Wir sind bestens informiert über Wirtschaft und Spekulation, über Globalisierung und Ökonomie. Aber wir wissen wenig über den kulturellen Aspekt des Geldes. Wirken sich kulturelle Unterschiede im Umgang mit dem Geld aus? Wirken sich solche Unterschiede auf kulturelle Erzeugnisse aus - entwerfen sie beispielsweise unterschiedliche Architekturen?
Stephan Trüby ist Professor für Architektur und Kulturtheorie an der TU München. 2014 gab er mit Gerhard M. Buurman das Buch "Geldkulturen" heraus. Er ist ständiger Mitarbeiter der Zeitschriften ARCH+ und archithese.
Das Gespräch in voller Länge:
Barbara Schäfer: Heute mit Barbara Schäfer im Gespräch mit Stephan Trüby. Stephan Trüby ist Professor für Architekturtheorie und Kulturtheorie an der TU München. Herr Trüby, gemeinsam mit dem Designforscher und Kunsttheoretiker Gerhard Buurmann haben Sie 2014 das Buch "Geldkulturen" herausgebracht. Welche Idee steckt dahinter, wenn Architekturtheorie und Designtheorie sich dem Thema Geld widmen?
Stephan Trüby: Gerd Buurmann und ich, mein Kollege an der Züricher Hochschule der Künste damals, wir haben beide festgestellt, dass wir zwei in der Schweiz arbeiten, aber die Diskurse an einer Designhochschule und an einer Architekturhochschule und an einer Kunsthochschule sehr stark geldbegründet sind, aber niemals oder sehr selten das Thema Geld erwähnen. Geld schien uns beiden die Voraussetzung dafür zu sein, für alles, was wir tun, für fast alles, was wir tun, auf der anderen Seite wurde Geld, nach unserer Wahrnehmung, kaum thematisiert in Designtheoriekontexten, aber auch in Designpraxiskontexten und auch in Architekturkontexten. Vor diesem Hintergrund haben wir beide beschlossen, eine Konferenz an der Züricher Hochschule der Künste zu veranstalten, die auch im Jahre 2012 über die Bühne ging, und uns gelang es, doch eine interessante Mischung von Akteuren im Bereich der Geldkulturen zur Teilnahme zu überreden. Dazu gehörten Ökonomen, dazu gehörten Kulturtheoretiker, dazu gehörten Architekturforscher, Literaturwissenschaftler wie Jochen Hörisch und Tina Hartmann. Wir haben in einer solchen transdisziplinären Konferenz, wie man so gerne sagt, eben das Thema Geld aus verschiedenen, eben auch kulturtheoretischen Perspektiven unter die Lupe genommen oder es zumindest versucht.
Schäfer: Gibt es geldkulturelle Unterschiede?
Trüby: Ich meine ja, und wenn wir die Zeitungen täglich aufschlagen oder uns im Netz über die aktuelle Nachrichtenlage informieren, dann kursiert ein Begriff wie Austerität in fast allen Gesprächen über Europa. Ich glaube, den Begriff der Geldkultur kann man sehr stark auch am Umgang mit dem Austeritätsbegriff festmachen. Es gibt Gegner und Befürworter von Austerität im Bereich der Finanzpolitik, und unter Austerität versteht man ein finanzökonomisches Handeln, das auf Sparsamkeit abzielt. Austerität heißt Strenge, es geht also um den strengen Haushalt, oft wird die schwäbische Hausfrau erwähnt. Der Austerität liegt die Idee zugrunde, dass man durch Sparen finanziell nachhaltig agieren kann. Auf der anderen Seite gibt es Ökonomen und auch Politiker, die sehr stark das Ausgeben und damit eben auch die Ankurbelung von Konsum zu einer Primärtugend des ökonomischen und politischen Handelns erklären. Auf der anderen Seite, in Deutschland ist diese Politik vorherrschend, gibt es Verteidiger des Austeritätsgedankens. Ich möchte gar nicht notwendigerweise hier Partei ergreifen, weil die Dinge sehr, sehr komplex sind und für einen Architekturtheoretiker wie mich dann in allen Einzelheiten doch auch zu komplex sind, um sie letztendlich beurteilen zu können, aber Fakt ist, dass es unterschiedliche Kulturen, ich möchte sagen, auf der einen Seite einen deutschsprachigen ökonomischen Kontext gibt, in dem die Austerität zumindest in manchen politischen Bereichen einen guten Ruf hat, und auf der anderen Seite gibt es ein sehr stark angelsächsisch geprägtes Verständnis von einer Ausgabeökonomie, könnte man im weitesten Sinne sagen, in der das Sparen als kontraproduktiv für die Wirtschaft verstanden wird, und solche Themen wollten wir eben auch in Geldkulturen behandeln.
