bandera und ehren ihn. Der frühere Anführer der Gruppe, Dmitri Jarosch, berät inzwischen den Generalstab der Ukrainischen Streitkräfte. Aber auch ihn sehen viele differenzierter. Die Osteuropa-Expertin und Deutschlandfunk-Redakteurin Sabine Adler ging bereits 2014 der Frage nach, ob Jarosch ein Faschist oder Freiheitskämpfer sei?

    "Verbot des Moskauer Patriarchats auf dem Territorium der Ukraine"

    Rechte Kräfte trieben zuletzt auch das Vorgehen gegen die russisch-orthodoxe Kirche voran. Im ukrainischen Parlament, der Werchowna Rada, in Kiew brachte Oksana Sawtschuk, die einzige Abgeordnete der rechtsextremen Partei Swoboda (Freiheit), einen Gesetzentwurf ein, der sich gegen die Kirche richtet, die dem Moskauer Patriarchen Kyrill I. untersteht. Sie fordert ein "Verbot des Moskauer Patriarchats auf dem Territorium der Ukraine". Umgekehrt plant die Regierung der von Russland annektierten Krim ein Verbot der orthodoxen Kirche der Ukraine.
    (Mit Material von dpa, AFP, RTR, KNA)