Asteroiden-Einschlag
D-Day: Der Anfang vom Ende der Dinosaurier

Es war ein rabenschwarzer Tag für das Leben auf der Erde, als vor 66 Millionen Jahren ein Asteroid in die Erde raste. Inzwischen lässt sich recht genau nachvollziehen, was passiert ist - von der letzten Sekunde des Erdmittelalters bis zu dem Moment, als sich die neue Welt aus den Trümmern der alten erhob. (Eine Wiederholung vom 1. Januar 2021)

Von Dagmar Röhrlich |
Illustration: Blick aus dem Weltall auf den Einschlag des Chicxulub-Asteroiden
Ein ausgesprochen rabenschwarzer Tag für das Leben auf der Erde: Der Chicxulub-Asteroid schlägt ein (www.imago-images.de/Mark Garlick/Science Photo Library )
Verborgen unter mächtigen Sedimenten zieht sich der Chicxulub-Krater von der Yukatan-Halbinsel bis in den Golf von Mexico. Hier lag wochenlang ein Hubschiff im flachen Küstenwasser.
"Diese Bohrung hat eine sehr lange Vorlaufzeit gehabt, also mehr als 10 Jahre. Und das hat sich zum Glück ausgezahlt, weil diese Bohrung jetzt auch mit zu den wissenschaftlich erfolgreichsten gehört."
1335 Meter bohrten die Forscher in die Tiefe des Meeresbodens, mitten hinein ins Geschehen, das vor 66 Millionen Jahren das Ende der Dinosaurier besiegelte.
"Ja, das war ein sehr übler Tag in vielerlei Hinsicht. Und das passierte in wenigen Stunden."

"Sampling-Party" im Zentrum für Marine Umweltwissenschaften

Bremen, 2016. Am Marum herrscht an diesem Tag Hochbetrieb: Es ist "Sampling-Party". Aus aller Welt sind die an der Bohrung beteiligten Wissenschaftler zusammengekommen, um aus insgesamt 830 Metern Bohrkernen Proben für ihre Analysen zu nehmen.
Auf einem Tisch, der im Flur aufgebaut worden ist, liegen Bohrkerne. Jeder anderthalb Meter lang. Einer ist besonders interessant. Er lässt die Wucht erahnen, mit der ein Asteroid vor 66 Millionen Jahren die Erde traf.
"Das Schwarze hier, das ist Felsgestein, das Drücken über 60 Gigapascal ausgesetzt war und von dem Einschlag sofort aufgeschmolzen wurde.
Joanna Morgan ist Geophysikerin am Imperial College in London und forscht seit Mitte der 1990er Jahre am Chicxulub-Krater. Das Gestein vor ihr: chaotisch, anthrazitfarben und schwarz, durchzogen von hellen Adern, mit Bruchstücken von rotem Granit darin. Im Moment vor dem Einschlag lagen diese Granitstücke noch acht oder zehn Kilometer tief unter der Erde.
Auch Sean Gulick von der University of Texas in Austin ist nach Bremen gekommen, um Proben zu nehmen.
"Es gibt Stücke von Gesteinsschmelze, die durch die hohen Drücke beim Einschlag entstanden sind. Sie sind dann auseinandergebrochen, um in noch mehr Schmelze und noch mehr zerbrochenem Material eingearbeitet zu werden, das genau dort zusammenfloss, wo wir gebohrt haben. Das alles ist damals innerhalb von Minuten passiert – das ist faszinierend."
Blick in das Marum-Labor: Vorne aufgeschnittene Bohrkerne, an der Wand hinten bunt eingefärbte Bilder der Bohrkernstrukturen
Bohrkerne mit Einschlagsbrekzie und Bilder mit Falschfarbenanalysen eines Bohrkerns (Marum)