Schäfer: Warum ist das so? Sie sagten, wir wüssten zu wenig über die kulturellen Aspekte des Geldes. Warum ist das so Ihrer Meinung nach?
Trüby: Ich denke, dass die Tatsache, dass finanzökonomische Thematiken uns jeden Tag auf dem Tablett durch die Medien dargereicht werden, zwingt alle - Designtheoretiker, Architekten, Architekturtheoretiker - zu einem Kommentar, der über die eigene Berufspraxis hinausgeht, zumal unsere Praktiken im Bereich Design und Architektur sehr stark, wie gesagt, auch von dem Thema Geld durchdrungen sind. Vor diesem Hintergrund glaube ich, dass wir das Thema Geld aus der Sphäre des Nicht-Ausgesprochenen hervorheben müssen und uns dazu auch aktiv verhalten müssen. Vor diesem Hintergrund haben Gerhard Buurmann und ich eben verschiedene, ich möchte sagen, Schnittmengen von ökonomischen und Designdiskursen versucht festzumachen, wo wir Abhängigkeiten von Architektur, Design und Finanzwelt festmachen können.
Schäfer: Die bislang nicht analysiert oder beschrieben waren.
Trüby: Bislang kaum oder nicht analysiert worden, ja.
Schäfer: Und einer Ihrer Referentinnen auf dem Symposium war die italienische Kommunikationssoziologin Elena Esposito. Sie schreibt oder sagte in ihrem Vortrag "Geld und Kontingenz", seit einigen Jahrhunderten existiert der Begriff der Kultur in einem gesellschaftlichen Sinne, entstanden in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, als man die Notwendigkeit sah, eine Außenbetrachtung und Einordnung von Gesellschaft wahrzunehmen und aufgrund größerer Komplexität der gesellschaftlichen Formen eine Metaebene der Reflexion zu schaffen für kulturelle Phänomene. Welche Lehre steckt dahinter philosophisch, soziologisch?
Trüby: Elena Esposito kommt ganz eindeutig aus der Schule des Bielefelder Soziologen Niklas Luhmann. Ich bin sehr dankbar dafür, dass Elena Esposito diesen Beitrag zur Konferenz und auch zum Buch geleistet hat, aber ich sollte in diesem Kontext sicherlich auch erwähnen, dass es durchaus einen Unterschied zwischen dem Kulturverständnis von Elena Esposito und Niklas Luhmann und unserem Verständnis von Geldkulturen gibt. Ich bin ein großer Anhänger eines Kulturverständnisses, das Aggressivität und Unterschiede und Grenzziehungen nicht ausblendet. Kultur gibt es also nicht im Singular, sondern nur im Plural - es gibt Kulturen. Und Kulturen sind auch nicht Bücher, Kunstwerke im Museum - die gehören dazu -, aber Kulturen sind vor allem Populationen, die teilweise miteinander arbeiten, teilweise aber auch gegeneinander arbeiten. Ich glaube, ich bin sehr stark geprägt von Niklas Luhmanns Denken, aber in einem Punkte würde ich doch gerne einen Unterschied zu meinen Auffassungen von Kultur ziehen wollen: Letzten Endes, wenn man das Schreiben von Niklas Luhmann zusammenfasst, dann steckt dahinter die Überzeugung, dass es eine Gesellschaft, eine Weltgesellschaft gibt, die keine Konflikte, keine Aggressivitäten kennt, und ich glaube, dass wir die Welt besser verstehen, wenn wir eben nicht von dieser einen Weltgesellschaft ausgehen, sondern von unterschiedlichen Kulturen ausgehen und versuchen, deren unterschiedliches Verhalten auch in puncto Umgang mit Geld und Finanzen besser verstehen zu lernen.
