Sandra Schulz: "Was hat der denn mit meinem Leben zu tun", fragen die einen, wenn überhaupt. Andere würden nie einen Prüfungs- oder Friseurtermin verabreden, ohne vorher im Mondkalender nachzuschauen. Unabhängig davon, in welche Gruppe man zählt, wird die kommende Nacht eine, in der der Mond was wirklich Interessantes macht. Er verschwindet nämlich, obwohl wir heute Nacht eigentlich Vollmond haben, und genau genommen geht er erst gar nicht richtig auf. Und weil das nicht irgendeine Mondfinsternis wird, sondern die längste totale Mondfinsternis des 21. Jahrhunderts, darum ist auch von einer Jahrhundertfinsternis die Rede.
Wir wollen uns das in den nächsten Minuten erklären lassen. Am Telefon ist Harald Lesch, Professor für Astronomie, Astrophysik und Kosmologie an der Ludwig-Maximilians-Universität in München und im ZDF auch Moderator mehrerer Wissenschaftssendungen. Schönen guten Morgen!
Harald Lesch: Guten Morgen! - Hallo!
Eine besondere Mondfinsternis
Schulz: Wir brauchen jetzt erst noch mal die Nachhilfe zu den Basics. Wie kommt es zu der Mondfinsternis?
Lesch: Der Mond umkreist ja die Erde und ab und zu gerät er mal in den Erdschatten, nämlich dann, wenn die Erde die Sonne verdunkelt. Wären wir beide zum Beispiel heute Abend auf dem Mond, dann würden wir eine Sonnenfinsternis beobachten. Damit wird eigentlich klar, was da passiert, nämlich dass der Mond tatsächlich in den Erdschatten gerät. Da er diesmal besonders weit weg ist von der Erde, nämlich die größte Entfernung hat, deswegen dauert sie besonders lang. Das heißt, er wird 103 Minuten lang im Erdschatten sein, und dabei wird er auch rot werden. Deswegen ist ja auch die Rede vom Blutmond und so weiter.
Diesmal ist es eigentlich eine besondere Mondfinsternis, weil er so weit weg ist. Aber jetzt mal ganz unter uns: Es ist eigentlich nichts Dramatisches, weil der Mond macht das schon immer. Schon so lange er lebt dreht er sich um die Erde und dann gerät er ab und zu auch mal in den Erdschatten. Aber diesmal ist es so, dass wir Menschen daraus ein Ereignis machen.
Schulz: Herr Lesch, wir sprechen ja grundsätzlich unter uns, wie das unsere Art ist. - Wenn Sie mir das so erklären, warum wird der Mond dann nicht finster, wie der Name ja eigentlich sagt, sondern rot, so dass, wie Sie es auch gerade schon sagen, manche auch von einem Blutmond sprechen?
Lesch: Das liegt daran: Das Licht der Sonne wird in unserer Atmosphäre unterschiedlich stark verteilt. Deswegen gibt es das Abendrot oder auch das Morgenrot, weil das weiße Licht der Sonne aufgesplittet wird von der Atmosphäre, und das rote Licht ist das, was am längsten übrig bleibt. Deswegen sind diese Erscheinungen rot und so ist es auch hier.
Das Licht, das von der Sonne noch durch die Atmosphäre der Erde geht, das wird am meisten gestreut. Was übrig bleibt ist das rote Licht, so dass der Mond im Prinzip nur von rotem Sonnenlicht getroffen wird, und dann wird er im Kernschatten rot.
Ein 100.000-Jahre-Ereignis
Schulz: Der Mars zeigt sich heute ja auch noch. Was das Ereignis oder die Konstellation zu so einer besonderen macht, dass andere Kenner nun wiederum ausgerechnet haben, dass so was nur einmal alle 100.000 Jahre vorkommt. Woran erkenne ich den Mars?