Einschlag mit der Energie von einer Milliarde Hiroshima-Bomben

Die Bohrkerne sind wie Zeitkapseln: Schon als sie im Oktober 2016 in Bremen ankamen, war klar: Mit ihnen sollte sich der Ablauf der Katastrophe entschlüsseln lassen. Minuten, Stunden, Tage, in denen die Karten für das Leben auf der Erde neu gemischt wurden.
Für einige Dinosaurier war die Sonne gerade aufgegangen, für andere unter. Sie fraßen, schliefen, kämpften, zankten oder umwarben sich. Bis zu diesem ohrenbetäubenden Überschallknall - dem Moment, als die Hölle losbrach. Ein Asteroid, größer als der Mount Everest, traf mit 54.000 oder mehr Kilometern pro Stunde aufs Meer und bohrte sich tief in die Erde.
"Diese Bewegungsenergie ist dann in Hitze und in eine sogenannte Schockwelle überführt worden."
Ulrich Riller ist Strukturgeologe an der Universität Hamburg. Mit den ganzen Daten der jüngsten Analysen hat er sein Modell gefüttert. Der Einschlag, sagt er, setzte eine Energie von vielleicht 100 Millionen Megatonnen TNT-Äquivalent frei – die Energie von einer Milliarde Hiroshima-Bomben.
"Die Schockwelle beschleunigt das Gestein nach unten hin, in die Erdkruste hinein und auch zu den Seiten hin."

Rückstoß des Erdmantels schleudert Material 30 Kilometer empor

Die Temperatur war ungeheuerlich: Fast hunderttausend Kubikkilometer Gestein verdampften oder schmolzen sofort. Was die Hitze nicht erledigte, zertrümmerte die Schockwelle. "Dadurch ist erst einmal ein Krater entstanden, der 30 Kilometer tief war und 100 Kilometer breit im Durchmesser."
Dauer: vielleicht eine Minute. Das zertrümmerte Gestein verlor jeden Zusammenhalt, bewegte sich, als wäre es flüssig. Joanna Morgan: "An den Rändern türmte sich ein Wall von der Höhe des Himalayas auf. Dann kollabierte dieses riesige Loch."
In gigantischen Lawinen strömte das Gestein zum Zentrum – und eine Wolke aus zerstäubtem und geschmolzenem Gestein stieg auf. Dann: der Rückstoß! Der eben noch zusammengepresste Erdmantel schwang zurück. Sean Gulick: "Als ob Sie einen Stein in einen Teich werfen schoss es 20 oder 30 Kilometer hoch in die Luft. Dann kollabierte es wieder."
Das Ringgebirge des Chicxulub-Kraters entstand. Nach nur fünf Minuten hatte der Krater seine Größe von rund 180 Kilometern erreicht. Schmelze brodelte in ihm, während es glühend heiße Gesteinsbrocken regnete, die alles, auch das frische Ringgebirge, mit einer Schicht überzogen.

Kaltes Ozeanwasser trifft auf 1000 Grad heiße Gesteinsschmelze

Nach einer halben Stunde kam das Meer zurück. Der erste Kontakt dürfte explosiv gewesen sein. Ulrich Riller:
"Man hat also kaltes Ozeanwasser, was also in einem unheimlich großen Schwall in den Krater hereinbricht und dann mit einer überhitzten Schmelze, die, ja, etwa nach einer halben Stunde immer noch weit über 1000 Grad Celsius hat, interagiert."
Sean Gulick: "Als das Meer den Krater flutete, setzte sich das vom Wasser gerade aufgewirbelte Gesteinsmaterial ab, das grobe zuerst und dann das feinere. Diese geschichtete Lage ist 80 oder 90 Meter mächtig. Oben auf dieser Schicht sehen wir dann die Anzeichen eines zurückkehrenden Tsunami. Ein Teil muss auf Land aufgelaufen und dort reflektiert worden sein. Das nächstgelegene Festland war 800 Kilometer entfernt. Doch es gibt Hinweise in Form von Holzkohle und Biomarkern, dass die Wasserfluten trockenes Land gesehen hatten. Eine Art chemischer Signatur von holzabbauenden Pilzen. Das alles passierte innerhalb eines Tages, wahrscheinlich viel schneller."
An Ground Zero überlebte nichts und niemand: kein Meeresreptil, kein Fisch, kein Bakterium. Nichts. Und auch im weiten Umkreis regierte der Tod. Dabei war der Einschlag nur der Anfang: Mit ihm lief eine Kettenreaktion an, deren Folgen keinen Ort der Erde verschonten.
Red Deer River Valley, Alberta, Canada: Die Spitze des Geologenhammers weist auf die iridiumreiche, etwa zwei Zentimeter dicke Tonschicht. 
Die dünne Schicht aus pulverisiertem Erdgestein und Asteroidenmaterial findet sich an vielen geologischen Stätten rund um die Welt (www.imago-images.de/Francois Gohier )