Schäfer: Ich nehme an, Sie sagten es eben, Sie sind schon von Niklas Luhmann geprägt, das könnte was zu tun haben mit Niklas Luhmanns Beobachtung erster Ordnung und zweiter Ordnung. Also erste Ordnung, so wie es ist und dann eben die zweite Ordnung, Reflexion auf einer Metaebene. Das müssten wir jetzt nicht vertiefen, aber ich finde es trotzdem interessant im Hinblick auf Architektur, und da wissen Sie mehr natürlich. Welche Architekturtheorie findet sich im Werk des Bielefelder Systemtheoretikers für Sie?
Trüby: Bemerkenswert an dem Schreiben von Niklas Luhmann ist aus architekturtheoretischer Perspektive, dass die Architektur als Teil des Kunstsystems bei Niklas Luhmann auftaucht, und ich glaube, dafür gibt es einige Gründe, die dafür sprechen würden. Auf der anderen Seite wird man, wenn man dieser Meinung ist, glaube ich, verschiedenen Aspekten der Architektur nicht gerecht. Architektur, glaube ich, es geht nicht in einem System, so heißt es, Kunstsystem oder ein anderes System auf, sondern Architektur scheint mir eine Kulturtechnik zu sein, vielleicht eine der ältesten Kulturtechniken, die die Menschheit überhaupt hat, die zwischen den modernen Funktionssystemen à la Niklas Luhmann auftauchen. Ich glaube, Architektur ist ein vielbeiniges Wesen, das mit einem Bein in dem Politiksystem verortet ist, mit einem anderen Bein im Kunstsystem verortet ist, mit einem dritten Bein in einem ökonomischen, in einem Wirtschaftssystem verortet ist und so weiter und so fort. Ich glaube, Architektur ist zwischen den Systemen, die Architektur gehört zur Umwelt von verschiedenen Systemen, und das ist meines Erachtens der größte Unterschied zu der Präsenz von Architektur bei Niklas Luhmann.
Schäfer: Und damit werden wir auch ein wenig konkreter nach diesem Theorieausflug. Das Symposium damals untersuchte im Zusammenhang mit dem Geld vier Dimensionen: Geld und Zeit, Geld und Staat, Geld und Welt, und Geld und Ort. In welchen Zusammenhang stehen diese vier in Bezug zum Geld?