Lesch: Der Mars ist momentan sehr nahe und er ist sehr rot. Er ist von Hause aus sehr rot, seine Oberfläche ist sehr rot. Und er ist ganz in der Nähe heute Abend, wenn der Mond aufgehen wird. Ungefähr 20:45 Uhr wird das losgehen. Ab 21:30 Uhr wird er im Kernschatten sein. Dann ist der Mars ganz in der Nähe.
Das hellste Objekt in der Nähe des Vollmondes ist der Mars momentan, und das ist eine besondere Situation. Aber noch mal: Das Sonnensystem ist 4,5 Milliarden Jahre alt. Die Planeten kreisen um die Sonne, der Mond kreist um die Erde. Da gibt es solche Konstellationen am Himmel immer und immer wieder mal. 100.000 Jahre ist jetzt im Vergleich zum Lebensalter des gesamten Sonnensystems eigentlich nichts, weniger als nichts.
Schulz: Ja, aber eine doch relativ lange Zeit im Vergleich zum Lebensalter eines Menschen.
Lesch: Ja, das stimmt.
Triumph der Naturwissenschaft
Schulz: Deswegen macht uns das auch demütig und deswegen interessiert es auch so viele?
Lesch: Ja, klar. Das ist genau der Punkt. Die große Geschichte, die man eigentlich erzählen muss, ist: Warum können wir das so genau berechnen? Wieso können wir das so genau wissen, wo die Sterne stehen, wann die Mondfinsternisse und Sonnenfinsternisse kommen? Das hat damit zu tun, dass wir die Gesetze des Himmels entdeckt haben, vor 400 Jahren angefangen haben damit, und dass diese Himmelsmechanik auch zu der Idee geführt hat: Wenn wir die Dinge am Himmel berechnen können, dann können wir auch die Natur auf der Erde berechnen. Denn es war ja von Anfang an klar: Wer den Himmel beherrscht, der beherrscht auch die Erde. Daraus ist letztlich die Idee entstanden, dass wir tatsächlich alles in der Natur berechnen können.
Aber man muss daran denken, dass das Universum ziemlich leer ist. Sonst würden wir die Sterne auch gar nicht sehen. Das heißt, da gibt es keine Reibung, so dass sich diese Bewegungen im Sonnensystem sehr genau vorausberechnen lassen. Hier unten auf der Erde gibt es alle möglichen Störfaktoren, die es da oben nicht gibt. Aber damit hat die empirische Forschung, hat die Naturwissenschaft, hat die Astronomie natürlich einen unglaublichen Triumph gehabt. Heutzutage mögen wir ein bisschen darüber lächeln, früher war das eine große Sache, wenn man diese Dinge vorausberechnen konnte. Denn wer das konnte, der hatte Macht.
Schulz: Aber würden Sie sagen, der Himmel ist verstanden, solange wir nicht wissen, ob das Universum endlich ist und ob wir in selbigem alleine sind?
Lesch: Das ist noch mal eine andere Frage. Um Gottes willen! Verstanden haben wir den Himmel noch nicht. Aber wir haben einige Gesetze entdeckt, die es uns möglich machen, zum Beispiel die Bahnen von Himmelskörpern wie etwa Planeten, aber auch von Monden, von Asteroiden, von Kometen so genau zu berechnen, dass wir mit Sonden zum Beispiel hinfliegen können. Denken Sie an das großartige Experiment Rosetta, was damals den Kometen Tschurjumow-Gerassimenko angeflogen hat. Das ist ja eine grandiose Navigationsleistung gewesen.
Das heißt, diese mechanischen Gesetze in unserem Sonnensystem, die haben wir sehr gut verstanden. Es gibt viele andere Dinge, die wir nicht verstanden haben, und ob wir allein im Universum sind, das haben wir immer noch nicht klären können. Aber wir sind auf der Suche. Wir finden extrasolare Planetensysteme, Systeme um andere Sonnen herum, und wer weiß, vielleicht werden wir uns eines Morgens im Deutschlandfunk darüber unterhalten, was wir jetzt damit anfangen, dass es auf anderen Planeten Leben gibt.