Letzter, tödlicher Blick in eine "zweite Sonne"

Eine Rinderfarm bei Bowman, North Dakota. Das Vieh kümmert es nicht, dass unter seinen Klauen der Moment überliefert sein könnte, als das Mesozoikum zu Ende ging: In einer feuchten, von Rissen durchzogenen Lage, die bis heute nicht wirklich fest geworden ist, finden sich Fischfossilien, so empfindlich, dass sie an der Luft zerbröckeln. Sie sind verheddert zwischen Baumwurzeln, gefangen zwischen Stämmen und Ästen, ihre Kiemen verstopft mit feinem Schutt. Eine Totengemeinschaft, die wohl Opfer des Tsunami geworden ist. Bedeckt sind sie mit einer tonigen Lage, die voll ist von etwas, das auf den ersten Blick aussieht wie Sandkörner. Es sind Mikrotektite, Körnchen aus Glas, die entstehen, wenn nach einem Einschlag erstarrte Gesteinsschmelze auf die Erde regnet.
Wer sich vor 66 Millionen Jahren in 1000 oder 1500 Kilometer Entfernung vom Einschlagsort aufhielt, konnte ein seltsames Himmelsphänomen beobachten. Joanna Morgan:
"Der erste Bote war diese große, strahlenden Wolke am Himmel – so etwas wie eine zweite Sonne. Sie bestand aus verdampftem Material und war sehr heiß, mehrere tausend Grad, 20mal heißer als die Oberfläche der Sonne. Die Wolke dehnte sich schnell aus, kühlte ab, strahlte als Plasma seine ganze Energie ab. In dem Moment, in dem Sie diese zweite Sonne sahen, waren Sie schon Asche – und wurden dann von dem Auswurf aus dem Krater zugedeckt."
Illustration: Ein Tyrannosaurus versucht vor dem glühenden Steinregen zu fliehen, im Hintergrund brennen bereits die Wälder
Das emporgeschleuderte und glühend zurückfallende Gestein dürfte auf allen Kontinenten Flächenbrände ausgelöst haben (imago stock&people/Mark Garlick/Science Photo Library )

Platzregen aus Feuerbällen löst Flächenbrände aus

Erdbeben liefen rund um die Welt. Ein Dinosaurier, der 2000 Kilometer vom Chicxulub entfernt vom Knall erschreckt aufschaute, spürte, wie sich der Boden unter seinen Füßen um 20, 30 Zentimeter hob. Ausgeworfener Schutt verdüsterte den Himmel: Nach zwei, drei Stunden war die gesamte Erde in Dunkelheit gehüllt. Noch während sich der Himmel zu verdüstern begann, verrichtete die Schwerkraft ihr Werk: Hoch hinauf geschossenes zerstäubtes Gestein verglühte beim Wiedereintritt in die Atmosphäre - ein Platzregen aus feurigen Sternschnuppen, der für enorme Strahlungshitze sorgte.
"Nach ein paar Stunden gab es sicherlich auf fast allen Kontinenten Flächenbrände."
Wo die Feuer wüteten, kamen zahllose Dinosaurier um - und mit ihnen zahllose andere Tiere.
"Das wären also die ersten paar Stunden."