Trüby: Es ist in der Tat so, dass das Verhältnis von Geld und Ort, um das Beispiel eines Kapitels herauszugreifen, sehr, sehr interessant ist: Geld ist etwas, das dazu tendiert, zu fließen und insofern immer unter dem Verdacht steht, zwar manchmal sich an bestimmten Orten zu akkumulieren, auf der anderen Seite aber dennoch immer reisebereit zu sein, und vor diesem Hintergrund ist, glaube ich, das Verhältnis nicht nur von Geld und Ort, sondern auch von Geld und Architektur, im Sinne von Hausbau, sehr, sehr interessant. Die große Frage ist ja, wie verhält sich Geld und Architektur, und ich möchte auf diese sehr allgemeine Frage eine Antwort mit Philipp Oswalt, einem unserer Beiträger und Referenten bei der Konferenz und bei dem Buch, machen: Er zeigt in seinem Beitrag sehr, sehr schön, dass es zwei sehr unterschiedliche architektonische Umgangsweisen mit Geld gibt. Man kann sie folgendermaßen mit Philipp Oswalt unterscheiden: In dem einen Falle gibt es einen Bauherren, und dieser Bauherr will bauen, er hat aber kein Geld. Das heißt, hier steht ein Bauherr am Anfang und eine Bauabsicht und dafür werden Finanzierungsmodelle, meistens Kredite gefunden. Das ist das eine Modell. Das zweite Modell ist, dass es Geld gibt und dieses Geld sucht Anlageformen, und das heißt, hier gibt es keinen Bauherren, sondern das Geld steht am Anfang, und die Suche nach Investitionen, und diese Investition finden teilweise eben auch Gebäude oder Bauprojekte, und wenn man heute bestimmte Strandregionen in Portugal und Spanien anschaut mit diesen riesigen leer stehenden Urlaubssiedlungen, die alle Resultat eines nach Architektur suchenden Investitionsvolumens sind, dann weiß man vielleicht, was ich meine.
Schäfer: Vielleicht können wir da geschichtlich noch mal zurückgehen. Sie haben in diesem Buch, auf dieser Konferenz Wert darauf gelegt, den Bauherren in der Architektur nicht zu vergessen. Die Architekturtheorie an sich legt ihn gern beiseite und behandelt die Architektur als ein schöpferisches Fach, ein Medium, in dem quasi die Ökonomie etwas ausgeschlossen wird. Warum ist Ihnen das so wichtig - geht es Ihnen darum, den Architektenanteil zu schmälern?
Trüby: So könnte man es durchaus auf den Punkt bringen. Ich bin selbst Architekt, insofern kann ich mit Reduktion des Zuständigkeitsbereiches einigermaßen umgehen, auch wenn es vielen Architektinnen und Architekten vielleicht wehtut, glaube ich, dass der Architekt nicht das Zentrum der Architektur ist. Die Architektur hat viele Akteure und dazu gehören natürlich Architektinnen und Architekten, aber zum System oder Nicht‑System Architektur gehören genauso Bauherren, es gehören aber auch Unternehmen, Bauunternehmen zur Architektur dazu, es gehören Fensterbauunternehmen, produktschaffende Unternehmen, die Bauindustrie gehört dazu, es gehören ökonomische Strukturen zur Architektur genauso dazu, wie Architekten. Insofern glaube ich, sind Architektinnen und Architekten gut beraten, ihre eigene Rolle im Bereich der Architektur zu überprüfen, indem sie immer genauso fragen, welche anderen Akteure im Bereich der Architektur gibt es neben uns Architekten.
Schäfer: Zurückgeschaut in die Geschichte, Langzeitgeschichte - Bauherr, Feudalherrscher, lange Zeit ein Modell, eigentlich von Anbeginn der Architektur an sich bis ins 18. Jahrhundert hinein, danach republikanische Gesellschaften. Was änderte sich?
