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Astrid Rosenfeld: „Kinder des Zufalls"
Triefender Kitsch auf Poesiealbum-Niveau

Astrid Rosenfelds neuer Roman „Kinder des Zufalls“ spannt einen Bogen vom Deutschland der Kriegszeit bis in das Amerika der Gegenwart. Dabei greift die Erfolgsautorin bei dem Versuch, eine möglichst knallige Handlung mit gefühligen Charakteren zu verbinden, zu oft in die Stereotypenschublade.

Von Christoph Schröder |
Die Autorin Astrid Rosenfeld und ihr Roman "Kinder des Zufalls"
Astrid Rosenfelds Roman "Kinder des Zufalls" ist ein Buch der Aufbrüche und der Lebensumschwünge (Kampa Verlag / imago - Sven Simon)
Aus der Enge der bundesrepublikanischen Wirtschaftswunderzeit flieht Charlotte nach Amerika. Ihr Vater ist ein amerikanischer Offizier, der auch nach dem Krieg in Heidelberg stationiert ist. Helga, Charlottes Mutter, hat dem Offizier den Haushalt geführt. Unerschütterlich, bis zu ihrem Tod. Selbst dann noch, als der Offizier seine Ehefrau nach Deutschland holte. Ein unfreies und verlogenes Leben, in das Charlotte sich nicht einfügen wollte. Was also liegt näher, als im Land der Freien und der unendlichen Weite das Glück zu suchen?
Astrid Rosenfelds Roman ist ein Buch der Aufbrüche und der Lebensumschwünge. Rosenfeld schickt ihr zahlreiches und irgendwann auch nur noch schwer zu überblickendes Personal in eine ungeplante Zukunft. Charlotte, eine der Hauptfiguren, lässt sich treiben und lernt in Texas den Farmer Terry kennen. Der wiederum bringt sie auf seine Ranch in einem kleinen Ort namens Myrthel Spring, der am Ende des Romans noch einmal besondere Bedeutung gewinnen soll. Was Astrid Rosenfelds allwissende und allkommentierende Erzählstimme ihren Figuren ununterbrochen mit auf den Weg gibt, sind Lebensweisheiten und Einsichten auf Poesiealbum-Niveau:
"Nicht vergessen und wieder erinnern sind zwei sehr unterschiedliche Dinge."
Oder:
"Diejenigen, die sich nur vom Schlag ihres Herzens leiten lassen, finden, was sie brauchen."
Die Männer sind hart, ihre Herzen weich
Dennoch gewinnt "Kinder des Zufalls" zumindest im ersten Teil eine gewisse Rasanz, die ein Resultat von Charlottes unstetem Leben ist. Mit dem jungen Collin zeugt Charlotte einen Sohn: Maxwell. Der wird seinen Vater allerdings niemals kennenlernen, weil Collin als Soldat im Vietnamkrieg fällt. Es gibt kein zeitgeschichtliches Ereignis, das Astrid Rosenfeld auslässt, kein Drama, das sie ihren Figuren ersparen würde. Mit ihnen rasen wir durch die Zeit und den Raum. Stuttgart, Kalifornien, Heidelberg, Texas. Erzählt wird in schnellen und harten Schnitten und kurzen Kapiteln.
Der Begriff "herzzerreißend", den Verlagsvorschauen gerne bemühen, war lange nicht mehr so angebracht wie hier. Die Männer sind hart, ihre Herzen dagegen oft weich. Bei den Frauen ist es umgekehrt. Unter der Vorgabe, eine möglichst knallige Handlung mit möglichst gefühligen Charakteren zu verbinden, rutscht Rosenfeld unversehens in den triefenden Kitsch hinein.
Seine Gedanken wanderten ostwärts
Besonders augenfällig wird das im zweiten Teil des Romans. Er setzt ein im April 1945. Annegret ist mit ihrer Mutter vor dem Krieg zu Verwandten auf das brandenburgische Land geflüchtet. Der Bauernhof wird von der einmarschierenden russischen Armee besetzt. Selbstverständlich schänden und ermorden die Russen die Frauen auf grausame Weise, doch die kleine Annegret wird verschont. Unmittelbar nach der Bluttat sitzt jener russische Soldat, der soeben in letzter Sekunde die Axt gesenkt und das Kind am Leben gelassen hat, auf einem Baumstamm im Hof:
"Seine Gedanken wanderten ostwärts, aber er dachte nicht an all das Schreckliche, das er in den letzten Jahren gesehen hatte. Er sah Vater und Mutter die Köpfe zusammenstecken, sah, wie sie sich etwas zuflüsterten, das beide zum Lachen brachte. Und in diesem Lachen lag ihre ganze Liebe. Lag das Leben, das sie zusammen gemeistert hatten."
Ja, so ist das mit dem naturgemäß verrohten Russen. In ihm wohnen dann doch eine empfindsame Seele und eine unverbrüchliche Zuneigung zu Kindern und Tieren. Denn auch die drei kleinen Hunde auf dem Bauernhof müssen nicht sterben.
Ein heldenhafter Fernsehcowboy
Dass Annegret viele Jahre später in ihrer kreuzbiederen Stuttgarter Ehe einen Seitensprung mit einem Russen haben wird, versteht sich von selbst. Wer ständig nur Kartoffeln aus dem Keller holen muss, hat Sehnsucht nach tiefen Gefühlen. Dass aus dem Seitensprung eine Tochter entsteht, die ausgerechnet zur Balletttänzerin wird, ist wiederum ein Griff in die Stereotypenschublade.
Diese Tochter, Elisabeth mit Namen, zieht es ebenfalls in die USA: Sie begegnet nach dem Ende ihrer Tänzerinnenkarriere Charlottes Sohn Maxwell. Der ist abgehalftert, hat knapp zwei Jahrzehnte den heldenhaften Fernsehcowboy gegeben, bevor seine Serie abgesetzt wurde und er keine Anschlussrollen mehr bekam. Nun tun die beiden Lebensverlierer, Maxwell und Elisabeth, sich zusammen.
In Myrthel Spring, wir erinnern uns an den Beginn des Romans, eröffnet Maxwell eine Bar, in der er allabendlich seine Cowboygeschichten zum Besten gibt, während er sich selbst mit Jack Daniels volllaufen lässt. Unterdessen verprasst seine exzentrische Mutter Charlotte das, was von Maxwells beim Film erworbenen Vermögen übrig geblieben ist.
Mixtur aus Frauenbildungsroman und Westernschmonzette
Alles rundet sich zum Ende hin. Zurück zum Ursprünglichen, zurück in die ehrliche Kargheit der ländlichen Räume. Auf ihrem Weg nach Myrthel Spring führen Maxwell und Elisabeth einen Dialog.
"‚Ein schönes Land‘, sagte sie. ‚Ein hartes Land‘, sagte er. ‚Alles, was hier gedeihen soll, muss zäh sein. Pflanzen, Tiere, Menschen.‘"
Zu ergänzen wäre: Zäh und auf alles vorbereitet sein muss auch derjenige, der Astrid Rosenfelds obskure Mixtur aus Frauenbildungsroman, Westernschmonzette und Schicksalsgeraune bis zur letzten Seite durchzulesen gedenkt.
Astrid Rosenfeld: "Kinder des Zufalls", Kampa Verlag, Zürich, 270 Seiten, 22 Euro