Es wird dunkel auf der Erde - und sehr kalt

Die Flammen setzten auch gewaltige Mengen an Asche- und Rußpartikel frei, die Teil wurden dieser dunklen Decke hoch oben in der Atmosphäre. Von ihrer Existenz zeugt eine drei Millimeter dicke Schicht, die sich überall in Gesteinen aus dieser Zeit finden lässt: Sie ist voll mit feinkörnigen Partikeln, mit Iridium – der Signatur des Einschlags – und mit Ruß. Es wurde düster auf der Erde und sehr kalt. Um 20, 26, 27 Grad soll die globale Durchschnittstemperatur gefallen sein. "Das ist gewaltig."
Modellrechnungen zufolge blieb es ein Jahr dunkel. Andere sehen eher zwei, drei Jahre, wieder andere 15. Joanna Morgan:
"Wenn Sie weiter weg waren, haben Kälte und Dunkelheit sie nicht sofort getötet. Doch die globale Verdunkelung brachte die Photosynthese zum Erliegen. Sie verloren das Plankton im Meer und die Pflanzen an Land. Und dann verhungerten natürlich alle, die sich von diesen Pflanzen ernährten – und auch alle, die sich von denen ernährten, die sich von Pflanzen ernähren. Weiter weg von der Einschlagstelle sind die Tötungsmechanismen nicht ganz so klar."
Drei Dinosaurier stehen in einer verwüsteten Szenerie an einem kleinen verbliebenen Wasserloch 
Keine Nahrung mehr, kaum noch Wasser - auch die zunächst überlebenden Saurier hatten keine Chance mehr (imago stock&people/Mark Garlick/Science Photo Library)

Warum hatte der Einschlag so tödliche Folgen?

Warum konnte dieser eine Einschlag so tödliche Folgen haben? Um diese Frage zu beantworten, nutzte Ulrich Riller die Ergebnisse geophysikalischer Untersuchungen und die Daten aus den Bohrkernanalysen des Chicxulub.
"Wenn man genau den Krater vermisst in seiner Geometrie, dann stellt man durchaus fest, dass die Krater eine kleine Elliptizität haben, die man so mit dem bloßen Auge nicht erkennen kann."
Der Kraterrand ist ein wenig verzerrt, ebenso das Ringgebirge im Zentrum des Kraters.
"Und die Mittelpunkte sowohl von dem Kraterzentrum als auch von dem Ringgebirge, die beiden stimmen nicht überein. Sie sind etwas verschoben, sind ein paar Kilometer voneinander getrennt. Und was auch erstaunlich ist, das hat man über geophysikalische Vermessungen des Kraters herausgefunden, ist, dass auch die Kruste-Mantel-Grenze etwas verschoben ist in Bezug auf den Kratermittelpunkt und auch den Mittelpunkt des Gebirges."

Asteroid traf die Erde im ungünstigsten Winkel von 60 Grad...

Aus der Linie zwischen diesen drei Punkten lässt sich der Einschlagswinkel bestimmen – und die Berechnungen zeigen, dass der Asteroid die Erde im ungünstigsten Winkel überhaupt traf – nämlich in einem Winkel von 60 Grad.
"Warum jetzt dieser Winkel, 60 Grad, so tödlich ist, hängt damit zusammen, dass ein ganz flacher Einschlag quasi die Erdkruste nur streifen würde und nur einen ganz geringen Teil der Erdkruste quasi, salopp gesagt, ankratzen würde."
Im Zielgebiet wäre wenig Material geschmolzen und verdampft. Bei einem vertikalen Treffer wäre es genau umgekehrt, es entstünde der größtmögliche Krater. Allerdings:
"Ein 60-Grad-Winkel hat den zusätzlichen Effekt, dass durch die Schiefe des Einschlags auch noch sehr viel Material in die Atmosphäre geschleudert wird. Und damit haben wir bei 60 Grad zwei Effekte: einmal ein sehr, sehr großmaßstäbliches Aufschmelzen und Verdampfen der Erdkruste und durch die Schiefe auch ein sehr aktives Herausschleudern von Material in die Erdatmosphäre. Und beides zusammen wirkt also maximal, was dann hinterher die Konsequenzen für die Lebewelt angeht."
Illustration: Der Asteroid schlägt schräg in das Wasser ein, vorne ein Meeressaurier
Ungünstigster Eintreffwinkel, ungünstigste Stelle - die Dinosaurier und die anderen Lebewesen hatten ausgesprochenes Pech im Unglück (imago stock&people/Mark Garlick/Science Photo Library)