Trüby: Ich denke, alle, die sich für Architektur und auch für die Bauherren in der Architektur interessieren, tun das aus einem sehr aktuellen Interesse. Wenn man mit manchen Architekten heute spricht, dann hört man hin und wieder die Klage über die Abwesenheit des Bauherren. Früher hätte es den Bauherren, den einen Ansprechpartner gegeben, der Verantwortung übernimmt, der das Geld hat und so weiter und so fort, heute hätte man mit zu vielen Gremien zu tun, es gibt eben nicht mehr diesen personifizierten Bauherren oder nur noch sehr, sehr selten im Bereich des Einfamilienhausbaus und so weiter und so fort. Vor diesem Hintergrund ist es, glaube ich, sehr, sehr wichtig und vielleicht verständlich, dass Architektinnen und Architekten, aber auch Theoretiker, sich für die Kulturgeschichte des Bauherren interessieren. In der Tat, wenn man sich die Kunstgeschichte anschaut, gibt es ja ganze Epochen der Kunstgeschichte, die nach Königen benannt sind, insofern war dort der König ein zentraler, der wichtigste Bauherr für Architekten. Wenn man sich überhaupt das uns bekannte erste architekturtheoretische Traktat der Geschichte anschaut, Vitruvs zehn Bücher über die Architektur, und man schaut auf die ersten Seiten, dann sieht man, dass dieses Buch einem Kaiser gewidmet war oder ist - Kaiser Augustus. Daran sieht man schon sehr stark, wie präsent in der Geschichte der Architektur der Bauherr war. Heute würde es keinem Architekten mehr auffallen, sein eigenes Traktat einer Kanzlerin beispielsweise zu widmen. Dieser Bauherr ist völlig verschwunden, der Feudalherrscher ist aus der Gegenwartsarchitektur völlig verschwunden, an die Stelle dessen traten vielleicht Unternehmen: Es gibt Bücher von Prada herausgegeben zur Architektur, es gibt Bücher von Vitra herausgegeben zur Architektur. Man könnte sagen, dass an die Stelle von Herrschern Unternehmen traten, und Architektinnen und Architekten müssen sich dazu irgendwie verhalten. Dann gibt es aber immer wieder Innovationen im Bereich der Architektur insofern als ein neuer Bauherr überhaupt erfunden wurde. Der Siedlungsbau der 1920er-Jahre ist vor diesem Hintergrund vielleicht sehr, sehr interessant. Wir sollten uns vor Augen halten, dass viele der progressiven Kommunen - beispielsweise Frankfurt oder Berlin oder auch andere Städte in Deutschland - damals sozialdemokratisch regiert waren und teilweise auch heute noch sind, und in Zusammenarbeit mit Architekten des Neuen Bauens wurde ein neuer Bauherr erfunden, das ist die Genossenschaft gewesen. Wenn man sich Onkel Toms Hütte in Berlin anschaut oder auch die Siedlung des neuen Frankfurt, das ist für uns heute kaum noch verständlich, weil es ein ähnliches staatliches Handeln kaum noch gibt. Diese Siedlungen wurden eben von Genossenschaften errichtet, eine neue juristische Person wurde geschaffen, damit ein Gebäude durch diesen neuen Bauherren überhaupt errichtet werden konnte, und an dieser Schöpfung dieser neuen juristischen Person waren sowohl Architekten als auch städtische Repräsentanten beteiligt.
Schäfer: Das Zeitalter der Planung.
Trüby: Aber auch das Zeitalter eines engen Dialoges zwischen Staatlichkeit und Architekten. Heute gibt es fast nur noch eine - und ich möchte das gar nicht notwendigerweise beklagen -, eine mehr oder weniger neoliberale Landschaft von privaten Bauherren, von Public-Private Partnerships manchmal, es gibt die Regel des spekulativen Bauens, und dann gibt es auch heute noch natürlich die einen oder anderen Versuche, eine Windstelle innerhalb der Kapitalströme zu schaffen, in denen man beispielsweise genossenschaftlich baut, indem eine Reihe von Bauherren sich zusammenfinden, das Geld zusammentragen und dann ein gemeinsames Mehrfamilienhaus baut.
Schäfer: Als großes Gegenmodell zum Bauherren-unbekannt-Modell, Fond‑Eigner‑Investorenprinzip, die auch zur Finanzkrise 2008 geführt haben.
Trüby: Richtig.