Schulz: Das wollen wir auf keinen Fall ausschließen hier an dieser Stelle. - Wird es denn auch wissenschaftlich interessant, jetzt den Mars zu beobachten, oder den in dieser relativen Nähe sehen zu können, nach dem ja auch recht spektakulären Fund aus dieser Woche, wonach klar wurde, dass es einen großen unterirdischen See auf dem Mars gibt?
Lesch: Ja. Das ist natürlich eine großartige Nachricht. Und dann merkt man auch gleich, dass man dann mit Teleskopen bei den Planeten direkt eigentlich nicht mehr viel von der Erde aus ausrichten kann. Da geht es um Sonden, die den Mars umkreisen und die ihn mit großer Genauigkeit vermessen, ihn sogar abtasten, so wie das jetzt geschehen ist mit diesem Radarsatelliten.
Da sind wir schon viel näher dran. Da würde ich sagen für alle Amateure: Nehmt euch eure Teleskope, schaut ihn euch gut an, den Mars. Man sieht dann auch die Polkappen, gerade diese Eiskappen, wo jetzt dieser See entdeckt worden ist. Das lässt sich alles ganz gut erkennen. Aber die wirkliche Physik, die Astrophysik oder die Planetenphysik, die wird heutzutage nicht mehr von der Erde mit den Teleskopen bei den Planeten gemacht, sondern da muss man hinfliegen, da kann man hinfliegen. Und dann kann man auch Bodenproben entnehmen, beziehungsweise mit Radar die Oberfläche abtasten.
Ein großartiges Ereignis
Schulz: Jetzt werden wir aber noch mal bodenständiger, schlage ich vor, und sprechen konkret über die Mondfinsternis, die heute Abend ja zu beobachten sein wird. Von wo aus lässt sich die am besten sehen? Was müssen Interessierte machen? Wo müssen sie sich positionieren?
Lesch: Es ist einfach gut, sich irgendwo hinzustellen, wo man ein bisschen über den Gebäuden steht. Alles, was ein bisschen höher ist, ist gut. Von 21:30 Uhr an wandert der Mond eine Stunde und 43 Minuten lang vollständig in den Kernschatten. Bis dahin sollte man sich irgendeinen Hügel gesucht haben und das ist eigentlich alles. Dann kann man sehen, wie er langsam reinwandert. Bei 103 Minuten hat man auch lange Zeit, vielleicht ein Fläschchen Wein aufzumachen, sich hinzusetzen und sich dieses grandiose Naturschauspiel anzugucken. Was ja im Übrigen auch verläuft, ohne dass wir das beeinflussen können.
Ich glaube, das ist vielleicht auch noch mal ein Moment, wo dieser Respekt und diese Ehrfurcht, von der Sie vorhin gesprochen haben, noch mal so richtig durchkommt. Weil diese Dinge vollziehen sich völlig ohne unser Zutun, ohne dass wir dagegen oder dafür was tun müssen, sondern wir können das einfach genießen. Das wird heute Abend, glaube ich, wenn das Wetter gut ist - und das Wetter wird, glaube ich, in großen Teilen Deutschlands gut sein -, ein großartiges Ereignis sein.
Schulz: Schauen Sie sich das dienstlich an oder privat?
Lesch: Privat und dienstlich. Für die Volkshochschule hier in München machen wir einen Abend der großen Mondfinsternis zusammen mit der Volkssternwarte und mit den Freunden der Beobachtergruppe vom Deutschen Museum. Das machen wir hier in München heute Abend, einen großen Abend für die Mondfinsternis. Aber das ist schon sehr privat.
Schulz: Der Astrophysiker Harald Lesch, privat und ganz unter uns hier heute Morgen im Deutschlandfunk. Danke schön für Ihre Einschätzungen und Erklärungen.
Lesch: Alles Gute, Frau Schulz.
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