...und auch noch an einer denkbar ungünstigen Stelle

Der Asteroid schlug aber nicht nur im ungünstigsten Winkel überhaupt ein, sondern auch an ungünstiger Stelle: Er raste in ein etwa 200 Meter tiefes, tropisches Meer, an dessen Grund sich drei Kilometer mächtige Ablagerungen aus Gips und Kalkstein gebildet hatten. Sean Gulick:
"Sie wurden vollständig verdampft, und der gesamte Schwefel aus dem verdampften Gips verband sich mit Wasser. Es entstanden Sulfat-Aerosole. Auch die wurden Teil der Staubwolke und blockierten in der Stratosphäre für eine gewisse Zeit das Sonnenlicht. Zudem gingen Sulfat-Aerosole aus der unteren Atmosphäre als saurer Regen nieder."
Die Daten aus den Bohrkernanalysen des Chicxulub sind inzwischen zu einer Matrix geworden, in die sich die Forschungsergebnisse von weiteren Schauplätzen einhängen lassen. Etwa die von Geulhem in den Niederlanden. 1360 wird der kleine Ort erstmals urkundlich erwähnt. Bekannt ist das Bergwerk, das den Geulhemmerberg durchzieht. Hier wurde Mergelstein gefördert. Ein 25 Kilometer langes System unterirdischer Gänge, das Menschen im Lauf der Jahrhunderte immer wieder als Zufluchtsort benutzt haben. Die wenigsten werden jedoch diese schwarze, bis 40 Zentimeter mächtige Tonschicht beachtet haben, die in den gelben Mergelstein eingebettet ist.

Zuerst versauern die Ozeane sehr stark...

"Vor 66 Millionen Jahren lagen die Niederlande etwa auf der geographischen Breite von Venedig. Diese Sedimente entstanden in einem warmen, flachen Meer in Küstennähe."
Michael Henehan vom Geoforschungszentrum Potsdam interessiert sich dafür, wie sich die Meereschemie im Übergangszeitraum zwischen Erdmittelalter und Erdneuzeit verändert hat. Damals sammelten sich diese schwarzen Tone in Vertiefungen des Meeresbodens an, wenn die gewaltigen Stürme einmal nachließen, die die atmosphärischen Störungen durch Einschlag und Flächenbrände ausgelöst hatten.
"Gegen Ende der Kreidezeit fanden wir kaum Schwankungen des pH-Werts im Ozean. In den letzten 100.000 Jahren vor dem Einschlag scheinen die Verhältnisse also recht stabil gewesen zu sein. Dann plötzlich sehen wir einen sehr starken Abfall im Meeres-pH. Das spricht dafür, dass auch die Meeresversauerung bei dem Massenaussterben an der Kreide-Paläogen-Grenze eine wichtige Rolle gespielt hat."
Plötzlich war es für Lebewesen, die Kalk für den Aufbau ihrer Körper brauchten, schwer, ihre schützenden Panzer zu bilden. Nur wer mit einem Versauerungsschub fertig wurde, überlebte.