Schäfer: Ein Beispiel, Sie haben es vorhin schon erwähnt, die vielen, vielen Einfamilienhäuser an Spaniens Küsten und im amerikanischen Suburbia, die für niemanden gebaut wurden, sondern einfach als Spekulationsblase hingestellt wurden, um eine Baubranche zu beschäftigen. Aber: Ein historisches Kapitel, das auch sehr wichtig und interessant ist, die Kirche als Bauherr - heute im Prinzip auch verschwunden, also im Mittelalter nicht wegzudenken, auch lange Zeit danach. Sie führen in Ihrem Buch ein lobendes Beispiel an: Karljosef Schattner, der die Universität in Eichstädt gebaut hat mit kirchlichem Steuergeld. Es gibt aber auch Tebartz-van Elst als Beispiel. Was macht die Kirche heute als Bauherr?
Trüby: Ich möchte diese komplexe Frage indirekt beantworten. Ich entstamme einer Familie, mein Onkel hat meines Wissens die meisten katholischen Kirchen Deutschlands gebaut, und insofern bin ich mit dem Thema Kirche als Bauherr, der Rolle des Diözesanbaumeisters, wie es in der katholischen Kirche heißt, groß geworden. Ich glaube, dass die Kirche als Bauherr - ich kann hier vor allem von der katholischen Kirche sprechen - nach wie vor sehr, sehr präsent ist. Ich habe mich auch nie an dem Bashing eines Tebartz-van Elst beteiligt, den ich aber heute auch nicht verteidigen will. Ich glaube, was eben sehr oft verschwiegen wurde, ist, dass Tebartz-van Elst sich nicht persönlich bereichert hat. Ich glaube, wenn man in die Geschichte der Architektur blickt, dann gehört das zur Selbstverständlichkeit, dass wichtige Bauaufgaben auch außergewöhnliche Architekturen brauchen. Ich möchte es überspitzen, ich möchte behaupten - und das aus einer reinen architektonischen Perspektive, ich spreche jetzt hier nur aus der Profession der Architekten -, man sollte Tebartz-van Elst den deutschen Bauherrenpreis vergeben, statt ihn in die Wüste zu jagen, aber ich glaube, mit dieser Meinung gehöre ich definitiv zu einer Minderheit.
Schäfer: Hatten Sie Gelegenheit, seine geschaffenen Bauten anzuschauen?
Trüby: Nein, leider nicht, nein.
Schäfer: Wir haben eben schon darüber gesprochen, dass das alte Bauherrenprinzip einer Einzelperson, einer benennbaren Person eines Namens nicht mehr gilt. Im Umkehrprinzip scheint der Name des Architekten immer größer geworden zu sein, wenn man daran denkt, wie Büros von Rem Koolhaas oder Norman Foster oder alle die, die man unter Stararchitekten versammelt, bauen, sind ja doch immer ein Name, auch wenn es für ein großes Büro steht. Sie selber haben mit Rem Koolhaas zusammengearbeitet auf der Architekturbiennale 2014, kennen sich daher persönlich. Rem Koolhaas - um bei ihm zu bleiben als Beispiel, aber andere Büros stehen ihm da in nichts nach - hat in den letzten Jahren das Gebäude des Staatsfernsehens in Peking und eins ähnlich in Shanghai gebaut, den Tetris Tower in Singapur, World Financial Center in Shanghai und so weiter und so fort, also all da - Dubai müsste man vielleicht noch nennen -, wie ordnen Sie das ein? Rem Koolhaas selbst hat in einem Essay schon 1994 geäußert, form follows function stimmt nicht mehr, das gilt nicht mehr dieser Begriff, dieser amerikanische aus der Moderne, sondern die bigness gelte, darüber hat er auch einen Essay geschrieben, also das war 1994, noch vor der Finanzkrise. Immer größere Flächen wurden bebaut, immer höher, völlig egal, wofür. Was wurde damit ausgelöst?
