Dass in London nun über die Auslieferung an die USA entschieden wird, hat eine lange Vorgeschichte - und hat auch etwas mit einem Vorfall in Schweden zu tun: Dort wurden Assange vor rund zehn Jahren Sexualdelikte vorgeworfen; die Staatsanwaltschaft erwirkte einen europäischen Haftbefehl, der letztlich zur Flucht von Assange in die Botschaft Ecuadors in London führte.
Vergewaltigungsvorwürfe als Auslöser
Bei einem Kongress in Schweden 2010 soll Assange zwei Frauen kennengelernt haben, die später zunächst Vorwürfe wegen Vergewaltigung und wegen sexuellen Missbrauchs erhoben. Assange bestritt die Anschuldigungen. Seitens der schwedischen Staatsanwaltschaft wurden daraufhin Vorermittlungen eingeleitet.
Im November 2019 wurde das Verfahren dann eingestellt, denn der Vorwurf der Vergewaltigung war verjährt. Zwar halte man die Frauen für glaubwürdig, die Beweislage sei jedoch zu schwach, die Zeugenaussagen teilweise widersprüchlich. Nach den Recherchen des UN-Folterexperten Nils Melzer dienten die Vorwürfe in Schweden als ein Konstrukt, um Assange als Person zu diskreditieren. Mediale Aufmerksamkeit erfuhren Melzers Berichte und Interviews in Schweden jedoch im Vergleich zu Deutschland kaum.
"Der schwedische Staat hat viele Fragen nicht wirklich umfangreich beantwortet"
Assange habe ein Angebot gemacht, sich gegen eine Zusicherung seiner Nicht-Auslieferung an die USA den Behörden zustellen, so Melzer. Dem sei die schwedische Regierung unter Verweis auf einen fehlenden Auslieferungsantrag der USA nicht nachgekommen. Der Vorwurf Melzers, es handele sich bei der Verweigerung einer Zusage um ein Ergebnis politischen Drucks seitens der Vereinigten Staaten wies die schwedische Regierung zurück. Zuletzt hatte 2016 eine indirekte Befragung Assanges durch schwedische Beamte in der ecuadorianischen Botschaft stattgefunden. In der Folge waren die Ermittlungen zum Vergewaltigungsvorwurf zunächst eingestellt worden.
Das Verfahren werfe dennoch kein schlechtes Licht auf den schwedischen Rechtsstaat, meint Carsten Schmiester, ARD-Korrespondent für Skandinavien und das Baltikum. Aber: Der schwedische Staat habe viele Fragen nicht wirklich umfangreich beantwortet. Seit Einstellung des Verfahrens 2019 habe das Thema kaum noch Aufmerksamkeit in der schwedischen Presse erfahren – ein Symptom dafür, dass man eventuell froh sei, dass sich der Schauplatz nach London verlegt habe, so Schmiester. Möglicherweise habe die Presse nach neun Jahren permanenter Assange-Berichterstattung die Lust an dem Thema verloren.