...und dann steigt der ph-Wert wieder drastisch an

"Was wir dann noch entdeckt haben – und das traf uns eher unerwartet – das war, dass der pH-Wert nach der ersten Versauerung durch den Asteroideneinschlag wieder auf sehr, sehr hohe Werte zurücksprang."
Die säureangepassten Arten, die eben noch die Versauerung überstanden hatten, waren plötzlich mit einem noch drastischeren Ausschlag in die andere Richtung konfrontiert. Die Ursache dafür lag an Land: Der saure Regen ließ die Gesteine in Rekordtempo verwittern und spülte Massen an Kalziumkarbonat-Ionen ins Meer. Doch es war kaum noch jemand da, der sie für den Schalenaufbau nutzte.
Wäre der Asteroid nicht auf einer Karbonatplattform, sondern in der Tiefsee gelandet, irgendwo im Tethysmeer oder im Pazifik jener Tage: Es hätte wohl kein globales Massenaussterben gegeben. So aber starben weltweit 75 Prozent aller bekannten Tier- und Pflanzenarten aus. Alle Gruppen waren betroffen. T-Rex war wohl schlicht zu groß und gefräßig für diese Welt. Auch die erfolgreichsten Vögel, die bezahnten Enantiornithes, blieben zurück. Ebenso die meisten Säugetiere, wie die Deltatheroiden, die kleinen Beutelwölfen glichen und Jagd machten auf kleine Dinosaurier. In den Weltmeeren kam für die gigantischen Mosasaurier das Aus.
Geologe David Kring nimmt einen aufgeschnittenen Bohrkern unter die Lupe: Analyse von Mikrofossilien (Foraminiferen) aus dem Bohrkern und aus Zeit nach der Katastrophe, als wieder Leben im Krater gefunden wurde
Die Analyse der Bohrkerne verrät auch, dass es sehr schnell wieder Leben im Krater gab (Marum)

Sogar am "Ground Zero" kehrt das Leben schnell zurück

So schwer der Schlag für die Ozeane gewesen war, so schnell kehrte das Leben zurück. Im Chicxulub, das zeigt die Bohrung, sogar ausgesprochen schnell. Chris Lowery von der University of Texas in Austin:
"Selbst am Ground Zero, dem Ort, an dem der Asteroid einschlug, selbst dort war das Meer innerhalb weniger Jahre wieder bewohnbar. Innerhalb von vielleicht zwei, drei Jahren war der feine Schutt auf den Meeresboden gesunken – und wir finden darin tatsächlich Beweise dafür, dass es im Krater Lebewesen gab."
Zu verdanken ist das wohl einem glücklichen Umstand in dieser tragischen Geschichte: Der Asteroid hatte sich in einen untermeerischen Abhang gebohrt:
"Weil der Chicxulub-Einschlag in einen Hang ging, bildete sich nur im flacheren Teil ein deutlicher Kraterrand, so dass der Krater nach Nordosten zum Golf von Mexiko hin offen war. Meerwasser konnte eindringen und wieder aus dem Krater heraus zirkulieren. Das verhinderte, dass er zu einem anoxischen Becken wurde."
Erstaunlicherweise gibt es geochemische Marker für eine Cyanobakterienblüte. "Das ist wirklich aufregend: Ein paar Prozent Sonnenlicht müssen noch durchgekommen sein, so dass sich einige phytoplanktonischen Arten ans Leben klammern und irgendwie ein paar Jahre durchhalten konnten, bis die Sonne wieder herauskam. Im Chicxulub-Krater ist die Primärproduktivität innerhalb von zehntausend Jahren nach Einschlag sehr hoch. Wir sehen auch in einigen anderen Teilen der Meere, dass die Produktivität nach der Grenze wieder relativ hoch war. Doch im weltweiten Durchschnitt war sie stark reduziert – und zwar mindestens 1,8 Millionen Jahre lang."