Trüby: Ich kenne Rem Koolhaas als einen höchst komplexen Menschen, der, wenn er die Wahl hat zwischen dem eindeutig Guten und dem Abgründigen, immer den Pakt mit dem Teufel eingeht. Das erklärt sicherlich auch sein sehr frühes antizyklisches Interesse an Deutschland zu einer Zeit in den frühen 60er-Jahren. Als in Holland sich wirklich niemand für Deutschland und das Nachkriegsdeutschland interessierte, fuhr er nach Deutschland, setzte sich mit der Kultur des Nachkriegsdeutschlands auseinander, beschäftigte sich mit Architekten wie Egon Eiermann, aber auch mit den Filmen von Rainer Werner Fassbinder, und dieses Interesse für das latent Teuflische hat sich fortgesetzt und erklärt ein Stück weit auch seine Bereitschaft, heute in China zu bauen oder in Dubai zu bauen, sich mit dem einen oder anderen Diktator wie Assad einzulassen. Ich würde ein solches Interesse an Komplexität, andere sagen am Abgründigen oder Bösen, immer verteidigen wollen gegenüber Menschen, die im Grunde nur noch für Friedensnobelpreisträger bauen wollen.
Schäfer: Wer wäre das?
Trüby: Wir kennen die Liste der Friedensnobelpreisträger!
Schäfer: Die Architektur der Finanzmärkte, bei der heißt es schon lange nicht mehr, form follows function, sondern form follows finance, also Architektur, die allein von Finanzmarktinnovationen ausging, die gibt es ja auch zuhauf, begann vielleicht Mitte der 90er-Jahre, in vielen europäischen Städten wurde das amerikanische Investorenprinzip eingeführt und ausprobiert, um von vermeintlichen Steuervorteilen zu profitieren. Das ist alles noch gar nicht so lange her, kommt einem aber vor wie Geschichte, denn es ist viel passiert. In den 2000er-Jahren gesellten sich Bauweisen dazu, wo Gebäude erstellt wurden, die am realen Markt vorbeigeplant wurden, also Gebäude, Büro zum Leerstand gebaut, von den Einfamilienhäusern nicht zu sprechen, die haben wir schon erwähnt. Was machen wir mit all diesen Hunderttausenden leer stehenden Bauten?
Trüby: Die Architekturgeschichte ist auch eine Geschichte der Umnutzung, und die Architekturausbildung hat sich, denke ich, zu lange nur mit dem Neubau beschäftigt, und nach und nach in den letzten Jahren hat sich einiges geändert, auch in München, meiner Fakultät der TU München, sind Fachgebiete, Lehrstühle für den Umbau entstanden. Ich denke, es gibt unter vielen Architekten die Vorstellung, dass Architektur mit Nutzung nur am Anfang etwas zu tun hat. Wir kennen alle so diese berühmten Szenen, ein Neubau wird errichtet, es kommt zu dieser für Architekten meistens sehr tragischen Situation der Schlüsselübergabe, man übergibt einen überdimensionalen Schlüssel, der Schlüsselbund hat meistens noch die Form des Grundrisses des Gebäudes, man übergibt diesen riesigen Schlüssel an den Bauherren und damit ist das Baby des Architekten weg, und an die Stelle des Architekten tritt der Hausmeister oder, wie es heute heißt, der Facility Manager. Ein solches Architekturverständnis hängt natürlich zutiefst mit der Vorstellung des Neubauens zusammen. Ich glaube, wir brauchen eine Kultur, insbesondere in Europa, in der es immer mehr um Umbau und immer weniger um Neubau geht, eine Kultur, das Thema der Nutzung auch zum Teil einer architektonischen Praxis zu machen, und wenn man sich in Berlin anschaut, zum Beispiel die Arbeiten des Kollektivs Raumlabor, dann ist da eine neue Generation von Architektinnen und Architekten am Werk, die eben nicht mit Formen beginnen, sondern mit Aktionen ihr Entwurfsprojekt beginnen. Architektur wird sehr stark vom Handeln her gedacht, und ich glaube, das ist sehr, sehr wichtig, um auch Umgangsweisen mit diesen vielen leer stehenden Gebäuden zu entwickeln, die im mediterranen Raum entstanden sind in den letzten Jahren.
