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Astrophysik
Die Geometrie des frühen Kosmos

Das Weltall dehnt sich ständig aus – das ist längst bekannt. Ende der 90er-Jahre wurde jedoch überraschend klar, dass diese Expansion immer schneller wird. Über den Grund kann die Fachwelt nur spekulieren. Neue Messdaten könnten nun wenigstens ein bisschen Licht ins Dunkel bringen.

Von Frank Grotelüschen | 08.04.2014
    Lange Zeit schien sie so einfach – die Urknalltheorie. Ihr zufolge nämlich war das Weltall vor knapp 14 Milliarden Jahren in einer Art gewaltigen Explosion entstanden, dem Big Bang. Seitdem dehnt sich das Weltall aus – stetig, aber immer langsamer, so dachte man jedenfalls. 1998 aber kam der Paukenschlag: Damals fanden US-Astronomen heraus, dass sich das Weltall seit etwa sechs Milliarden Jahren nicht langsamer ausdehnt, sondern immer schneller.
    "Als man entdeckte, dass sich die Expansion des Universums beschleunigt, war das eine faustdicke Überraschung. Schließlich hatten wir fest damit gerechnet, dass sich die Expansion allmählich abschwächt. Das wäre so, als wirft man einen Ball in die Höhe, und dieser Ball würde, statt immer langsamer zu werden, immer schneller nach oben fliegen", sagt Patrick McDonald, Astronom am Lawrence Berkeley National Laboratory in Kalifornien. Es müsse da wohl, so schloss die Forschergemeinde, eine Art unbekannte Kraft geben, die der gewohnten Gravitation entgegenwirkt.
    "Wir bezeichnen das als dunkle Energie. Aber eigentlich ist dieser Begriff nur der Ausdruck dafür, dass wir diese beschleunigte Expansion des Kosmos nicht erklären können und in der Physik offenbar eine grundlegende Lücke klafft."
    Seit Jahren versuchen die Experten nun, sich an das unbekannte Phänomen heranzutasten. Als Voraussetzung dafür müssen sie allerdings erst mal eine grundlegende Frage klären: Wie im Detail ist die Expansion des Universums eigentlich verlaufen? Wenn man das genauestens wüsste, ließe sich, so die Hoffnung, die Natur der dunklen Energie vielleicht endlich verstehen. Erste Schritte sind die Experten bereits gegangen.
    "Wie die Expansion des Weltalls in den vergangenen sechs Milliarden Jahren lief, lässt sich recht gut abschätzen, indem man möglichst viele Galaxien beobachtet und miteinander vergleicht. Doch für die Zeit davor mussten wir uns andere Bezugsobjekte suchen. Und da kamen wir auf die Idee, sogenannte Quasare zu nutzen."
    Offenbar grundlegende Wissenslücke der Astrophysik
    Herkömmliche Galaxien wie unsere Milchstraße leuchten zu schwach, um sie auf riesige Entfernungen noch genau genug erkennen zu können. Quasare hingegen sind extrem helle Galaxien, tausendmal heller als die Milchstraße, sagt McDonalds Kollege Andrue Font-Ribera.
    "Ein Quasar ist deshalb so hell, weil in seinem Zentrum ein riesiges schwarzes Loch sitzt, das Unmengen an Materie verschlingt. Dabei wird diese Materie so heiß, dass sie extrem viel Strahlung freigesetzt. Und diese Strahlung können wir beobachten."
    Quasare sind so hell, dass man sie selbst über eine Entfernung von elf Milliarden Lichtjahren noch gut beobachten kann – wodurch die Forscher automatisch elf Milliarden Jahre in die Vergangenheit schauen. Mit einem Teleskop in New Mexiko begannen sie 2009 ihre Messungen. Letzte Woche erst wurde das Projekt namens BOSS beendet, ein Großteil der Daten von insgesamt 150.000 Quasaren ist mittlerweile ausgewertet. Das Resultat: Damals, vor elf Milliarden Jahren, haben sich die Galaxien mit einer Geschwindigkeit von 68 Kilometern pro Sekunde voneinander wegbewegt.
    "Es gibt eine gewisse Diskrepanz zwischen unseren Messungen und der gängigen Theorie der kosmischen Expansion. Unser Wert liegt ein wenig unterhalb der theoretischen Vorhersage. Wir müssen das zwar noch mit weiteren Daten bestätigen. Aber es kann durchaus sein, dass die heutige Theorie überarbeitet werden muss."
    Die BOSS-Daten sind mit einem Fehler von nur zwei Prozent die bislang genausten Messungen der kosmischen Expansion. Dennoch sollen zwei neue Missionen noch präzisere Daten liefern. Und dann werden die Kosmologen das Problem der dunklen Energie gezielter angehen können als heute. Denn dann dürfte klar sein, wann genau die dunkle Energie die Regie über das Universum übernommen hat.