Pilze und Farne kommen zurück

An Land war es ein Vorteil, im Wasser zu leben. Nicht, dass die Tiere in den Seen und Flüssen ungeschoren davongekommen wären – viele starben. Doch es verschwanden sehr viel weniger Arten als in den Meeren und erst recht als auf dem Trockenen. Flüsse und Seen zählten neben tiefen Tälern und Küstenregionen zu den Refugien für die überlebenden Vögel, Säugetiere, Schildkröten, Krokodile und Schlangen.
An Land ist die Überlieferung aus dieser Zeit lückenhaft. Doch es gibt einige Orte, an denen Sedimente Einblicke in diese Zeit gewähren. Etwa in Neuseeland, erzählt Tyler Lyson vom Denver Museum of Nature and Science:
"Dort sehen wir als erstes eine Spitze in den Pilzsporen. Denn unmittelbar nach dem Massenaussterben rottete wegen all‘ der toten Pflanzen und Tiere die ganze Welt vor sich hin."
Pilze konnten die Biomasse verwerten. Eine andere Fundstelle in der Nähe von Denver zeigt, was danach geschah:
"In verschiedenen Wellen kamen Farne zurück´. Erst die eine Farnart, dann die zweite... Insgesamt sind es sechs bis acht verschiedene Wellen. Und das alles passierte innerhalb von Jahren, vielleicht Jahrhunderten. Genauere Aussagen lässt die Auflösung an Land nicht zu."
Illustration: Ein rattenähnlicher Kleinsäuger auf der Jagd nach Insekten
Der hypothetische Vorfahr aller Säuger könnte so ausgesehen haben. (Carl Buell)


Pionierorganismen waren klein - und Allesfresser

Es war die Zeit der Pionierorganismen, die schnell wieder offenes Gelände besiedelten. Wer durch Zufall oder mit Glück die Katastrophe überstanden hatte, der musste in dieser Welt zurechtkommen.
"Jedes Zeitintervall direkt vor und nach einem Massenaussterben ist wirklich wichtig, weil wir verstehen wollen, was dieses Massenaussterben verursacht hat und wie schnell sich das Leben nach einem Massenaussterben erholen kann."
Ein paar Muster zeichnen sich ab, längst noch nicht vollständig, aber sie geben erste Hinweise. So stammen die modernen Vögel von bodenbewohnenden Arten aus der Kreidezeit ab. Außerdem von solchen, die keine Zähne hatten, sondern einen Schnabel. Vögel mit Schnäbeln hatten sich schon zuvor viel abwechslungsreicher ernährt als ihre bezahnten Verwandten, und sie kamen mit Samen und Nüssen klar. Ein möglicherweise wichtiger Vorteil in der kargen Welt danach. In der waren ohnehin Größe und hoher Energiebedarf tödliche Nachteile:
"Das größte überlebende Säugetier war etwa rattengroß, also sehr, sehr klein." Und – genau wie Vögel – waren auch sie nicht wählerisch, wenn es ums Fressen ging: "Sie waren Allesfresser: Sie fraßen Pflanzen, Tiere, Aas, alles, was sie kriegen konnten."

Wer Massenaussterben überlebt, entscheidet Zufall und Glück

Das Bild, das sich für das Massenaussterben an der Grenze zwischen Kreide und Paläogen abzeichnet, ist mit Einschlagswinter und galoppierendem Treibhauseffekt, mit Dunkelheit, Meeresversauerung und Flächenbränden sehr komplex. Die Dinosaurier hatten anscheinend schlichtweg Pech, weil der Asteroid im ungünstigsten Winkel an der ungünstigsten Stelle eingeschlagen war. Ob es sie sonst heute noch gäbe – wer weiß. Jedenfalls gab es keinen magischen Grund, keinen einzelnen Killer, der das gesamte Massenaussterben erklärt. Vieles kam zusammen. Und bei der Frage, wer sich in die neue Zeit retten konnte, waren durchaus auch Zufall und Glück im Spiel.
"Der Einschlag des Asteroiden markiert die Trennung zwischen zwei Epochen, zwischen dem Mesozoikum, dem Zeitalter der Reptilien, insbesondere der Dinosaurier, und dem Känozoikum, dem Zeitalter der Säugetiere oder unserer Zeit. Alle Daten deuten darauf hin, dass wir derzeit das sechste Massensterben der Erde erleben. Deshalb erscheint es mir wirklich wichtig zu verstehen, wie lange es dauert, bis Leben nach einem Massenaussterben zurückkehrt."
Wie kurz die Zeitspanne auch geologisch erscheint – für den Menschen ist sie entschieden zu lang. Und es gibt noch eine Lehre: Niemand kann vorhersagen, wer die Katastrophe übersteht. Massenaussterben mischen die Karten von Grund auf neu.