Schäfer: Und man denkt bei leer stehenden Gebäuden vielleicht gern an ungenutzte alte Industrieruinen, aber vielleicht nicht so sehr an Glas-, Stahl-, Ohne‑Gesicht‑Gebäuden aus Innenstädten. Gibt es da schon Umnutzungsideen aus Ihrem Bereich?
Trüby: Da muss ich passen, aber ich glaube, dass jede Architektur mit etwas zeitlichem Abstand romantisiert werden kann. Genauso wie die Loftkultur in Manhattan in den frühen 70er-Jahren losging zu einer Zeit als New York im Grunde komplett am Boden lag, und zu diesem Zeitpunkt eigentlich diese Loftästhetik und damit auch die Idee einer Nähe von Kunst, Geld und postindustrieller Ästhetik entstand, genauso brauchen wir, glaube ich, etwas Zeit und verschiedene Experimente, um auch die aktuellsten geldkulturellen und architekturkulturellen Fehlschläge umzunutzen und damit Umgangsweisen zu entwickeln, und wenn diese sich nicht finden lassen, dann gibt es ja immer noch die Option Abriss.
Schäfer: Herr Trüby, glauben Sie, dass der Bauherr als Person zurückkehren wird?
Trüby: Er ist nach wie vor präsent, vor allem natürlich im Bereich im Luxussegment. Wir können gegenwärtig eine Koexistenz im Architekturdiskurs von sehr politischen, sehr sozialen Themen und auf der anderen Seite von Luxusthemen diagnostizieren. Es gab noch nie so viele Menschen mit so viel Geld und noch nie so viele Menschen mit so wenig Geld. Die Teilung der Welt in arm und reich bildet sich auch im Architekturdiskurs ab. Allein im deutschsprachigen Raum gibt es verschiedene Architekturzeitschriften auch mit theoretischem Anspruch und die aktuellste Ausgabe der Schweizer Zeitschrift archithese ist dem Thema Luxus gewidmet, während eine andere Zeitschrift dem Thema des genossenschaftlichen Bauens oder dem Thema Bauen für Flüchtlinge gewidmet ist. Wir müssen, glaube ich, diese Schizophrenie der Themen zusammendenken, und indem wir sie zusammendenken, erfahren wir mehr über die unterschiedlichen Bauherren, die das Spektrum der Gegenwart für die Architekten bereithält.
Schäfer: Und wenn das nicht schon ein Schlusssatz gewesen wäre, dann haben Sie jetzt eine höchst aktuelle Frage gestreift, nämlich das soziale Bauen - anhand der vielen Menschen, die zu uns kommen wollen, ob für länger oder für kurz, muss man sich natürlich überlegen, wie geht weitere Verdichtung in Städten überhaupt noch und was sind die Modelle, also vielleicht eben nicht die des einzelnen Bauherrn, sondern die der Gruppe der Gemeinschaft.
Trüby: Es ist vielleicht interessant, dass wir über diese Frage in Stuttgart diskutieren. Stuttgart ist nach meiner Wahrnehmung und nicht nur nach meiner Wahrnehmung auf der einen Seite die Großstadt in Deutschland, in der es den höchsten Ausländeranteil - hätte man früher gesagt -, in den deutschen Großstädten gibt, auf der anderen Seite gibt es überhaupt keine Probleme, selbst konservative Bürgermeister haben vor einigen Jahren das Ausländeramt in Stuttgart abgeschafft mit der Begründung, dass es keine Ausländer, nur Stuttgarter gäbe. Ich glaube, Stuttgart könnte vor diesem Hintergrund ein Vorbild sein für ein sehr dichtes multiethnisches Zusammenleben von Menschen, und wenn man gerade auf andere Städte in Deutschland blickt, dann kann man diese Menschen nur einladen, nach Stuttgart zu kommen und diese Stadt mit neuen Blicken zu genießen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.